Die röm.-katholische Kirche erkennt bis heute Geschlechtlichkeit neben den binären Kategorien von „Mann“ und „Frau“ nicht an. Oft wird dabei mit der biblischen Schöpfungsgeschichte argumentiert. Lisa Baumeister unterzieht biblischen Texten einer kritischen Relektüre und weist dabei auf Spuren von Intergeschlechtlichkeit hin.

„They ‚argue that an intersexed person such as me does not satisfy the biblical criterion of humanity, and indeed even that it follows that I am congenitally unbaptizable and must therefore be said not to have been baptized validly.‘“1

Mit derartigen Reaktionen wurde Sally Gross konfrontiert, nachdem ihre Intergeschlechtlichkeit festgestellt wurde. Damals hieß sie noch Selwyn Gross hieß und war römisch-katholische*r Dominikanerpriester*in. Bei ihrer Geburt wurde sie dem männlichen Geschlecht zugeordnet, sie entschloss sich jedoch nach einigen hormonellen Tests, bei denen ihre Intergeschlechtlichkeit festgestellt wurde, zu einem offiziellen Leben als Frau. Ihre Priesterweihe wurde daraufhin annulliert, da diese angeblich aufgrund Gross‘ Nicht-Mann-Seins nie ihre Gültigkeit hatte.2

Schöpfungsplan oder Raum für Interpretationsspielräume von Gen 1,27?

Zu derartigen dem christlichen Kontext entsprungenen, interfeindlichen Aussagen, wie die oben angeführte, mit der sie als nicht-taufbare Körper beschimpft wurde, gehören auch offizielle Verlautbarungen des Vatikans. In dem erst 2019 erschienenen Dokument Als Mann und Frau schuf er sie wird Intergeschlechtlichkeit gar als „Versuch, den konstitutiven Unterschied von Mann und Frau zu überwinden“3, aufgefasst. In der Kenntnis über zumindest äußere biologische Geschlechtsambiguitäten, aber in übriger Ermangelung eines wissenschaftlichen Fundaments, werden gesellschaftlich höchst umstrittene operative Eingriffe als Chance gesehen, „die konstitutive Identität deutlich zu machen“4. Wie der Name des Dokuments bereits nahelegt, wird als Beleg einer vermeintlich gottgewollten und dem Schöpfungsplan entsprechenden Geschlechterbinarität Gen 1,27 herangezogen:

„Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“

Die Überzeugung, Gen 1,27 schreibe die alleinige Existenz von Mann und Frau fest, wird u. a. unterstützt durch die bis 2016 in der EÜ vertretende Übersetzung von „זָכָ֥ר וּנְקֵבָ֖ה בָּרָ֥א אֹתָֽם“ (sachar unkawah bara‘ ‘otam)  als „als Mann und Frau schuf er sie“, das jedoch in der Version „als männlich und weiblich schuf er sie“ näher am hebräischen Originaltext wäre. Ansätze im Anschluss an diese Übersetzung weisen nicht nur jegliche Intergeschlechtlichkeit delegitimierenden Argumentationen von sich, sondern erleuchten auch vage Spuren von möglicher Nichtbinarität in der Bibel.

So sieht etwa Ruth Scoralick bei der adjektivischen Variante die Möglichkeit zur Interpretation der Textstelle als Merismus5. Dabei würden keine zwei Kategorien geschaffen werden, sondern ein Spektrum zwischen zwei Polen.6 Die These wird gestützt durch einige weitere mögliche Merismen in der Schöpfungsgeschichte: Dazu zählen u. a. die Schaffung von Licht und Finsternis (Gen 1,4) und von trockenem Grund und Meer (Gen 1,9f). In der rabbinischen Literatur finden sich außerdem Auslegungen von Genesis, die das erste Menschenwesen als androgyn – folglich männlich und weiblich – verstehen, bevor es in seiner Geschlechtlichkeit differenziert wurde. Bei diesem Ansatz kann der nicht geschlechtlich kategorisierte Mensch als erster seiner Art als positiv herausgestellt betrachtet werden.

Auch im Neuen Testament gibt es Anknüpfungspunkte für eine intergeschlechtliche Lesart. Im Kontext einer Diskussion mit Pharisäern über die Ehe erläutert Jesus, es gebe manche, die „von Geburt an zur Ehe unfähig [sind], manche [, die] von den Menschen dazu gemacht [wurden] und manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelreiches willen.“7 Die Lutherbibel von 2017 übersetzt εὐνοῦχοι (eunuchoi) nicht mit „zur Ehe unfähig“, sondern mit „Verschnittene“.

Eunuchen im Status sozialer Zwischengeschlechtlichkeit

Besonders interessant für die Auseinandersetzung mit Intergeschlechtlichkeit ist die kongenitale Gruppe. Im ersten Jahrhundert wurden diese im jüdischen Kontext saris khama (= Eunuchen der Sonne) genannt, da man ihre ambigen Geschlechtsmerkmale schon erkennen kann, sobald sie das Licht der Welt erblicken – also Sonne auf sie scheint.8 Eunuchen bildeten eine Gruppe, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht vollständig zugeordnet wurde und somit einen Status sozialer Zwischengeschlechtlichkeit bildete.9 Kastrierte Eunuchen waren jedoch wegen des jüdischen Kastrationsverbot weitgehend ausgeschlossen, wohingegen für saris khama einige eigene Regelungen getroffen wurden, um ihre Situation zu ordnen und sie zu integrieren.10 Dies zeigt, dass im Entstehungskontext der Bibel bekannt war, mit Abweichungen von einem dadurch herausgeforderten binären Gesellschaftskonzept umzugehen und auch auf institutioneller Ebene Raum für Geschlechtsvarianz geschaffen wurde.11

