Wie wird eine Ökotheologie lernfähig, ohne die in anderen Wissenschaften bereits benannten ökologischen Problemfelder einfach zu reproduzieren oder zu rebranden? Die Lösung dafür scheint eine Gratwanderung, auf die sich Cornelia Dockter, Felix Fleckenstein, Hannah Judith, Thomas Sojer und Stephan Tautz in ihrem Beitrag begeben haben. Vertieft wird diese Diskussion bei der diesjährigen Tagung des Nachwuchsnetzwerks Dogmatik und Fundamentaltheologie.

Felix Fleckenstein:

Facebook heißt nun ‚Meta‘, AstraZeneca ‚Vaxzevria‘ und Google schon seit 2015 eigentlich ‚Alphabet‘. Wusstet Ihr nicht? Keine Sorge, denn ohne Google – oder Alphabet? – wüssten wir das auch nicht. Bei allen drei Beispielen handelt es sich um Rebranding, d.h. um eine strategische Umbenennung eines Unternehmens, Produkts oder Konzepts zur Verbesserung des Images oder in Hoffnung auf einen (Produkt-)Neustart.

Auch in der theologischen Bubble erleben wir Rebrandings. In vielen Publikationen und Lehrveranstaltungen weicht die klassische Bezeichnung ‚Schöpfungstheologie‘ einem anderen Begriffskonzept: der ‚Ökotheologie‘.1 Ausgehend von den historischen Wurzeln der ökologischen Krise ist es das Anliegen einer solchen ökotheologischen Forschung und Lehre, die anthropozentrische und androzentrische Ausrichtung der christlichen Schöpfungstheologie zu überwinden und die gesamte Schöpfung in den Blick zu nehmen. Das scheint modern, progressiv und am Zahn der Zeit. Doch handelt es sich bei dieser Neuausrichtung in der Schöpfungstheologie um eine durchgängig inhaltliche Perspektivenverschiebung oder wird hier lediglich das christliche Label ‚Schöpfung‘ durch einen säkularen Code ‚Ökologie‘ ersetzt? Gerade im Angesicht aktueller Debatten um die mögliche Einstufung der Atomkraft als ‚nachhaltige Technologie‘ zeigt sich die Brisanz und Fragilität, die von unseren wirklichkeitsstiftenden Antwort(-versuch)en auf die ökologischen Herausforderungen ausgehen.2

Welche Zeichen der Zeit bestimmen also eine Ökotheologie, die im Angesicht der christlichen Tradition Antworten auf die Herausforderungen der ökologischen Krise sucht, ohne dass der Begriff ‚Schöpfung‘ zur säkularen Hülse verkommt? Und was können Wert und Beitrag einer christlichen Ökotheologie sein, die in der Inkarnation des Logos ihren bleibenden Bezugspunkt sieht? Bei unserem Versuch diese Fragen zu beantworten, sind wir auf drei Kipppunkte gestoßen:

Cornelia Dockter:

Der erste Kipppunkt betrifft die bereits erwähnten Zeichen der Zeit. Die Zeichen der Zeit zu erkennen, ist in der aktuellen theologischen, vor allem aber auch kirchenpolitischen Debattenlandschaft ein
‚heißes Eisen‘. Das liegt nicht nur daran, dass die vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderte Wahrnehmung der Zeichen der Zeit angesichts des zunehmenden Auseinanderdriftens von Kirche und Gesellschaft aktuell sogar noch drängender zu sein scheint als noch in den 60er Jahren. Die Gefahr, sich mit den Zeichen der Zeit sprichwörtlich die Hände zu verbrennen, liegt zusätzlich auch darin begründet, dass – innerkirchlich und innertheologisch – recht unterschiedlich bewertet wird, wie Theologie und Kirche auf sie zu reagieren hat.

Folgt die neu gelabelte ‚Ökotheologie‘ den Zeichen der Zeit, oder spiegelt sich in den vermehrten ökotheologischen Debatten ein Zeitgeist wider? Wie en vogue ist es, den Schöpfungsauftrag neu zu durchdenken, und wie sehr gibt es davon abgesehen auch eine Notwendigkeit einen eigenen genuin theologischen Beitrag zur aktuellen Ökodebatte zu leisten? Papst Franziskus hat mit seiner Enzyklika ‚Laudato Si‘ bereits eine Antwort auf diese Frage gegeben und der katholische Sozialethiker Markus Vogt identifiziert die „Umweltkrise im Anthropozän als religionsproduktive Suchbewegung“3, d.h. als Nährboden für religiöse Diskurse.

