„Ich war nie ein Fangirl. Weder von der Kelly Family noch von meinem Vater oder der Queen. Bis ich Alte weiße Männer von Sophie Passmann las. Seitdem habe ich ihre Essay-Publikationen mehrfach gehört und die Bücher dazu gekauft, damit ich mich immer wieder von ihren zutiefst klugen Sätzen mitten ins Herz treffen lassen kann.“ Paulina Pieper schreibt heute keine echte Buchrezension, sondern irgendwas zwischen einer Buchempfehlung und der Ode an eine junge Autorin, die es immer wieder schafft, das Lebensgefühl einer Generation anklingen zu lassen.

Sophie Passmanns Pick me girls, ein first person confessional essay.1 Passmann schreibt Bekenntnisliteratur, so ehrlich und unmittelbar, dass es schmerzt. Sie erzählt ihr Leben. Sie erzählt es sich selbst und allen, die es lesen wollen. Vor allem aber erzählt sie es jungen Frauen, um gemeinsame Erfahrungen aufzudecken und zu archivieren. Passmann reflektiert, sucht nach Ursachen, Dynamiken und Mustern in ihrer Lebensgeschichte. Gleichzeig analysiert sie dabei gesellschaftliche Strukturen und wiederkehrende Phänomene – und das in einer Sprache, die so dermaßen on point ist, dass ich mich bei jedem Satz ertappt fühle.

In Pick me girls geht es nicht ums Frausein, sondern ums Frauwerden:

„Ich denke oft an die Frau, die ich eigentlich wäre. Es ist die Version von mir, die existieren würde, wenn ich in meiner Jugend nicht schon gelernt hätte, so zu sein, wie ich dachte, wie Frauen zu sein haben“ (9),

stellt Passmann sehr unironisch fest. Die fast Dreißigjährige schreibt darüber, wie es sich anfühlt, als Frau in einer Welt erwachsen werden zu müssen, in welcher noch immer der männliche Blick des Begehrens bestimmt, was weibliche Identität ist. Sie beobachtet, dass dieser Blick nach wie vor im Wesentlichen zwei Typen kennt: Die angepasste, liebevolle, sanfte, mütterliche, sorgende Frau, und ihr Gegenbild, das pick me girl: die Frau, die ihre Gefühle nicht im Griff hat oder haben will, die sich nicht von Verstand und Logik, sondern von ihren Emotionen leiten lässt, die etwas chaotisch ist, aber liebenswert bleibt, weil sie sich zu 100% anpassen kann. Ein „Pick me girl“ sagt: Ich bin besser als andere Frauen, weil ich nicht brav, aber harmlos, weil ich aufregend, aber auf jeden Fall anders, unkompliziert und locker bin. Ich lache, wenn ich wütend sein sollte, ignoriere Deine Grenzüberschreitungen und übergriffigen Kommentare. Pick me, choose me, love me.

Wer bin ich – oder wer muss ich heute sein?

Autoethnographisch reflektiert Passmann: Frauwerden in unserer Gesellschaft heißt zu wählen, ob ich anders sein will – ohne dass dieses Anderssein inhaltlich gefüllt wäre, denn

„[d]ie Diskussion um pick me girls ist eine, die nach schwammigeren Identitäten fragt, danach, wie die ersten Männer im Leben einen behandelt haben […], wie intensiv das Umfeld, in dem man zur Frau wurde, einem vermittelt hat, dass man ausreicht, so wie man ist“ (13-14).

Sie erzählt von einer Jugend unter Gleichaltrigen, die scheinbar ganz mühelos mit den Veränderungen an Körper und Seele umzugehen wissen, und davon, wie es ist, noch vor den ersten pubertären Anzeichen das erste Mal auf Diät gesetzt zu werden. Sie spricht darüber, welchen Einfluss eine Influencer:in mit Essstörung und Anekdoten über einen pummeligen Kinderkörper, der zwar in die Höhe schießt, aber einfach nicht dünner werden will, auf die Selbstwahrnehmung und -darstellung haben. Sie stellt fest, dass Menschen nicht ständig mit dem Scheitern von Optimierungsversuchen konfrontiert werden, sondern dass sie über weibliche Körper und Verhaltensweisen lachen wollen – und dass es leichter wird, die unterschwellige Kritik zu ertragen, wenn frau diesem Bedürfnis entgegenkommt.

Sie weiß, dass kein Tattoo, keine neue Haarfarbe und keine Schönheitsoperation eine Antwort auf die Frage geben, die sich Frauen bei jedem Blick in den Spiegel stellt: Wer bin ich – oder wer muss ich heute sein?

