Katholisch und feministisch, das passt in den Augen vieler Zeitgenoss*innen scheinbar nicht zueinander. Warum dies sowohl für den säkularen als auch binnenkatholischen Diskurs eine folgenschwere Fehlannahme ist, analysiert Lia Alessandro.

„Wie kannst du dich als gläubige Katholikin überhaupt feministisch nennen?“, „Was soll es bedeuten, dass du in der katholischen Theologie feministisch arbeitest?“, „Katholisch und feministisch zugleich, wie geht das denn?“. Das sind Fragen, die mir begegnen, wenn ich davon erzähle, dass ich mich für feministisch-theologische Fragestellungen interessiere.

Oft landet die Gesprächsrunde an einem Punkt, an dem die Verschränkung von Religion und Feminismus mit Blick auf Katholische Kirche negativ kommentiert wird und ich mich dafür rechtfertige, dass ich katholisch und feministisch zugleich bin.

Und es verwundert kaum: Die Schlagzeilen über Katholische Kirche, die sogenannte Missbrauchskrise und die zunehmenden Kirchenaustrittszahlen sprechen für sich. Aus säkularer (nicht-religiöser) Perspektive scheint es dabei kontraintuitiv, emanzipiert und religiös zugleich zu sein. Dass dies Diskriminierungspotenziale beinhaltet, bleibt oft unthematisiert. Doch warum ist das so?

Feminismus und Religion im 21. Jahrhundert

Im 21. Jahrhundert hat sich Feminismus1 als globale Bewegung etabliert und sein Einfluss erreichte fast jede Gesellschaft auf dieser Welt. Je nach gesellschaftlichem Kontext brachte feministisches Denken unterschiedliche Erfahrungen mit sich und führte zur Einbettung jenes Denkens in verschiedene Bewegungen und Theorien.2 Der europäische Feminismus, so die Philosophin Rosi Braidotti, könne sich dabei im strukturellen sowie im historischen Sinne zum großen Teil säkular nennen. Im Kampf um die Rechte der Frauen* in Europa brachten emanzipatorische Philosophien und Praxen agnostische und atheistische Positionen hervor, die sich historisch als „die Kritik der Aufklärung an religiösen Dogmen und klerikaler Autorität“ erklären lassen. Das feministische Glaubenssystem, welches sich in diesem Sinne als staatsbürgerlich und nicht theistisch versteht, wirkt(e) bis in die Gegenwart hinein.3

Mit dem Begriff der „säkularen Religiosität“ beschreibt der Philosoph Markus Wirtz treffend, dass Aspekte von Religiosität in der Gegenwart jedoch nicht verschwinden, sondern bedingt durch unterschiedliche Transformationsprozesse (wie zum Beispiel die Globalisierung) „eine enorme Verstärkung und Intensivierung erfahren“4 und sich in einer widersprüchlichen Gleichzeitigkeit eines Rückzugs und Wiederauflebens bewegen. Für den europäischen Feminismus stelle diese sogenannte postsäkulare Wende, so Braidotti, eine große Herausforderung dar, „weil sich in ihr die Idee manifestiert, dass Handlungsmacht und politische Subjektivität tatsächlich durch religiöse Frömmigkeit unterstützt werden kann“.5

Zwei vermeintlich einander exkludierende Größen

Obwohl die säkularen Frauenbewegungen auch in die Räume der Kirchen hineinwirkten,6 und sich seit den 1960er-Jahren feministische Theologien sowie theologische Genderforschungen in aktuelle Theologien eingeschrieben haben7, wird Feminismus öffentlich in vielen Debatten weiterhin als dezidiert säkulares Phänomen wahrgenommen und als Teil der europäischen Moderne präsentiert.

Dies hat zur Folge, dass religiöse Subjekte hierbei oft als „Andere“8 problematisiert und Religion auf ein vormodernes Dasein reduziert wird. So scheint es zumeist widersprüchlich, emanzipiert und religiös zugleich zu sein.