Wenn eine Fokussierung der Schöpfungstheologie demzufolge also keine theologische Randbeschäftigung sein darf, sondern einer ‚Theologie von heute‘ dringend aufgegeben ist, in welcher Form und in welchem Ausmaß hat sich Theologie dann mit ökologischen Diskursen zu befassen, ohne nur zu reproduzieren, was andere Wissenschaften in den Diskurs schon einspielen?

Stephan Tautz:

Damit stellt sich die Frage nach einem ‚Proprium‘ von Theologie, also danach, ob, und wenn ja, was die Theologie aus ihren eigenen Ressourcen zur Ökodebatte beitragen kann. Damit sich die Theologie also ad extram wenden kann, bedarf es einer kritischen Klärung ad intram. Liegt der bleibende Kern der Schöpfungstheologie in der von Gott hergeleiteten Heiligkeit der Schöpfung? Oder vielleicht, universaler gesprochen, im Transzendenzbezug jeglicher Theologien, der als Kriterium dienen kann, um sich dem prekären Anspruch von Kontrolle und Allmachtsphantasien ‚heilbringend‘ zu entziehen? In diesem ,transzendenten Stachel‘ könnte ein wichtiger Beitrag der Theologie liegen. Denn trifft es nicht zu, dass innerhalb der Ökodebatte auf Seiten derjenigen, die die Radikalität der Klimakrise relativieren, bedrohliche Ideologien eines ‚alles ist machbar‘ kursieren? Und trifft es nicht ebenfalls zu, dass auch auf Seiten derjenigen, die auf möglichst schnelle Maßnahmen pochen und diesen Maßnahmen alles andere unterordnen wollen, nicht weniger bedrohliche Ideologien desselben ‚alles ist machbar‘ anzutreffen sind? Bekanntlich heiligt der Zweck die Mittel und je heiliger der Zweck, umso gerechtfertigter die Mittel: Hat die Natur und mit ihr der Mensch nicht einen absoluten Eigenwert, eine Heiligkeit, die es zu wahren gilt?

Damit wird Heiligkeit zum Stichwort für einen zweiten Kipppunkt: Es bestehen gefährliche double-binds zwischen einer prekären anthropozentrischen Schöpfungstheologie und den ihrerseits prekären Sakralisierungen in der Ökodebatte. Bei näherem Hinsehen riskiert also nicht allein eine anthropozentrische Schöpfungstheologie ein oberflächliches Rebranding, sondern auch ökologische Diskurse, die dem eigenen Standpunkt quasi-sakrale Absolutheit zusprechen und sich dafür eines religiösen Vokabulars bedienen. Vielleicht besteht folglich in einem differenzierten Umgang mit dem Heiligen ein ‚theologisches Sondergut‘, das die Theologie in die Ökodebatte einbringen kann. Wenn dies zuträfe, dann aber vor allem deshalb, weil eine solche Theologie sich der steten Gefahr der
‚Sakralisierungsfalle´4 in eigenen Denkfiguren wie dem Transzendenzbezug oder der Heiligkeit der Schöpfung bewusst bleiben muss.

Und so ist letztlich auch die klassische Schöpfungslehre mit ihrer unangemessenen Sakralisierung des Menschen eine Zeugin für ein Scheitern im Umgang mit dem Heiligen. Doch im Scheitern liegen auch Chancen zur Besserung und zur Umkehr. Im Falle der Schöpfungslehre kam dieser Anstoß zur Umkehr (wie so oft in der theologischen Entwicklung) von außen – durch Anfragen einer Ökologie, die sich von tradierten theologischen Paradigmen wie dem der Anthropozentrizität emanzipiert hat. Damit bleibt die Frage, wie eine solche ‚lernfähige Öko-Theologie‘ in der Ökodebatte aussehen kann.

Hannah Judith:

Im skizzierten Spannungsfeld zwischen einer theologischen Beanspruchung ökologischer Themenfelder und teils sakralisierender Rebrandings in der Ökodebatte setzt die Spurensuche nach einem ambiguitätsbewussten, theologieproduktiven Konzept einer Schöpfungssakralität an: Konzepte der Sakralität formen hier zunächst Identitäten, die mit Ökonomien der zuschreibenden Abgrenzung arbeiten. Diese Zuschreibungsprozesse stehen jedoch in der Gefahr, selbst zur autoritären Bedrohung zu werden und damit ihre eigentliche Hoffnungs- und Freiheitsperspektive zu pervertieren.5 Nicht nur säkulare Sakralisierungen ökologischen Verhaltens und damit verbundene Stigmatisierungen vermeintlich ‚falsch‘ Handelnder fallen dieser Pervertierung anheim. Auch anthropozentrisch orientierte Schöpfungstheologien, die eine herrschaftliche Selbstermächtigung über die Natur als Dienst am göttlichen Willen stilisieren, können in autoritäre Logiken kippen. Nicht zufällig ist es das jüdisch-christliche Schöpfungsverständnis, das eine Ambivalenz des Sakralen zum Ausdruck bringt:6 Es setzt die Perspektive der menschlichen Kontingenz in ein produktives Spannungsfeld zur im Schöpfungsakt grundgelegten Verantwortungsrolle eines kontingenten Menschen. Ökotheologie ist und bleibt damit auf das Schöpfungsparadigma verwiesen, will sie keiner identitären Logik verfallen.

Kann sich die Theologie angesichts schwelender ökopolitischer Konflikte und sich zuspitzender ökologischer Krisenphänomene nicht gerade an diesen schöpfungstheologischen Ambivalenzen orientieren und ihr Ambivalenzbewusstsein als kritisches Korrektiv in die Ökodebatte einspielen?

Tom Sojer:

Wie sollen die drei „Kipppunkte“ nun helfen? Kipppunkte markieren den entscheidenden Moment, in dem die Veränderung des Schwerpunktes eines bewegten Gegenstandes zum Umkippen dieses Gegenstandes führt. Was bedeutet es vor diesem Hintergrund Theologie als einen „bewegten Gegenstand“ zu betrachten, dessen Schwerpunkt laufend neu verhandelt und verortet werden will? Es bedeutet, dass sich ökologisch orientierte Theologien luzider auf dem schmalen Grat bewegen können, auf dem sich jede Theologie zwangsläufig wiederfinden wird. Theologie treiben heißt immer auch im Bannkreis von ‚Sakralisierungsfallen‘ auf Messers Schneide zu wandeln. Wer nicht aufpasst, kann überkippen und abstürzen. Was hier als überspitzte Drohkulisse versinnbildlicht wird, zeigt gleichsam eine liminoide Raffinesse theologischer Praxis: Ökologisch orientierte Theologien, die ihre Kipppunkte freilegen und kommunizieren, balancieren weitsichtiger und durchschauen Mechanismen der Schwerkraft. Sie tun dies, indem sie in der Dynamik zwischen der eigenen Ambiguität und der Ambiguität ihres Außen einen kritischen Verhandlungsraum eröffnen. Für einen dergestalt theologischen Stil wird das Nicht-Theologische konstitutiv, er bestimmt sich aus einer Unterschiedenheit des darin Zusammengeschlossenen: Der differenzstiftende Transzendenzbezug theologischer Praktiken wird ihm zu einer Ressource der Vermittlung: Er entlarvt kontextignorante und sinnverzerrende Aneignungen von Begriffspragmatiken (1. Kipppunkt). Aus der Widerständigkeit gegenüber der Artifizialität und Inauthentizität travestierender Brandings entspringt eine fortlaufende Heuristik des Heiligen (2. Kipppunkt). Schließlich begegnet er allen Sakralfunden in ihrer unhintergehbaren Ambivalenz mit einem eschatologischen Vorbehalt (3. Kipppunkt).  Eine lernende Öko-Theologie auf schmalem Grat versteht sich vor diesem Hintergrund nicht mehr als Kanon von festgelegten Konzepten und Begriffen, sondern als theologischer Stil der Prekarität. Diese entfaltet entlang einer konstitutiven Wechselwirkung zwischen internem und externen Irritationspotential. Eine anhaltende Sichtbarkeit der Kipppunkte hängt jedoch von der Nachhaltigkeit der Irritationen ab.

Schlussteil:

Um dieser Sprachfähigkeit eine Plattform zu geben und eine Inventur der theologischen Methodenwerkstatt vorzunehmen, organisiert das Nachwuchsnetzwerk Dogmatik und Fundamentaltheologie vom 9. bis 11. März in der Akademie Stuttgart eine Tagung rund um die Spannungsfelder einer lernenden Ökotheologie. Den Flyer dazu findet ihr hier.

