Vom 03. bis 05. März 2024 fand die vom Theologischen Forum Christentum – Islam organisierte Tagung zum Thema Künstliche Intelligenz statt. Im interreligiösen Austausch wurden die Herausforderungen und Chancen von KI sowohl im Allgemeinen als auch insbesondere für Theologie und religiöse Praxis diskutiert. Lisa Baumeister war dabei und berichtet für uns.

Beim Sprechen über künstliche Intelligenz ist häufig die Assoziation zu anthropomorphen Robotern nicht weit, die durch technologischen Fortschritt mit der Zeit ihrem menschlichen Schöpfer entgleiten und sich schließlich gegen diesen stellen. Diese Vorstellung ist Grundlage zahlreicher Science-Fiction-Filme und -Literatur und bedient sich an Ideen des technologischen Posthumanismus. Dabei handelt es sich um eine Technikutopie, die die Überwindung des Menschseins vorsieht. Der Mensch wird auf die Existenz als reine Informationsverarbeitungsmaschine reduziert, dessen „Hardware“ austauschbar ist. Oliver Krüger zitierte in seinem Vortrag Frank Tipler, der die Idee vertritt, dass Roboter als weniger fehleranfällige Maschinen die menschliche „Software“ kopieren und den Menschen evolutionär ablösen könnten. Das gesamte Universum könnte dadurch mit einer Art unsterblicher Intelligenz befüllt werden.[1] Der technologische Posthumanismus ist vom Transhumanismus zu unterscheiden, der als Ziel die Optimierung des Menschen durch technischen Fortschritt verfolgt, z. B. in Form von Cyborgs, Kryonik oder Mind-Uploading[2].

Zwischen Realität und Fiktion: Was kann KI?

Die Medienethikerin Claudia Paganini betonte, dass diese Darstellungen in Science-Fiction-Werken wenig Ähnlichkeiten mit tatsächlich derzeit existierenden Formen von Künstlicher Intelligenz haben. Dabei handelt es sich weniger um menschenähnliche Roboter als um Software-Programme wie beispielsweise Chat-GPT.

Die Anthropomorphisierung bzw. Verzauberung von KI und die gleichzeitige Rationalisierung des Menschen als reine Datenverarbeitungsmaschine nähren jedoch diese filmischen Vorstellungen.

Der Idee von Künstlicher Intelligenz als ein selbstständiger, menschlich denkender Roboter, der potenziell die Welt übernehmen wird, setzt Oliver Krüger entgegen, dass unzählige Klick-Worker KI-Programme und ihre Algorithmen trainieren müssen. Unangemessene und potenziell verstörende Inhalte werden unter ökonomischer Ausbeutung und ohne psychologische Betreuung von Menschen herausgefiltert. Die Verschleierung dieser Prozesse und die damit einhergehende Mystifizierung von KI wird laut Krüger nicht nur eingesetzt, um diese ökonomischen Verhältnisse zu verdecken, sondern auch, um die eigene wissenschaftliche Leistung zu glorifizieren.

Ethische Perspektiven auf KI aus Sicht von Islam und Christentum

Die Fortschritte in der KI-Forschung führen zu neuen ethischen Diskussionen. Die Arbeitsbedingungen in neu entstehenden Berufsfeldern sind nur ein Beispiel, ebenso wie die Fragen zu Schuld und Verantwortung, bei z. B. Fehldiagnosen oder Unfällen durch die Nutzung von KI.

Mira Sievers, Professorin für Islamische Glaubensgrundlagen, Philosophie und Ethik in Berlin, erklärt, dass ethische Reflexionen von Digitalität und KI in der Islamischen Theologie häufig mit ašʿaritischen Schaden-Nutzen-Abwägungen getätigt werden, da islamische Quellen diese Themen nicht direkt adressieren.

Ein wichtiger Vertreter dieser konsequentialistischen ethischen Theorie ist Faḫr ad-dīn ar-Rāzī (gest. 1210). Laut ihm sollen durch die Verhältnisbestimmung von Nutzen und Schaden Erkenntnisse über neue Fragestellungen gewonnen werden, über die die Offenbarung nicht direkt Auskunft gibt. Dieses Vorgehen sieht sich wegen einer Tendenz zum strikten Utilitarismus kritisiert. Die Frage nach Kriterien und der Gewichtung von Faktoren könnte laut Sievers mehr individuelle Aspekte berücksichtigen, um situationsbezogenere Urteile zu ermöglichen. Sievers schlägt vor, sich in der ethischen Reflexion die dem Islam eigenen Werte in Erinnerung zu rufen und miteinander in ein Verhältnis zu setzen. In Bezug auf KI-Programme kann das beispielsweise folgendermaßen aussehen: Die Verwendung von personenbezogenen Daten kann ihrer Weiterentwicklung dienen, schadet aber auch der Privatsphäre der Nutzer*innen. In der islamischen Tradition wird der Wert der Privatsphäre häufig betont und muss deswegen in besonderer Weise in die Abwägung von Schaden und Nutzen einfließen.

Einen anderen Ansatz für den grundsätzlichen Umgang mit neuen Formen von Digitalität und Künstlicher Intelligenz wählt der evangelische Theologe Hendrik Klinge, indem er an folgende Kantische Grundregel erinnert. Der Mensch ist niemals bloß als Mittel, sondern immer als Zweck zu betrachten. Für die KI jedoch dreht er den Satz von einem Verbot zu einem Gebot der Instrumentalisierung um, dass die Technik stets nur als Mittel und niemals als Zweck angesehen werden dürfte.

