Im neuen Beitrag nach der Sommerpause meldet sich #ichbinthea zurück und schildert uns, vor welchen schwierigen Entscheidungen der Lebensplanung Theolog:innen stehen. Dabei ist die Karriere als Theolog:in nur selten ein Jet-set-life!

Liebe Lesende,

heute soll es nicht um Quoten und Rechtsgrundlagen gehen, sondern ich melde mich bei Euch mit einem persönlicheren Thema.

Mit Blick auf Stellenbesetzungsverfahren und Rechtsfragen stehen wir Theas (und nicht-priesterlichen Theos) in der Theologie besonderen Herausforderungen gegenüber. Diese entstehen im Wesentlichen dadurch, weil die akademische Theologie unter dem Einfluss von zwei stark regulierten und gleichzeitig regulativen Systemen unterliegt: Kirche und Universität. Beide Systeme nehmen Einfluss darauf, wie ich mein Leben gestalten kann. Das ist erstmal nichts Ungewöhnliches, allerdings ergibt sich für Theolog:innen durch die unterschiedlichen Systemlogiken einer spätmodernen Universität in einer globalisierten Welt und einer Kirche mit einem traditionellen Weltbild oft eine deutliche Spannung.

Ein Aspekt dieser Spannung zeigt sich an folgenden Fragen:

Wie möchte ich mein Leben in Beziehung zu anderen Menschen gestalten? Konkret: Möchte ich eine Partnerschaft eingehen, eine Familie gründen, einen Ort suchen, an dem ich ankommen und bleiben kann?

Wie in allen wichtigen Fragen des Lebens, ist hier kaum jemand wirklich frei in der Beantwortung, denn wir alle orientieren uns an Normen, Werten und Prinzipien unserer gesellschaftlichen und soziokulturellen Umgebung. Die beiden Systeme, in denen sich akademische Theolog:innen vorrangig bewegen, geben dabei (teils ungewollt) unterschiedliche Orientierungsmarken in Bezug auf diese Fragen vor.

Systemlogik der Kirche(n)

Systemlogik und Weltbild der Kirche(n) finden klare Worte und bieten damit ein hohes Maß an Orientierung, gibt es doch aus Sicht der katholischen Kirche (nur) zwei Lebensmodelle: Ehe oder geweihtes Leben. Entweder entscheidet man*frau sich für selbstgewählte Ehe- und Familienlosigkeit oder für eine Partnerschaft, die auf Ehe und Familiengründung ausgelegt ist.
Dieses binäre System beruht auf einem im Christentum tief verankertem dualistischen Weltbild, in dem die Verbindung zwischen Mann und Frau die innergöttliche Beziehung und damit die göttliche Liebe abbildet. Außerhalb der Ehe existieren aus kirchlicher Sicht lediglich drei sogenannte Verhältnisse, nämlich „Konkubinat, Ablehnung der Ehe als solcher und Unfähigkeit, sich durch langfristige Verpflichtungen zu binden“ (KKK, Nr. 2390).

Der Katechismus konstatiert darüber hinaus, dass diese drei Verhältnisse – also jedes Lebenskonzept, das nicht auf Ehe oder geweihtes Leben ausgerichtet ist – „die Würde der Ehe [verletzen]; sie zerstören den Grundgedanken der Familie; sie schwächen den Sinn für Treue“ [KKK, Nr. 2390] und schließen, sofern ein „Verhältnis“ mit sexuellen Aktivitäten existiert, vom Kommunionempfang aus.

Zwar wurde insbesondere von Papst Franziskus im Rahmen von apostolischen Schreiben wie Amoris Laetitia immer wieder darauf hingewiesen, dass so genannte irreguläre (also kirchenrechtlich nicht vorgesehene) Lebenssituationen der Heilung und Wiedereingliederung in die kirchliche Gemeinschaft bedürfen, und dass „man […] jedem Einzelnen helfen [muss], seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gemeinschaft teilzuhaben“ (AL 297). Damit wurde jedoch bisher weder an der grundsätzlichen Zweiheit von Lebenskonzepten gerüttelt, noch ist es möglich, diese Heilung ohne Hilfe der Kirche zu erfahren (AL 105). Dass kaum noch Menschen für die Kirche und in der Kirche arbeiten könnten, wenn diese prinzipiell gültige, offizielle Auffassung in der Praxis tatsächlich strikte Beachtung fände, brauche ich Euch wahrscheinlich nicht zu erzählen.

