Im Juni feierten viele Menschen queer-feministische Sichtbarkeit. Auch Mentari Baumann, die queer und katholisch ist. Das löst Reaktionen in ihrem täglichen Umfeld aus – wie sie einen Umgang damit gefunden hat und queer-feministische Kämpfe über den Juni hinaus führt, erzählt sie in diesem Beitrag.

Der 14. Juni ist feministischer Streiktag in der Schweiz und machen mit unter dem Motto «Gleichberechtigung.Punkt.Amen»1. Auch ich bin dabei und sitze als Diskutantin in einer Podiumsdiskussion in der Heiliggeistkirche in Bern. Die erste Frage an mich: «Warum bist du, als lesbische und feministische junge Frau, noch katholisch?».

Wenige Tage später findet die Zurich Pride Demo statt. Ich laufe mit, an meinem Shirt steckt der pinke Button mit dem Schriftzug «Gleichberechtigung.Punkt.Amen». Von anderen Queers werde ich gefragt, warum ich denn immer noch katholisch bin. Ich wisse doch, wie die Kirche mit uns umgeht.

Im Mai wurde im Schweizer Fernsehen der Dokumentarfilm «Queer Glauben»2 ausgestrahlt. Mit anderen queeren Christ:innen erzähle ich im Film meine Geschichte. Nach der Premiere erhalte ich Mails und Nachrichten auf Social Media. Die (meist) anonymen Sender:innen wollen wissen, warum ich noch nicht aus der Kirche ausgetreten bin, ich sei ja sowieso keine richtige Katholikin.

Egal wer fragt, ob feministische Verbündete, queere Menschen, mit und ohne Verletzungen durch die Kirche, oder konservative Katholik:innen, die Botschaft ist klar:

Die Kirche ist nicht für Menschen wie mich gemacht und es wäre für alle (inkl. mich) einfacher, wenn ich nicht mehr zur Kirche gehöre.

Die Gründe, weshalb ich und andere Menschen, die nicht in das klassische Stereotyp einer gläubigen Person fallen, noch dabei sind, sind vielfältig und individuell. In meinem Fall ist es ein Zusammenspiel von spiritueller Heimat, persönlicher G*tteserfahrung, meiner bikulturelle Herkunft, weil ich es will und ganz viel Trotz – ich lasse mir doch nicht von anderen sagen, ob ich katholisch bin oder nicht.
Das ist die persönliche Ebene. Und die reicht doch um einfach katholisch zu sein. Privat, für mich allein. Sonntags den Gottesdienst besuchen, danach auf dem Kirchplatz über das Wetter smalltalken und wieder gehen.

Wenn der Smalltalk zu den Sommerferien übergeht, kann ich dann ja zensieren, mit wem ich unterwegs war. Wenn meine Frau dabei ist, kann ich sie als meine Cousine vorstellen. Und wenn ich mich darüber ärgere, dass G*tt immer als männlich dargestellt wird, dann kann ich mich für mich selbst ärgern, still und leise. Und allein. Und das immer wieder, bis ich mit Ungesagtem platze. Oder vergesse, was es zu sagen gibt.

Das Private ist (religions)politisch

Schon 1968 haben Frauen erkannt, dass das Private politisch ist. Die Unterdrückung der Frau im Privatleben ist nicht (nur) Privatsache, die Unterdrückung wird möglich gemacht durch politisch-ökonomische Strukturen.3
Das gilt auch heute noch: Solange die gesellschaftlichen Strukturen Beruf und Familie nicht vereinbar machen, ist das Muttersein einer berufstätigen Frau politisch. Solange Hass gegen queere Menschen politisches Programm ist, ist Queersein außerhalb der eigenen vier Wände politisch. Solange Rassismus institutionell ist, sind rassifizierte Erfahrungen im Privatleben politisch.

Privat ist eben nicht immer nur privat. Auch nicht in der römisch-katholischen Kirche.

Lange bevor irgendeine Art von Engagement oder Aktivismus überhaupt ein leiser Gedanke war, musste ich mir Wissen aneignen, um existieren zu können. Ich musste mich selbst, die Kirche und ihre Lehre hinterfragen und mich damit auseinandersetzen, wo mein Platz in diesem Gefüge ist – ob ich überhaupt einen Platz in diesem Gefüge haben kann oder haben möchte. Ich musste recherchieren und eintauchen in theologische Diskurse. Zuerst für mich allein, später mit anderen an der Uni, bis ich zum Schluss gekommen bin, dass es gut ist, so.

Und dann sitze ich am Sonntag mit meiner Frau in der Kirche und lüge nicht darüber, wer sie ist:
„Das ist S, meine Frau.”
Eine Tatsache, die im katholischen Mikrokosmos nicht sein sollte. Das wirft Fragen, Verwirrung und Ablehnung auf. Ich bin nicht mehr nur ich, ich stehe jetzt für etwas.
Und schon ist es (ich) politisch.