Zwischen Vulnerabilität und Optimierungszwang

Doch woher rührt eigentlich der Wunsch, den Menschen durch immer weitere technische Möglichkeiten stetig optimieren, updaten und erweitern zu wollen? Klinge sieht den Ursprung dessen in der menschlichen Erfahrung der Endlichkeit.

Der Mensch erlebe dies als Begrenzung bzw. Mangel, den es durch das Streben nach Unsterblichkeit zu überwinden gelte. Dieser Wunsch stünde allerdings dem göttlichen Schöpfungswillen entgegen, da Gott sich in der Menschwerdung gerade zum Menschen in seiner endlichen Geschöpflichkeit bekenne.

Klinge versteht die Inkarnation weiter als eine theologische Kritik an der Übermenschlichkeit und betrachtet die christologischen Vorstellungen als unvereinbar mit denen des technologischen Posthumanismus.

Die Freiburger Bildungsreferentin für Inklusion und Seelsorge, Hanna Braun, sieht gerade in der Vulnerabilität des Menschen einen Ansatzpunkt der Gottesebenbildlichkeit (Gen 1,27). Gott habe sich im Entschluss zur Schöpfung aus freien Stücken vulnerabel und beeinflussbar gemacht, um in Beziehung zu treten. In der Menschwerdung als schwaches Kind in einer Krippe und im Tod am Kreuz teile Gott die menschliche Erfahrung von Vulnerabilität. Diese sei ambivalent, weil sie nicht nur Verletzung, sondern auch Beziehungsfähigkeit bedeutet.

Die Anerkennung der menschlichen Begrenzung und Vulnerabilität sieht Braun als Chance, durch die der Drang nach stetiger Optimierung des Menschen überflüssig wird und das Genug-Sein des Ist-Zustandes anerkannt werden kann.

Das Konzept der Vulnerabilität Gottes wurde in der Diskussion von islamischer Seite aufgrund des Glaubens an die Majestät und Erhabenheit des unbeeinflussbaren souveränen Gottes eher kritisch betrachtet. Das Angenommensein des fehlerhaften Menschen durch Gott ist laut der Systematischen Theologin Muna Tatari allerdings auch im Islam ein zentrales Element. Das zeige sich beispielsweise darin, dass die größte thematische Gruppe der 99 Namen Gottes dessen Barmherzigkeit gegenüber dem fehlbaren, erlösungsbedürftigen Menschen zum Ausdruck bringen.

Potenziale digitaler Welten

Zum Schluss der Tagung wurde außerdem über das Potenzial, aber auch die Herausforderungen der neuen digitalen Möglichkeiten diskutiert. Auf der einen Seite wurde die Gefahr von selbsternannten „TikTok-Prediger*innen“ beider Religionen thematisiert, die ohne theologische Ausbildung einseitige Aussagen über das „richtige“ ethische und spirituelle Verhalten tätigen. Insbesondere die Wirkung der Algorithmen birgt dabei die Gefahr, dass diese „Wahrheit“ unangefochten fortwährend bestätigt wird. Die Frankfurter Professorin für Praktische Theologie, Christine Hoffmann, macht auf ein anderes Phänomen in den Sozialen Medien aufmerksam. Dabei handelt es sich um Pfarrer*innen, die eine Plattform für Seelsorge anbieten. Diese Form der kirchlichen Dienstleistung erlebt im digitalen Raum einen enormen Wandel. Die Seelsorge findet in einem viel größeren öffentlichen Raum statt, in dem nicht nur die Pfarrperson selbst ihre eigenen Erfahrungen sehr viel stärker in die Diskussion einbringt (durch die thematische Vorgabe des Beitrags und Schilderung ihrer persönlichen Betroffenheit damit), sondern auch Community-Mitglieder in den Kommentaren die Rolle des*der Seelsorger*in durch Teilnahme am Austausch übernehmen. Digitale Seelsorge ist laut Hoffmann ein Beispiel für barrierearmen Zugang zu Kirchen und deren transformatives Potenzial.

Die vielfältigen Beiträge und Diskussionen der Tagung haben gezeigt, dass die neuen Erkenntnisse im Feld der Digitalität und Künstlichen Intelligenz Neubewertungen mitunter im Bereich der Anthropologie, der Ethik und Pastoral vonnöten machen. Anstatt eine grundsätzliche Diskussion über KI als Heil oder Untergang des Menschen, unter der Voraussetzung falscher Annahmen über die tatsächlichen Fähigkeiten aktueller KI zu führen, ist es notwendig, die Möglichkeiten, aber auch Grenzen von Künstlicher Intelligenz im Kontext ihrer potenziellen Einsatzfelder zu reflektieren.

Hashtag der Woche: #aiethics


Die Redaktion dankt der Akademie Rottenburg-Stuttgart für die Kooperation.

(Beitragsbild: @jimmikehank)

[1] Vgl.: Frank Tipler: The Physics of Immortality (1995).

[2] Cyborgs: Wesen, die zu Teilen aus biologischem und technischem Material bestehen; Kryonik: Das Einfrieren und später Auftauen von Körpern; Mind-Uploading: Die Idee, das Gehirn auf ein externes Speichermedium übertragen zu können.

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lisa baumeister

studiert Katholische Theologie und Islamwissenschaft in Freiburg. Sie ist dort studentische Hilfskraft bei der Alten Kirchengeschichte. Als Mitgründerin der Initiative #meinGottdiskriminiertnicht engagiert sie sich außerdem für eine diskriminierungsfreie röm.-kath. Kirche.

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