Skandale erschüttern die Kirche, Bischöfe treten zurück, Gesprächsinitiativen wohin man blickt. Mitten in dieser Situation wurde am 01. Juni 2021 das neue kirchliche Strafrecht vorgestellt. Steffen Engler beleuchtet diese Neuerungen und entdeckt darin ein paar versteckte „Eastereggs“.

Eiersuche im neuen Strafrecht

Die Rufe nach härterem Durchgreifen gegenüber straffällig gewordenen Klerikern wurden im Zuge der Missbrauchsskandale immer lauter. Entsprechend groß waren die Erwartungen, wie aktuelle Debatten zu Macht und Missbrauch im neuen kirchlichen Strafrecht ihren Niederschlag finden. Spoiler: Nicht wirklich… Stattdessen findet sich das ein oder andere theologisch-kirchenpolitische „Easteregg“. Darunter versteht man beispielsweise in Filmen bewusst versteckte Botschaften. Auch der Päpstliche Rat für Gesetzestexte, der die Reform verantwortet, hat ein paar solcher Eier gelegt.

Easteregg 1: Sexualmoral
Mehrfach wurde bemerkt, dass der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen im neuen Strafrecht als eine Straftat gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen bezeichnet wird (vgl. Titel VI) und nicht mehr nur als Verstoß gegen die priesterliche Zölibatspflicht. Rechtssystematisch wird er nun bei Delikten wie beispielsweise der Tötung eines Menschen eingeordnet. Zudem gibt es eine eigene Norm, die auch Missbrauch durch Nichtkleriker*innen unter Strafe stellt (c. 1398 § 2). Das sind zunächst gute Neuigkeiten. In einem wesentlichen Punkt bleibt jedoch eine Änderung aus: Das Recht verwendet weiterhin den schamhaften Sammelbegriff „Sünde gegen das sechste Gebot“1.

Der „Ehebruch“ des Dekalogs meint in der kirchlichen Morallehre jegliche Form außerehelicher Sexualität. Dieses Easteregg steckt einvernehmliche außereheliche Sexualität also in eine Schublade mit sexualisierter Gewalt. Moraltheologischen Diskussionen zum Trotz: Wer Sex hat, ohne miteinander verheiratet zu sein, treibt „Unzucht“ (KKK 2353); auch sexualisierte Gewalt ist „Ehebruch“.

Und was ist eigentlich mit geistlichem Missbrauch? Schließlich setzt sich in der kirchlichen Aufarbeitung mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Missbrauch im kirchlichen Kontext vielschichtig ist, beispielsweise aufgrund der besonderen Stellung des Priesters oder durch Abhängigkeitsverhältnisse in arbeits- und ordensrechtlicher, aber eben auch spiritueller Hinsicht.2 In diesem Bereich sind die Normen der cc. 1395 § 3 und 1398 § 2 zu begrüßen, die jenen mit Strafe drohen, die durch Missbrauch ihrer Autorität sexualisierte Gewalt ausüben. Damit dürfte das Phänomen des spirituellen Missbrauchs zumindest teilweise rechtlich eingefangen sein. Andere Formen der spirituellen Gewalt bleiben aber außen vor. Sicher hat der Gesetzgeber hier kein bewusstes Easteregg versteckt, zeigt aber, dass er längst nicht alle Dimensionen spirituellen Missbrauchs auf dem Schirm hat.

Easteregg 2: Thema Geschlechterhierarchie

C. 1379 – § 3. Jeder, der einer Frau die heilige Weihe zu spenden versucht, wie auch die Frau, welche die heilige Weihe zu empfangen versucht, zieht sich die dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation als Tatstrafe zu; ein Kleriker kann darüber hinaus mit der Entlassung aus dem Klerikerstand bestraft werden.

Diese Norm ist keineswegs neu, im Gegenteil: Sie hat eine lange Vorgeschichte, die auf die „Donaupriesterinnenweihe“ im Jahr 2002 zurückgeht. Damals hat ein nach eigenen Angaben „römisch-katholischer Bischof“ auf einem Donauschiff sieben Frauen die Hände aufgelegt, was von den Beteiligten als „Priesterinnenweihe“ verstanden wurde.3 Nach jahrelangen Auseinandersetzungen4 wurde das Verbot der Frauenweihe schon 2010 in die Normae de gravioribus delictis aufgenommen, d. h. in die Liste jener schwerwiegenden Verbrechen, deren Feststellung und Verhängung der Glaubenskongregation zukommen.5 Von dort gelangte die Norm nun in den CIC.