… und dann tut sich eine Welt auf

Der Umgang der katholischen Kirche mit queeren Menschen ist nicht die Spitze des Eisbergs, es ist ein kleines Stück dieses Eisbergs und dieser Eisberg ist riesig. Da steht eine riesige Wand vor uns mit problematischen Machtstrukturen, Missbrauch, Vertuschen und Wegschauen und Ungleichbehandlungen.
An diesem Eisberg arbeiten sich weltweit unglaublich viele Menschen ab. Katholik:innen, die katholisch sind, obwohl die Strukturen nicht für sie geschaffen wurden, und doch nicht «nicht-katholisch» sein wollen oder können. Katholik:innen, deren Wünsche, Erfahrungen, Verletzungen und Lebensentwürfe ein Politikum in der katholischen Kirche sind. Katholik:innen, die es ähnlich sehen wie Maria Mesrian, die zu genau diesem Thema gesagt hat «Die einzige Option, unter der ich bleiben kann, ist, für Gerechtigkeit zu kämpfen.»4

Wo diese Katholik:innen sind, die für Gerechtigkeit kämpfen? Überall, und doch nicht immer sichtbar.
Seit Jahren setzen sich Reformgruppen für die, so nötige, Veränderung in der katholischen Kirche ein. Einige arbeiten thematisch fokussiert, andere setzen regional einen Fokus; ein Großteil tut das ehrenamtlich oder als immer mitgedachter Teil ihrer Erwerbsarbeit. Um dem Reformanliegen in der Schweiz einen neuen Schub zu geben, haben sich verschiedene Organisationen (unter anderem der Schweizerische Katholische Frauenbund SKF, Jungwacht Blauring und die JuniaIniative) und engagierte Einzelpersonen zusammengetan und haben die Allianz Gleichwürdig Katholisch gegründet. Die Allianz Gleichwürdig Katholisch versteht sich als offene Projektgemeinschaft, der sich Einzelpersonen wie Organisationen anschließen können. Voraussetzung für das Dabeisein ist das Teilen der Vision einer gleichberechtigten, gerechten, solidarischen und demokratischen Kirche und Gesellschaft und das Leben dieser Maximen im eigenen Umfeld.

Stärken, sichtbar machen und mitarbeiten

In der Allianz Gleichwürdig Katholisch kann ich mich einsetzen für eine gleichwürdige und glaubwürdig Katholische Kirche. In der Projektgemeinschaft stärken wir uns gegenseitig, vernetzen uns, suchen und finden Synergien und machen sichtbar was schon existiert – das breite Engagement für #GleicheWürdeGleicheRechte.
Die Aktivitäten der Projektgemeinschaft sind so vielfältig, wie es die Organisationen und Engagierten sind. Meine Arbeit führt mich deshalb zur Regenbogenbank, einem Seelsorgeangebot während der Pride oder an monatliche liturgische Feiern vor der Kirchentüre, in den Spuren von Maria von Magdala. Es führt mich aber auch zurück in die traditionellen kirchlichen Strukturen, zum Beispiel als Expertin für Inklusion in Weiterbildungen von Hauptamtlichen oder als online-Delegierte an der europäischen synodalen Versammlung. Denn das Engagement für #GleicheWürdeGleicheRechte geschieht überall! Und so kann ich weiterhin bleiben in dieser, meiner, katholischen.

Hashtag der Woche: #GleicheWürdeGleicheRechte

(Beitragsbild: @VitoDrolec)


1 «Gleichberechtigung.Punkt.Amen» in der katholischen Kirche | SKF Frauenbund

2 Sternstunde Religion – Queer glauben – Play SRF

3 Riescher, Gisela; „Das Private ist politisch“: Die politische Theorie und das Öffentliche und das Private in: Dimensionen von Gender Studies Band II (2003); S. 59; URL: ffs_13_test.indb (budrich.de)

4 Remenyi, Matthias; Gehen oder bleiben? Kirchenkrise – zwischen Austritt Frustration und Engagement; 2021; URL: Gehen oder bleiben? Kirchenkrise – zwischen Austritt, Frustration und Engagement – feinschwarz.net

 

 

 

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mentari baumann

ist eigentlich Betriebsökonomin und arbeitet jetzt als Geschäftsführerin der Allianz Gleichwürdig Katholisch, einer Reformorganisation in der Schweiz, nebenbei macht sie den interdisziplinären Master in Religion, Wirtschaft und Politik an der Universität Luzern. Funfact: Mentari heisst Sonne auf Indonesisch und das passt eigentlich ganz gut.

One Reply to “Warum tue ich mir das noch an, dieses katholisch-sein?”

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