In unserem Special #IchBinThea berichtet die fiktive Person Thea vom wissenschatlichen Prekariat in der Theologie und bietet eine Plattform Jungwissenschaftler*innen über ihre eigenen Erfahrungen zu erzählen. Im neuen Beitrag erzählt uns Thea von den rechtlichen Rahmenbedingungen, die ihr auf dem Weg zu einer Professur so manche Steine in den Weg legen. 

Liebe Lesende,

heute und nächsten Monat will ich euch von den rechtlichen Rahmenbedingungen in der Wissenschaft erzählen – euch also auf eine Dschungelexpedition in die Urwälder des Rechts entführen.Für mich als Theologin gelten nicht nur die europäischen und nationalen Bestimmungen, sondern auch die Richtlinien des Vatikanstaates, juristisch gesprochen des Hl. Stuhls. Dieses Mal werde ich nur von Letzteren sprechen – und muss dafür etwas weiter ausholen. Deshalb gibt es dieses Mal auch ein wenig Latein, weil das die rechtlich gültige Sprache in diesen Fällen ist, aber keine Sorge, ihr versteht es auch so 😉

Auf dem Weg zur Professur…

Grundsätzlich gibt es für die Arbeit an einer Hochschule und besonders für die Professuren eine Reihe von Faktoren, die man erfüllen muss. Man kann sie in die formellen und informellen Bereiche aufteilen, z.B. Qualifikationsschriften, Vernetzung, Internationalität etc. Über die Auswirkungen von Vitamin B und die Studien von Pierre Bourdieu rede ich ein anderes Mal.

Auf Seiten der röm.-kath. Kirche gibt es bereits in diesen Rahmenbedingungen eine ganze Reihe von Vorgaben, die über die staatlichen Bestimmungen hinausgehen.

Ein wichtiger Einschnitt ist – wie so oft – das II. Vatikanum. Hier wurden die bestehenden Rechtsnormen in Bezug auf katholische Bildungseinrichtungen und das Theologiestudium zur Neubearbeitung beschlossen, sodass sie die Grundlage der heutigen Rechtsprechung legten. Besonders wichtig sind hier zwei Konzilsdokumente, die am gleichen Tag beschlossen wurden: Einerseits das Bildungsdokument „Gravissimum Educationis“ (28.10.1965), denn es legt in den Nr. 10 und 11 fest, dass es eine Neuordnung des Theologiestudiums braucht. Das zweite Dokument „Optatam Totius“ (28.10.1965) ist die Grundlage der Priesterausbildung, für welche der Studienbetrieb in erster Regel aufrechterhalten wird.

Bei beiden Dokumenten sollte es Jahre dauern, bis die bisherigen Ordnungen als Übergangsregelungen abgelöst werden konnten. Zeitgleich fanden aber im Umfeld der Nachkriegszeit und dann der 1968er-Bewegungen Umstrukturierungen von Staatsseite im Hochschulbetrieb statt, sodass die ehemaligen Priesterseminar-Kollegien oftmals die Chance hatten, sich in neu gegründete Universitäten als Fakultäten einzugliedern. Für diese mussten Bestimmungen gefunden werden, die deshalb zum Teil auf vorkonziliaren Rechtsgrundlagen beruhten und vermutlich heute noch Spuren in ihren Satzungen haben.

Priesterquote

1970 erschien dann zunächst einmal die Grundordnung der Priesterausbildung (die sogenannte „ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis“), welche immer wieder einmal aktualisiert wird. Aus ihr stammt die Feststellung (Nr. 33), dass es für Priester wichtig sei, in der Regel durch Priester ausgebildet zu werden, nicht nur im Seminar, sondern auch im Professorium („communiter sint sacerdotes“ – „Im Allgemeinen sollen die Professoren … Priester sein“). 1970 mag eine solche Feststellung noch uninteressant gewesen sein, weil ohnehin (fast) nur Priester Theologie unterrichteten. Faktisch führte diese inoffizielle Quote aber zu einem Usus, der mindestens 50% eines Professoriums pro Bildungseinrichtung als Priester vorsieht – und auch gegenwärtig noch von Bischöfen exerziert wird, wie das Beispiel der beiden Bibelwissenschaftlichen Besetzungsverfahren in Bonn kürzlich gezeigt hat. In der aktuellsten Version „Veritatis Gaudium“ (VG) Nr. 76 § 1 findet sich dieser Absatz in leichter Abwandlung („congruus adsit numerus docentium presbyterorum“ – „dass eine angemessene Anzahl der Dozenten Priester sind“) weiterhin. Was bedeutet diese Quote in der Theorie für mich?