Konsequenzen für religiöse Akteur*innen

Solch ein hierarchisierender Blick kann jedoch weitreichende Konsequenzen für religiöse Akteur*innen haben. Zum einen führt diese Differenzierung entlang der Kategorien säkular/religiös zu Ausschlüssen von öffentlichen Debatten. Hinter diesem Exklusionsmoment steht die Auffassung einer „säkularistischen Konzeption des öffentlichen Raums“9. Zum anderen erfahren vor allem weiblich gelesene Menschen und LSBTIQ-Personen eine (mindestens) zweifache Diskriminierung10, weil sie sich in Debatten über Selbstbestimmung und feministische Handlungsfähigkeit sowohl in einer patriarchal geprägten Mehrheitsgesellschaft bewegen als auch innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft mit (kirchlichen) essentialistischen Geschlechtertypologien konfrontiert sehen. Ein Dialog auf Augenhöhe ist an dieser Stelle nicht möglich.

Forderungen

Die daraus folgende Mehrfachdiskriminierung religiöser Akteur*innen zeigt, dass differenzierte Forschungsbestrebungen sowie intersektionale Ansätze eine wichtige Grundlage darstellen, um die Komplexität dieser Exklusionsmomente nachzuvollziehen und einem mangelnden Diversitätsbewusstsein entgegenzuwirken.

Dies benötigt vor allem die Berücksichtigung betroffener Innenperspektiven sowie die Anerkennung und Affirmation der Anliegen und Ziele, die feministische Theologien und theologische Genderforschungen auf theoretischer und praktischer Ebene bereits offengelegt haben. Mit Blick auf christliche Kirchen bringt die Religionslehrerin und Pfarrerin Maike Schöfer aktuelle Forderungen auf den Punkt11: Es bedarf zum einen stärkeren Zusammenhalts mit und Unterstützung von nicht-religiösen Feminist*innen sowie einer Infragestellung von Pauschalisierungen und Vorurteilen. Zum anderen braucht es weitere Ansätze, die ein differenziertes Bild von Kirche und christlichen Menschen in der Öffentlichkeit schaffen. Letztlich braucht es „echten, ehrlichen Support von weißen hetero Männern“12 dafür, den Ungerechtigkeiten ebenso entgegenzuwirken.

Hashtag der Woche: #FeministischUndReligioes


Beitragsbild: cdd20 (unsplash.com)

1 Die Begriffe „Feminismus“ und „Religion“ sollen nicht die Existenz im Singular (ein Feminismus, eine Religion) suggerieren, sondern hier als Analysekategorien begriffen werden.

2 Vgl. Yahja Akalay, Re-reading the Relationship between Secular and Islamic Feminism(s) in Morocoo: The Third Way as an Alternative Feminist Paradigm, in: Feministische Studien (1/21), 17.

3 Vgl. Rosi Braidotti, Den Zeitläufen zum Trotz. Die postsäkulare Wende im Feminismus, 77.

4 Markus Wirtz, Religionsphilosophie. Eine Einleitung, 238.

5 Vgl. Braidotti, Den Zeitläufen zum Trotz, 76.

6 Vgl. Sabine Pemsel Maier, Feministische Theologie, in: Das wissenschaftlich-religionspädagogische Lexikon um Internet 2016 (http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100280/, Zugriff vom 24.09.2023), 3.

7 Vgl. Marianne Heimbach-Steins, Judith Könemann & Verena Suchhart-Kroll, Religion und Feminismus – zwei einander exkludierende Größen? Perspektiven theologischer Genderforschung, in: Feministische Studien (1/21), 36.

8 Vgl. Heidemarie Winkel, Feminismus in postsäkularen Zeiten, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 07.06.2022 (https://www.gender-blog.de/beitrag/feminismus-in-postsaekularen-zeiten, Zugriff vom 24.09.2023).

9 Vgl. Heidemarie Winkel und Angelika Poferl, Einleitung: Eine Neubestimmung des Verhältnisses von Feminismus, Säkularismus und Religion, in: Feministische Studien (1/21), 8.

10 Vgl. Heidemarie Winkel, Feminismus in postsäkularen Zeiten, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 07.06.2022 (https://www.gender-blog.de/beitrag/feminismus-in-postsaekularen-zeiten, Zugriff vom 24.09.2023).

11 Vgl. Maike Schöfer, Nein und Amen – Kolumne, 15.08.2023, in: Veto Magazin (https://veto-mag.de/maike-feminismus/, Zugriff vom 24.09.2023).

[12] Ebd.

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lia alessandro

hat Germanistik, Philosophie und Theologie studiert und promoviert aktuell in der Religionsphilosophie an der Professur für Theologie in globalisierter Gegenwart, Goethe-Uni Frankfurt.

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