Hashtag der Woche: #ökotheologie


(Beitragsbild: @banksy)

1 Vgl. beispielsweise: Markus Vogt, Ökotheologie – Was ist die Kompetenz der Theologie im Umweltdiskurs? Buchvorstellung „Christliche Umweltethik“ am 15.4.2021 an der LMU München, https://www.kaththeol.uni-muenchen.de/lehrstuehle/christl_sozialethik/aktuelles-ordner/umweltethik/okotheologie.pdf, zuletzt abgerufen am 10.01.2022. Louk Andrianos u.a. (Hg.), Kairos for Creation. Confessing Hope for the Earth, Solingen 2019. Sowie: Judith Gruber, Ec(o)clesiology. Ecology as Ecclesiology in Laudato Si’, In: ThSt 78 (4/2017), 807–824.

2 Vgl. Jakob Mayer, Mit Kernkraft zum „Green Deal“-Ziel, in: tagesschau.de (14.12.2021), https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-energiepolitik-atomkraft-101.html, zuletzt abgerufen am 10.01.2022.

3 Markus Vogt, Worin besteht die Kompetenz der Theologie im Umweltdiskurs?, in: ThG 63 (2/2020), 107–116; hier: 109.

4 Vgl. Gregor Maria Hoff, Die Sakralisierungsfalle. Zur Ästhetik der Macht in der katholischen Kirche, in: Ders./ Julia Knop/ Benedikt Kranemann (Hg.), Amt – Macht – Liturgie. Theologische Zwischenrufe für eine Kirche auf dem synodalen Weg, Freiburg 2020, 267–285. In Anlehnung daran wird ‚Sakralisierungsfalle´ hier als gefährliche Tendenz verstanden, die jeweils eigene Position in der Aura des als heilig Zugeschriebenen aufgehen zu lassen.

5 Vgl. zu identitären, sakralen Zuschreibungsprozessen Brigitte Schwens-Harrant/ Jörg Seip, Mind the Gap. Sieben Fährten über das Verfertigen von Identitäten, Wien 2019, 111–126.

6 Vgl. Magnus Schlette/ Volkhard Krech, Sakralisierung, in: Detlef Pollack u.a. (Hg.), Handbuch Religionssoziologie, Wiesbaden 2018, 437–463, hier: 439.

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Nachwuchsnetzwerk Dogmatik und Fundamentaltheologie

Das Nachwuchsnetzwerk Dogmatik und Fundamentaltheologie bildet als fachwissenschaftliches und berufsbezogenes Netzwerk angehender Fundamentaltheolog*innen und Dogmatiker*innen und verwandter Disziplinen ein interdisziplinäres Dialogforum besonders für Nachwuchswissenschaftler*innen, die sich mit einer Qualifikationsarbeit befassen. Die jährlich stattfindenden Treffen dienen dabei v.a. dem Austausch von Ideen, der Vorstellung eigener Projekten und dem wissenschaftlichen sowie hochschulpolitischen Diskurs.

One Reply to “Gratwanderung einer lernenden Öko-Theologie”

  1. In den 4 Beiträgen des Nachwuchsnetzwerks Dogmatik und Fundamentaltheologie zur Thematik Öko-Theologie findet sich eine Häufung von Verbalakrobatik, die es für den außenstehenden Leser sehr schwer macht, die Inhalte zu verstehen: Was ist zum Beispiel die „Sakralisierungsfalle“, ein Begriff, der vielleicht im Theologiestudium vorkommt?
    Für mich gibt es eine kritische Bezugsstelle des christlichen Abendlands im alten Testament, und zwar in Genesis 1,28. „Macht euch die Erde untertan und mehrt euch“. Theologen werden wahrscheinlich sagen, diese Aussagen muß man zeitbezogen deuten; doch wenn man heute sieht: überbordendes Wachstum der Weltbevölkerung und Übernutzung der natürlichen Ressourcen der Erde, dann kann man schon vermuten, dass mit der alten mosaischen Schöpfungslehre ein bedenklicher Impuls für die Entwicklungen der Menschheit gesetzt wurde.
    Aber wenn sich die Theologie nicht selbst in Frage stellen möchte, muß sie diesen Zusammenhang entweder leugnen oder uminterpretieren.

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