Als nicht-Priester gibt es eine Quote, die unabhängig von meiner Qualifikation gegen mich arbeitet.

Für meine männlichen Kollegen, die Laien sind, bedeutet dies, dass sie gegen zwei Quoten in einem Verfahren bestehen müssen, von denen nur eine, nämlich die Gleichstellungsquote, außerhalb der Theologie üblich ist. Mein Prekariat verschärft sich also, außer ich bin Priester – was aufgrund meines Geschlechtes und Lebensstandes (verheiratet) nicht möglich ist.

Am 15.04.1979 erschien mit der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ (SapC) die Umsetzung der 1965 angekündigten Reform. Sie gilt auch heute noch unter Einschränkung, auch wenn es mit „Veritatis Gaudium“ (08.12.2017) ein neues Dokument gibt (VG Nr. V5; 94). Diese Dokumente bilden gemeinsam mit Dokumenten der Bildungskongregation die Grundlage der nachfolgenden Rechtssituation.

Der ‚MC‘ entscheidet

Grundsätzlich sieht die römisch-katholische Kirche sich selbst im Recht, Bildungseinrichtungen aufzubauen und zu betreiben, d.h. von der Errichtung und Finanzierung, über die Personaleinstellung und –entlassung bis hin zu den Studienplänen läuft alles direkt oder indirekt über den Heiligen Stuhl; das betrifft auch Angestellte an staatlichen Einrichtungen, die Theologie unterrichten (SapC Nr. 1; 5-10; 20 §2; VG Nr. 1; 5-10; 20; 30).

Um diesen riesigen Arbeitsaufwand weltweit bewältigen zu können, werden Personen direkt vor Ort eingesetzt, die sich um die meisten Belange des Vatikans stellvertretend kümmern. Diese Person wird „Großkanzler“ (magnus cancellarius/ MC) genannt und ist in aller Regel der Ortsordinarius, d.h. der Bischof oder der Ordensobere, also ein geweihter Mann (SapC Nr. 12-14; VG Nr. 12-14). Die Wahrung der Selbstverwaltung der Universität bzw. Fakultät sieht zusätzlich Rektor*innen oder Dekan*innen vor. Diese sollen einerseits von den Leitern der Priesterseminare unterscheidbar sein, die der Bischof ernennt, andererseits brauchen sie für Ihre Amtszeit eine Bestätigung und Ernennung aus der Bildungskongregation in Rom (SapC 18; VG 21) – eine gelegentlich spannungsgeladene Situation, wie uns die „Causa Wucherpfennig“ 2018 in Erinnerung gerufen hat.

Doppelt gemoppelt

Vergleichen wir das mit der säkularen Universität, so heißt das konkret: für eine Berufung muss ich als Theologin nicht nur mit dem staatlich bestellten Rektorat und Dekanat verhandeln, sondern Dekan*in und ggf. Rektor*in brauchen eine Genehmigung von Nationalstaat und Hl. Stuhl. Darüber hinaus braucht es auch noch die Zustimmung des Bischofs vor Ort und in manchen Fällen, wie wir gleich sehen werden, eine römische Genehmigung – das gesamte System ist also nicht nur doppelt sondern dreifach komplexer in der römisch-katholischen Theologie. Welche Rolle dabei Konkordate und das Staats-Kirchen-Recht spielen, erzähle ich euch das nächste Mal.

Treueeide und nichts steht dagegen…

Gehen wir nun davon aus, ich schaffe es, als Professorin ausgewählt zu werden. Dann gibt es mit den staatlichen Gutachten ein klares Prüfungsverfahren, das alle in der Wissenschaft zur Genüge kennen. Darüber hinaus gibt es auch noch ein kirchliches Procedere. Auch von dieser Seite müssen die facheinschlägige und wissenschaftliche Qualifikation bestätigt werden (SapC Nr. 25; VG 25). Diese wird aber in Nr. 26 ergänzt um eine Prüfung der eigenen Konformität. Übersetzt wird der Nachweis eines „vorbildlichen Lebens, der Übereinstimmung mit der Lehre und Pflichtbewusstsein“, besonders wenn das theologische Fach sich mit „Sitten und Glauben“ der Kirche befasst („ius et mores“). Diese Übereinstimmung ist durch einen eigenen Treueeid bei der Ernennung zu belegen (Nr.27; c.810 u. c.833 CIC/1983), den man professio fidei nennt. Erst wenn dies alles geschehen und die Prüfung positiv beschieden ist, erhält man die finale Freigabe, das nihil obstat, das teils vom MC, teils von Rom aus gegeben werden muss (Nr. 21; 27; 28; außerdem SapC Vorwort III-IV; Nr. 2; 3).

Das alles klingt zunächst einfach, dahinter können aber Probleme stecken, die eine Reihe meiner Kolleg*innen direkt betreffen.

So gab es Zeiten, in denen der offene Einsatz für die Frauenweihe bereits ein Verstoß war, das unverheiratete Zusammenleben oder das Leben in einer nicht-heterosexuellen Beziehung u.v.m. wurden und werden zu Hindernissen. Dies gilt natürlich nicht nur am Anfang, auch später kann man jederzeit die Lehrerlaubnis verlieren.

Ein letzter Punkt noch, der die Selbstzensur an Lehre und Identität, in die viele geraten können, verschärft, ist die katholische Definition von „Freiheit in der Lehre“. Ebenso wie man an der säkularen Universität nichts Staatsgefährdendes unterrichten darf, dürfen auch von den katholischen Dozent*innen keine Aussagen getätigt werden, die gegen ius et mores verstoßen (VG Nr. 38 u.39), im Grundstudium sollen nicht einmal lehramtlich umstrittene Themen behandelt werden (SapC Nr. 70; VG Nr. 73).

Ernüchternde Bilanz

Lichten wir am Ende noch einmal kurz das Dickicht:

  • Über die staatlichen Anforderungen für eine Fixanstellung hinaus gibt es von der Kirche ein eigenes Recht, das zusätzlich zum lokalen Recht eingehalten werden muss.
  • Dieses Recht setzt eine zusätzliche Person über mich ein (MC), schafft faktisch eine zusätzliche Quotenregelung für Priester, erfordert für alle entfristeten Stellen mindestens eine zusätzliche Bestätigung („nihil obstat“ – „nichts zu beanstanden“), bei der nicht nur meine wissenschaftliche und strafrechtliche Situation, sondern auch mein allgemeiner Lebensstand auf Konformität geprüft werden darf.
  • Sollte ich dagegen verstoßen, kann ich jederzeit die Lehrerlaubnis und damit die konkrete Stelle – an kirchlichen Einrichtungen sogar die Anstellung – verlieren.
  • Als Sahnehäubchen bedeutet dies, dass alle Verfahren wesentlich länger dauern, was bei auslaufenden Arbeitsverträgen den finanziellen Druck zusätzlich erhöht.

Ich hoffe, Ihr lasst euch damit nicht vom Weiterlesen oder –forschen entmutigen. Nächstes Mal schauen wir uns die konkrete Umsetzung dieser Rechtsvorgaben im deutschen Sprachraum an. Bis dahin genießt die sonnigen Temperaturen!

Eure Thea

 

Hashtag: #IchBinThea


Beitragsbild: Chris Abney on Unsplash

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#IchBinThea

ist weiblich, Ende 30, seit kurzem verheiratet und hat (noch) keine Kinder. Ihre Promotion in katholischer Theologie hat sie auf einer Assistenzstelle in Deutschland verfasst. Derzeit arbeitet sie in einem Drittmittel-Projekt in Österreich an ihrer Habilitation. Wie ihre Kolleginnen Hanna und Reyhan ist sie keine reale Person, sondern eine statistische. Unter diesem Profil werden auf y-nachten.de Beiträge und Geschichten zur prekären Lage junger Theolog*innen erscheinen. Wenn auch du von deinen eigenen Erfahrungen berichten möchtest, schreib uns an thea@y-nachten.de

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