Die „Donaupriesterinnen“ und den „weihenden“ Bischof sowie alle, die seither derartige Aktionen durchgeführt haben, ereilte die Exkommunikation als Tatstrafe, die Höchststrafe im kirchlichen Strafrecht.6 Gleichzeitig ist für Kindesmissbrauch die Höchststrafe der Exkommunikation gerade nicht vorgesehen ist. Dieses unterschiedliche Strafmaß hat gewiss rechtssystematische Gründe: Sexueller Missbrauch hat zu viele Dimensionen und Formen und ist zu wenig spezifisch, um mit einer Tatstrafe, die bei Begehen der Tat automatisch eintritt, geahndet zu werden. Dennoch offenbart das unterschiedliche Strafmaß eine gewisse gesetzgeberische Schwerpunktsetzung: Frauen zu weihen ist genauso strafbewehrt wie Häresie, Apostasie und Schisma, also „Straftaten gegen den Glauben und die Einheit der Kirche“ (c. 1364 § 1). Das Easteregg ist eindeutig:

Wer für die Gleichberechtigung von Frauen und deren Zugang zu kirchlichen Ämtern kämpft, schadet aus Sicht des Gesetzgebers der Einheit der Kirche, stiftet Unruhe in der auf göttlichem Willen fußenden Gemeinschaft, verwirrt und spaltet.

Easteregg 3: Thema Sakramente
A propos Sakramente: Nicht nur bei der Priester(innen)weihe muss der Spender aufpassen, wen er vor sich hat: Wenn er jemandem vorsätzlich ein Sakrament spendet, dem der Empfang rechtlich verboten ist, dann begeht er selbst eine Straftat (c. 1379 § 4). Natürlich hat diese Norm die Diskussion über den Kommunionempfang von wiederverheiratet Geschiedenen und Christ*innen anderer Konfessionen angefacht. Klärungsbedürftig ist außerdem der Begriff des Vorsatzes. Während der Papst betont, die Kirche sei keine Zollstation (Evangelii Gaudium 47) , spricht dieses Easteregg eine andere Sprache.

Easteregg 4: Thema Ökumene
Katholischen Eltern, die auf die katholische Taufe und Erziehung ihrer Kinder verzichten, wird eine Strafe angedroht (c. 1367). Mindestens in Deutschland, wo es viele konfessionsverbindende Ehen gibt, geht diese Norm geradewegs an der Realität vorbei. Für die Ökumene sendet dieses Easteregg eine deutliche Botschaft: Die alte Formel „extra ecclesiam nulla salus“ (außerhalb der katholischen Kirche kein Heil) gilt wohl nach wie vor.

„Eastereggs“ oder klare Botschaften?
Fazit: Die Reform des kirchlichen Strafrechts bringt längst überfällige Neuerungen in wichtigen Punkten; das Ergebnis ist allemal besser als der Stand zuvor. Nach 14 Jahren redaktioneller Überarbeitung und angesichts brennender aktueller Fragen geht die Reform aber nicht weit genug.

Nachdem die Kongregation für die Glaubenslehre im März die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare verboten hat, werden alle, die mit absehbaren Veränderungen in der Kirche gerechnet haben, abermals enttäuscht.

Nach jahrelanger Revisionsarbeit, begleitet von emotionalen Debatten, können die Normen als sorgsam durchdacht angesehen werden. Die Eastereggs sind also keine zufälligen Restbestände überholten theologischen Denkens. Angesichts theologischer Diskussionen und synodaler Gesprächsformate hat der Gesetzgeber seinen Standpunkt hinsichtlich bestimmter kirchlicher Reizthemen erneut deutlich gemacht und so mancher Reformdebatte ein Ei gelegt.

Hashtag der Woche: #happyeaster


(Beitragsbild: @bailedelanguis)

1 Vgl. die Kritik daran, die Christoph Koller vor und Felix Neumann und der Bamberger Erzbischof Dr. Ludwig Schick nach der Reform anbringen.

2  Vgl. zum geistlichen Missbrauch: Doris Wagner, Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg 22019 und Barbara Haslbeck u. a. (Hg.), Erzählen als Widerstand. Berichte über spirituellen und sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche, Münster 2020.

3 Vgl. Norbert Lüdecke, Georg Bier, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012, 161.

4 Ausführlich dokumentiert in: Sabine Demel, Frauen und kirchliches Amt. Vom Ende eines Tabus in der katholischen Kirche, Freiburg 2004.

5 Normen über die der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehaltenen Straftaten bzw. Normen über Straftaten gegen den Glauben und schwerwiegendere Straftaten vom 21. Mai 2010, in: AAS 102 (2010) 419-430, deutsche Übersetzung: AfkKR 179/I (2010) 168-179.

6 Anders als immer wieder kolportiert handelt es sich bei der Exkommunikation nicht um einen „Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft“. Die Taufe versieht mit einem unauslöschlichen Prägemal. Der Status als Christ*in kann niemandem genommen werden. Vielmehr entzieht die Exkommunikation die mit der Gemeinschaft einhergehenden Rechte, vgl. c. 1331.

 

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steffen engler

promoviert am Arbeitsbereich Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte der Universität Freiburg und ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.

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