Gott geweihtes Leben

Der zweite aus kirchlicher Sicht zulässige Lebensstand ist die vita consecrata, das an Gott geweihte Leben. Es gibt unterschiedliche Formen des geweihten Lebens, in der Regel geht es hier aber um Priestertum oder zölibatäres Leben in Gemeinschaft mit anderen Menschen, die sich für die vita consecrata entschieden, haben. Der Grundgedanke hinter dieser Lebensform ist, dass sich im Leben der Menschen immer die (in dieser Denkform recht exklusive) Liebe Gottes abbilden muss – und wenn sie sich nicht in der Liebe zu einem einzigen Menschen des anderen Geschlechts abbildet, dann kann sie nur ausschließlich Gott zum Mittelpunkt haben. Das Zölibat dient darüber hinaus einer völligen Hingabe an den Gottes-Dienst, also den je eigenen Aufgaben und Pflichten gegenüber Gott und den Menschen, seien es nun caritative, pastorale oder andere Aufgabenbereiche.

Noch mehr Spannungen

Soweit so binär, und damit in seiner Zweifachheit recht einfach. Dass die Ausschließlichkeit dieses Weltbildes mit spätmodernen Vorstellungen von Partnerschaft und Lebensgestaltung kollidiert, muss ich wohl nicht extra erwähnen. Darüber hinaus ergibt sich aber durch die Kombination von Kirche und Universität für Theolog:innen eine besondere Spannung.

Karriere ist selten ein Jetset-Life

Prinzipiell macht die Universität keine Vorgaben zum Lebensstand von Personen, die sie einstellt – es wäre sogar undenkbar, denn in deutschsprachigen Ländern widerspräche das sämtlichen geltenden Anti-Diskriminierungsregelungen. Allerdings gehen mit der Qualifikationsstelle an der Universität (oft unausgesprochene) Erwartungen einher, die eines gewissen Lebensstils bedürfen. Platt gesagt: Möchten Wissenschaftler:innen an der Universität Karriere machen, müssen sie sich vor allem im Kontext von post-Doc Stellen auf starke Reisetätigkeiten, Flexibilität bezüglich des Arbeitsortes, Abendveranstaltungen und Nachtarbeit einstellen. Klassische Stellen wie „Akademischer Rat“, bei denen man* sich auf Lehre und Schreibtischarbeit konzentrieren und seine Stelle locker als nine to five-Job interpretieren konnte, gibt es kaum noch.

Einerseits gehören Tagungen, Symposien und Vorträge schlicht zum akademischen Diskurs und damit zum wissenschaftlichen Arbeitsleben dazu, andererseits geht es für den Lebenslauf ständig darum, sich weiter zu profilieren, herauszustechen – und zwar nicht nur mit wissenschaftlichen Positionen, sondern auch mit dem eigenen Namen und der Person.

Daher ist es ratsam, möglichst regelmäßig den Lebens- und Arbeitsort zu wechseln, damit man an möglichst vielen unterschiedlichen Orten gelebt, geforscht und gelehrt hat, denn Berufungen an der Heimatuniversität (so genannte ‚Hausberufungen‘) sind im deutschsprachigen Raum eher unüblich.
Eine solche Dynamik existiert, wenn man den Geschichten meiner Vorgänger:innen glauben darf, schon länger, jedoch hat sie sich durch Internationalisierung und Globalisierung verschärft. Nun kommt es nämlich nicht mehr nur darauf an, überhaupt Tagungen zu besuchen, Vorträge zu halten und sich an unterschiedlichen Standorten zu profilieren, sondern es wird darüber hinaus erwartet, dass dies auch noch in unterschiedlichen Kontexten, Fächern und idealerweise auf unterschiedlichen Kontinenten geschieht.

Distance living

Daher werden Fragen der Lebensführung auch hier zunehmend relevant: Was ist, wenn meine derzeitige Stelle nicht entfristet wird, meine Familie aber bereits zweimal mit mir umgezogen ist? Kann ich auf längere Sicht ein Leben auf Distanz zu den Menschen, die ich liebe, führen? Oder schaffe ich es, neben meinem Beruf auch noch mein Privatleben erfolgreich zu managen und idealerweise genießen zu können, wenn zwischen Arbeitsort und Lebensmittelpunkt 400km liegen? Neben dem Karriereweg an der Universität engagierter Teil einer funktionierenden Familie zu sein, ist wohl, wie #ichbinhanna  thematisiert, nie leicht.

Nun kann ich mich für ein solches Leben unter kapitalistischen, neoliberalen und spätmodernen Paradigmen, die der Karriere die absolute Priorität einräumen, natürlich frei entscheiden. Und es ist mit Sicherheit aufregend: Ständig neue Leute, fremde Länder, neue Themen, heute hier und morgen dort, zwischendurch ein bisschen Forschung. Im Grunde bedeutet das, dass ich auf niemanden Rücksicht nehmen muss und die Welt steht mir bis zuletzt offen – für Millennials wie mich eigentlich keine schlechte Lebensperspektive.

Druck von der anderen Seite

Doch in keinem anderen Arbeitsbereich, in dem der Karriereweg ein hohes Maß an Flexibilität erfordert, übt ein zweites System mit hohen moralischen Ansprüchen großen Druck aus. Denn aus kirchlicher Perspektive lebe ich eben dann, wenn ich mich weder für Ehe (und in der Konsequenz eben für Kinder) noch für die vita consecrata entscheide, in einem nicht anerkannten und seitens der kirchlichen Lehre verwerflichen Lebensmodell. Ein solcher Vorbehalt lässt sich auf Dauer nur schwer ausklammern und kann mitunter Folgen für die psychische und physische Gesundheit haben. Denn hier tut sich eben nicht nur ein organisatorischer Abgrund zwischen dem, was das eine System fordert, und dem, was das andere System verlangt, auf. Ohne sagen zu wollen, dass Theolog:innen grundsätzlich moralisch denkende und handelnde Menschen sind, kann ich aus meiner eigenen Erfahrung berichten, dass ein Leben zwischen diesen Anspruchswelten zu tiefen inneren Konflikten führen kann. Ich fühle mich nicht frei, meine Lebenspraxis nach meinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Entschließe ich mich nämlich bewusst – und nicht auf Grund eines Schicksalsschlages – für ein anderes Lebensmodell (gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft, Leben in wilder Ehe, Alleinerziehende:r, wiederverheiratet geschieden etc.), muss ich entweder eine gewisse moralische Flexibilität mitbringen und eine Art Doppelleben führen oder wiederum Angst um meine Lehrbefähigung haben. Denn spätestens, wenn es um die Berufungsfähigkeit und das nihil obstat geht, werde ich die Frage beantworten müssen, ob meine Lebensgestaltung der Morallehre der katholischen Kirche entspricht.

Soweit, so belastend

Für mich stellt sich die Frage nach der Ehe zwar nicht mehr, allerdings habe ich – angesichts der Tatsache, dass ein steiniger Jet-Set-Weg vor mir liegt – noch nicht entschieden, ob ich Kinder möchte bzw. sie mir leisten kann. Auch das werde ich aber in meinem Arbeitsumfeld lieber nicht thematisieren, denn Eheleute, die sich bewusst gegen Nachkommenschaft entscheiden, passen leider auch nicht in das kirchliche Weltbild.

Für viele Menschen ist diese Spannung zwischen zwei Anspruchswelten ein ausschlaggebender Faktor, sich gegen die universitäre Laufbahn zu entscheiden. Erfahrungsberichte dazu hat das Projekt Leerstelle der Jungen AGENDA auf feinschwarz.net gesammelt. Und falls Ihr selbst etwas darüber erzählen zu habt, freue ich mich auf Eure Geschichten, die Ihr gerne an thea@y-nachten.de schicken könnt.

Alles Liebe und guten Start ins neue Arbeitsjahr,

Eure Thea

 

Hashtag: #IchBinThea


Beitragsbild: Eutah Mizushima / Unsplash

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#IchBinThea

ist weiblich, Ende 30, seit kurzem verheiratet und hat (noch) keine Kinder. Ihre Promotion in katholischer Theologie hat sie auf einer Assistenzstelle in Deutschland verfasst. Derzeit arbeitet sie in einem Drittmittel-Projekt in Österreich an ihrer Habilitation. Wie ihre Kolleginnen Hanna und Reyhan ist sie keine reale Person, sondern eine statistische. Unter diesem Profil werden auf y-nachten.de Beiträge und Geschichten zur prekären Lage junger Theolog*innen erscheinen. Wenn auch du von deinen eigenen Erfahrungen berichten möchtest, schreib uns an thea@y-nachten.de

One Reply to “#IchBinThea – Familie oder Jet-set-life?”

  1. Interessanter Beitrag! Es war mir nicht klar, dass es außer dem Zölibat und der generellen Benachteiligung von Frauen in der katholischen noch andere Einschränkungen gibt, die die Entscheidung zwischen Karriere und Familie besonders für Frauen noch schwieriger machen als z. B. in der Wirtschaft.

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