Auf der Suche nach Spuren jenseits binärer Geschlechtlichkeit in der Bibel muss jedoch beachtet werden, saris khama oder gar Eunuchen nicht als deckungsgleich mit intergeschlechtlichen Menschen zu betrachten. Auf der einen Seite wird häufig nicht differenziert, nach welchen Umständen und ab welchem Zeitpunkt der Mensch als Eunuch angesehen wurde, auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass nicht jede intergeschlechtliche Person der damaligen Zeit als Eunuch aufgefasst wurde. Dies jedoch als Interpretationsmöglichkeit miteinzubeziehen, ist hilfreich, um das angeblich auch biblisch begründete Konzept einer Geschlechterbinarität zu hinterfragen und die über die Zeit verdrängte Diversität biblischer Geschichten zu betonen.

Auch die Taufe der ersten nicht-jüdischen Person in Apg 8 kann auf diese Weise interpretiert werden. Es handelt sich um einen äthiopischen Eunuchen, der Schrift lesend auf seinem Rückweg aus Jerusalem von Philippus aufgegriffen wurde, woraufhin letzterer ihm die Lektüre auslegte und ihn anschließend taufte. Die Bibelstelle wird häufig als Erfüllung von Jes 56,3-5 verstanden, da dort gottesfürchtigen Eunuchen ein Platz in der Gemeinde prophezeit wird. Mittels der vorwandfreien Taufe durch Philippus wird der Eunuch in die entstehende Gemeinschaft der ersten Christ*innen aufgenommen. Da jener laut Apg 8 die erste getaufte nicht-jüdische Person ist und somit den Beginn der Ausbreitung des Christentums außerhalb des Judentums markiert, steht die Taufe des Eunuchen an einer prominenten Stelle im Neuen Testament.

Spuren von Geschlechtlichkeit jenseits binärer Konzepte

Die Spuren von Geschlechtlichkeit jenseits eines binären Konzeptes treten in der Bibel vereinzelt immer wieder hervor. Dabei wird deutlich, dass die Schrift die Last durch sie begründete Intergeschlechtlichkeit ablehnende Argumentationen nicht nur nicht tragen kann, sondern vielmehr Zeugnis ablegt für Gesellschaftskonzepte, die Raum für Geschlechtlichkeit neben Mann und Frau vorsahen. Die Auseinandersetzung mit jahrhundertealten Texten will und soll jedoch nicht dazu dienen, Erkenntnisse für die heutige Gendertheorie zu erschließen. Dennoch ist es wichtig, biblisch begründete Argumente gegen Intergeschlechtlichkeit zu beleuchten und sie anschließend zu dekonstruieren, um der darauf aufbauenden Interfeindlichkeit das Fundament zu entziehen. Dies eröffnet Wege, mögliche Spuren jenseits eines binären Geschlechtersystems, die über die Zeit durch das diskriminierende System der Geschlechtsbinarität überschattet wurden, neu ins Licht zu rücken.

Hashtag der Woche: #diversitybible


(Beitragsbild: @priscilladupreez)

1 Gross, Sally: Intersexuality and Scripture. In: Theology & Sexuality 11 (1999), S. 70.

2 Vgl. Coan, Stephen: The journey from Selwyn to Sally, (17.03.2021).

3 Kongregation für das katholische Bildungswesen: „Als Mann und Frau schuf er sie“ vom 02.02.2019, S. 13.

4 Kongregation für das katholische Bildungswesen: „Als Mann und Frau schuf er sie“ vom 02.02.2019, S. 13.

5 Als Merismus bezeichnet man die Nennung zweier gegensätzlichen Begriffe, die zusammen eine zwischen ihnen liegende Ganzheit ausdrücken.

6 Vgl. Scoralick, Ruth: Als Mann und Frau geschaffen? Die Bibel und ihre Leser*innen. In: Ammicht Quinn, Regina; Hotz-Davies, Ingrid; Bauer, Gero (Hg.): Die Naturalisierung des Geschlechts: Zur Beharrlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit. Bielefeld: transcript, 2018, S. 74.

7 Mt 19,12 (EÜ 2016).

8 Vgl. DeFranza, Megan: Virtuous Eunuchs: Troubling Conservative and Queer Readings of Intersex and the Bible. In: Cornwall Susannah (Hg.): Intersex, Theology, and the Bible. New York: Palgrave Macmillan, 2015, S. 57.

9 Vgl. Ringrose, Kathryn: The Perfect Servant: Eunuchs and the Social Construction of Gender in Byzantium. Chicago: University of Chicago Press, 2004, S. 82.

10 Vgl. DeFranza, Megan: Virtuous Eunuchs, S. 63.

11 Vgl. DeFranza, Megan: Virtuous Eunuchs, S. 67.

 

Print Friendly, PDF & Email

lisa baumeister

studiert Katholische Theologie und Islamwissenschaft in Freiburg. Sie ist dort studentische Hilfskraft bei der Alten Kirchengeschichte. Als Mitgründerin der Initiative #meinGottdiskriminiertnicht engagiert sie sich außerdem für eine diskriminierungsfreie röm.-kath. Kirche.

One Reply to “Diversität in der Bibel: Wege jenseits der Geschlechterbinarität”

  1. Ist der Hinweis auf einen „Merismus“ stichhaltig, wenn im sogenannten zweiten Schöpfungsbericht dem einsamen Adam ausdrücklich eine „gegenpolige“ Eva zugeführt wird, die allerdings seiner Herzgegend entstammt, seiner „Rippe“?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: