Einen Tiefpunkt erlebte der Synodale Weg bei der vierten Vollversammlung. Juliane Eckstein über einschneidende Tage in Frankfurt, das Lernen von Synodalität – und mit einer klaren Kritik. 

„Willkommen in der Welt der Betroffenen!“ Derart lakonisch kommentierte Johannes Norpoth, der Sprecher des DBK-Betroffenenbeirats, das Scheitern des Grundtextes zu einer Neuformulierung der kirchlichen Sexualmoral. Am Donnerstag, den 8. September, war der Synodale Weg zu seiner Vierten Vollversammlung zusammengetreten. Zur Erinnerung: Diesen hatten die römisch-katholischen Bischöfe in Deutschland (DBK) 2019 zusammen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) eingerichtet. Das ZdK hatte sich langem Ringen bereiterklärt, zusammen mit den Bischöfen nach Antworten auf die Erkenntnisse der MHG-Studie zu suchen.

Die Bischöfe hatten damals erkannt, dass nicht nur die Kirche, sondern auch das Bischofsamt in einer tiefen Krise steckte. Die Bischöfe hatten erkannt, dass sie die strukturellen Ursachen dieses Versagens nicht allein würden beheben können, sie, die sich nicht nur als unfähig erwiesen hatten, Missbrauch zu verhindern, sondern diesen auch systematisch vertuscht hatten.

So konnte man meinen. Seitdem waren auf zahlreichen Pressekonferenzen erschütterte bischöfliche Gesichter zu besichtigen, wenn ein weiteres Gutachten Bischöfen eklatantes Versagen attestierte. Das änderte aber nichts daran, dass die Bischöfe Entscheidungen in Sachen Entschädigung – im katholischen Jargon „Zahlungen zur Anerkennung des Leids“ – nach wie vor im Alleingang treffen und durchsetzen. Deutlich wurde dies auf der Vollversammlung, als der scheidende DBK-Missbrauchsbeauftragte, Bischof Stefan Ackermann, seinen Bericht vorstellte: Er beschrieb das eingerichtete Verfahren zu den Anerkennungszahlungen, stellte fest, dass sich die DBK trotz vehementer Kritik des Betroffenbeirats mit selbigen nicht auf eine Neuordnung einigen konnte, und verkündete: „WIR bleiben beim etablierten Verfahren.“ Wir, die Bischöfe. Die DBK entscheidet, die Betroffenen haben sich zu fügen.

Von Ohnmachtsgefühl und Regelwerk

Das damit einhergehende Ohnmachtsgefühl durfte bei dieser Vollversammlung auch der nicht-bischöfliche Teil des Synodalen Wegs kosten, als der bereits erwähnte Grundlagentext zur Sexualität in 2. Lesung 61,11 % der bischöflichen Stimmen erhielt – 4,98 % weniger als erforderlich. Die gesamte Vollversammlung hatte den Text mit 84,71 % der Stimmen angenommen. Nur nützte das wegen der satzungsgemäßen Sperrminorität der Bischöfe nichts.

Nun entsprach dies dem vereinbarten Regelwerk. Alle Mitglieder der Vollversammlung sind in ihrer Entscheidung frei und nicht weisungsgebunden. Bischöfe haben das Recht, einer Beschlussvorlage nicht zuzustimmen. Es war erwartbar, dass irgendwann ein erarbeiteter Text die erforderliche doppelte Zweidrittelmehrheit verpassen würde. Dass es ausgerechnet einen Grundtext traf, und dazu den ersten der Vierten Vollversammlung, war aus Sicht der meisten Synodalen furchtbar, hätte von ihnen aber mit Fassung getragen werden müssen.

Wo war der Diskurs?

Das Problem lag an anderer Stelle. Der Abstimmung voraus ging eine größtenteils wohlwollende Debatte. Nur wenige Beiträge signalisierten Bedenken oder gar Ablehnung. Weit vor der Vollversammlung hatten alle Teilnehmenden die Texte zur Lektüre erhalten und die Möglichkeit gehabt, Einwände in einem Online-Tool zu notieren und Änderungsanträge zu stellen. Sie hätten intern oder in der öffentlichen Debatte signalisieren können, was ihnen Bauchschmerzen bereitet. Das verantwortliche Forum IV hatte im Vorfeld ein Hearing für alle Synodalen sowie ein eigenes Bischofs-Hearing abgehalten, bei dem Probleme im geschützten Rahmen zur Sprache hätten kommen können. Nur ein Bruchteil der Bischöfe hatte diese Möglichkeit wahrgenommen.

Wahr ist andererseits auch, dass alle Termine und Fristen in den Sommer und damit in die Urlaubszeit fielen. Zutreffend ist, dass die Antragskommission nur triviale Änderungsanträge zur Einzelentscheidung vorschlug, während sie solch gesellschaftlich strittige Themen wie die Frage nach der Zweigeschlechtlichkeit umschifften. Eventuell in der Hoffnung, dass es niemand mitbekommt.

Dass diese Strategie nach hinten losgehen könnte, ließ sich erahnen, als Bischof Gebhard Fürst Bedenken gegen die vermeintliche Aufgabe der Kategorien „männlich“ und „weiblich“ anmeldete, und zwar mit Rückgriff auf Gespräche mit der Biologin Christiane Nüsslein-Volhard. Nun fordert der Grundtext dies gar nicht. Er nimmt lediglich Realitäten wahr, die über die Binarität von männlich und weiblich hinausgehen (B.2.2). Zudem fordert er eine Nichtdiskriminierung von inter* und trans* Personen (B.2.4), im Grunde also eine Selbstverständlichkeit. Es wäre gut gewesen, wenn Mitglieder des Forums vor der Abstimmung auf diese Fakten hingewiesen hätten, wenngleich nicht sicher ist, ob dies dem Text die fehlenden bischöflichen Stimmen gesichert hätte.

Am Tiefpunkt – und wie es weiter ging

Mit dem Scheitern dieser ersten Schlussabstimmung erreichte die Vollversammlung bereits ihren Tiefpunkt. Queere Synodale, die sich im Laufe der letzten Jahre exponiert hatten, die ihre Zeit und Energie in die Entstehung der Texte hatten einfließen lassen, die sich im Laufe der Debatten schon vieles Verletzende hatten anhören müssen, verstanden die fehlende Zustimmung zum Text nicht nur als Missachtung ihrer Arbeit, sondern auch als Ablehnung ihrer Identität und als ein Herumtrampeln auf ihrem mühsamen Ringen um einen tragfähigen Glauben in der römisch-katholischen Kirche. Auch nicht-queere Teile der Vollversammlung waren empört. Sie ahnten, dass auf diese Weise auch weitere Texte mit einem schnellen, anonymen Druck auf den Nein-Knopf die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe verpassen würden.

Nach einer öffentlichen Aussprache und getrennten nicht-öffentlichen Sitzungen von DBK und ZdK entschloss sich die Vollversammlung, fortzufahren – allerdings unter geänderten Bedingungen. In den folgenden Tagen gingen die Antragskommissionen behutsamer mit den Änderungsanträgen um, stellten kritische Punkte zur Debatte. Die Moderation gab mit zwei Minuten pro Person mehr Zeit für die Aussprache, die Redelisten blieben länger geöffnet. Es wurde im Vorfeld mehr abgesprochen, die Bischöfe zogen sich vor jeder Schlussabstimmung zurück, um sich zu beraten. Änderungsvorschläge in letzter Minute erhöhten die Zustimmung zu den Texten. Nicht zuletzt scheinen die fortan routinemäßig beantragten namentlichen Abstimmungen mehr Ja-Stimmen oder zumindest Enthaltungen gesichert zu haben. Dies ist insofern überraschend, als dass es bei vorherigen Vollversammlungen stets hieß, eine geheime Abstimmung würde besonders Weihbischöfen die Zustimmung zu den Texten erleichtern. Das Gegenteil ist der Fall, was die Bedeutung von öffentlicher Rechenschaft unterstreicht.

Die Revolution bleibt aus

In einem Redebeitrag kritisierte die Wiener Theologieprofessorin Marianne Schlosser, der später beschlossene Grundlagentext zu „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ sei im Grunde strukturkonservativ. Damit hat sie Recht. Der Grundlagentext bestätigt das Prinzip einer hierarchisch verfassten Kirche sowie die Bedeutsamkeit des Weiheamtes. Der nicht verabschiedete Grundlagentext zur Sexualmoral geht davon aus, dass Kirche noch irgendetwas zur Sexualmoral sagen sollte. Der Handlungstext zur kirchlichen Grundordnung hinterfragt die Existenz des kirchlichen Arbeitsrechts nicht. Der nicht besprochene Grundlagentext zum priesterlichen Dienst begründet die Notwendigkeit von Priestern. Der Handlungstext zur Spendung von Sakramenten durch Frauen setzt die Notwendigkeit der Sakramentenspendung voraus. Nicht zuletzt forderten die Synodalen von den Bischöfen ein Ausfüllen ihres Amtes – nicht deren Abschaffung.

Function follows Form. Eine Revolution ist das nicht.

Die Belange der Betroffenen stehen nicht im Mittelpunkt

Dennoch war die Vollversammlung ein gewaltiger Lernschritt in Sachen Synodalität – für alle Seiten. Es bleibt ein Wermutstropfen: Angesichts dessen, was das ZdK mit seiner geballten Wut und seinem kollektiven Druck für den Fortgang des Synodalen Wegs erreicht hat, drängt sich der Verdacht auf, dass sich auch in Sachen Anerkennungsleistungen viel mehr bewegen würde, wenn die organisierte katholische Lai*innenschaft genauso vehement für die Anliegen der Betroffenen kämpfen würde wie für den Synodalen Weg.

Nicht immer stehen sie im Mittelpunkt des Synodalen Wegs. Wiederholt mahnte Fr. Simon Hacker an, die Debatten um einen zukünftigen Synodalen Rat nicht ausufern zu lassen, damit noch Zeit für den Handlungstext „Homosexualität von Priestern“ sein würde. Angesichts des in der MHG-Studie beschriebenen Tätertyps III – des „regressiv-unreifen“ – sollte eine Enttabuisierung homosexueller Priester absolute Priorität haben, zumal sie noch nicht einmal der derzeitigen katholischen Sexualmoral widerspricht. Der Text zu „sexueller Gewalt gegen Frauen in der Kirche“ fiel ganz von der Tagesordnung und wird daher auf dem Synodalen Weg nicht mehr endgültig verabschiedet werden können. Nicht nur die Bischöfe, auch die organisierten Lai:innen haben noch einen weiten Weg zurückzulegen, bis sie die Belange der Betroffenen wirklich in den Mittelpunkt stellen.

Hashtag der Woche: #SynodalerWeg


(Beitragsbild @YuryRymko)

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juliane eckstein

ist diplomierte Dolmetscherin und hat später in München und in Jerusalem Katholische Theologie studiert. Sie hat im Alten Testament über das hebräische Ijobbuch promoviert und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Sankt Georgen. Sie findet die derzeitigen Umbrüche in der Kirchenszene spannend.

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