Frauwerden heißt in Pubertät und Jugend nach einer passenden weiblichen Rolle zu suchen zwischen Witzen über den eigenen Körper und Schweigen im Angesicht von verletzenden Kommentaren, zwischen Scham über das, was man selbst ist, oder glaubt in den Augen der anderen zu sein, und dem Gefühl, dass es keinen Ausweg aus all dem gibt, außer einfach irgendwie anders zu werden.
Klingt heavy? Ist es. Believe me.

Sei es die Anschaffung und der Aufbau von IKEA-Möbeln – ein Akt, der mit männlicher Hilfe weniger schweißtreibend gewesen wäre und weniger Selbstzweifel hätte aufbrechen lassen – oder die Tatsache, dass frau auch mit Ende 20 nicht gelernt hat, dass die dreizehnte neue Jeans keine andere, neue, gar eigene Identität manifestiert, sondern dass sie eben einfach neben den anderen zwölf Jeans ungetragen im Kleiderschrank hängen wird: Manche der Beispiele, mit denen Passmann arbeitet, klingen wie Klischees, aber auch hier trifft sie einen Nerv – zumindest ich finde mich (leider) darin wieder. Denn Frauwerden wird auch mit zunehmendem Alter nicht leichter. Neue Rollenbilder, die uns heute unter anderem in Kunst, Literatur, Film und auf Social Media begegnen, hängen ebenfalls vom männlichen Blick ab. Sie verkehren das Idealbild der ein wenig verrückten, aber auf ihre Art liebenswerten Frauen aus Sex and the City ins Gegenteil. An die Stelle von Frauen, die exzessiv und zeitraubend nach der großen Liebe suchen, treten düstere Frauen, deren Geschichten  auf andere Weise, aber ebenfalls in Abhängigkeit vom männlichen Begehren existieren.

Serien wie Girls oder Fleabag stellen sich Frauen vor, die „als im Kern kaputt und einsam dargestellt werden, als sexsüchtig und uneitel, als angewidert von der Welt und gleichgültig dem eigenen Glück gegenüber“ (64).

Leider, so Passmann, erzählen sie dabei nichts darüber, wie Frauen sind, sondern darüber „wie sie auch sein könnten, und stellen damit unbewusst und unbeantwortet die Frage in den Raum, was so falsch ist, an der Art, wie Frauen meistens sind“ (66).

Social Media, Kapitalismus, Kultur, Körperlichkeit, Gender, Kleidung und Kosmetik, Schönheitsoperationen: Passmann reflektiert mühelos die gegenwärtigen Themen der Feminismus-Debatte, ohne dabei aus dem Blick zu verlieren, dass es keine Schuldigen gibt. Denn feministische Kritik ist bei ihr gleichzeitig Kritik am Feminismus:

Sie stellt fest, dass sich Frauen „in ein Miteinander reinmanövriert haben, in dem nahezu alles auf irgendeine Weise als so feministisch umgedeutet werden kann, dass nahezu keine persönliche Lebensentscheidung auch nur ansatzweise hinterfragt werden muss“ (88).

Ihr fehlen Frauen, an denen sie sich orientieren kann:

„Mir fehlen seltsame Frauen. Mir fehlen nervige Frauen. Mir fehlen die Frauen, die ertragen, unerträglich zu sein“ (92).

Ihr fehlen Rollenbilder, an denen frau sich abarbeiten kann – und damit liegt sie voll im Trend der Generationen Y und Z.

Die pick-me-girls-Generation

Wir Millennial-Frauen haben laut Passmann alle gelernt, pick me girls zu sein. Deshalb sind wir auch als Feministinnen manchmal die praktischste Freundin, die entlastende Ehefrau, die fürsorglichste Mutter. Wir tragen den mental load, machen die emotionale Beziehungsarbeit, beteiligen uns an den Hobbies unserer Partner:innen – und zwar mit links und ohne mit den Augen zu rollen.
Wer wissen möchte, was dahintersteckt, wer Frauen meiner Generation (besser) verstehen will, sollte Sophie Passmann lesen – oder besser noch hören. Am besten Satz für Satz, immer und immer wieder. So wie ich sie lese und höre, (ver)urteilt Sophie Passman nicht, sie bietet keine Lösungen an. Sie sagt einfach sehr laut und ehrlich, was für manche und vielleicht sogar viele von uns Sache ist. Sie findet Worte für das, was Frau-Werdende über sich wissen, aber nicht formulieren können. Sie gibt Frauen (m)einer Generation eine Stimme, die von allen gehört werden sollte, denn

„man kann Frauen nicht vollständig und aufrichtig respektieren, wenn man ihre Kultur nicht konsumiert, wenn man ihre Musik nicht hört, ihre Bücher nicht liest, wenn man nicht wissen will, wie ihre Geschichten ausgehen“ (18).

Hashtag der Woche: #pickmegirls


Beitragsbild: @danielsampaioneto

 

1 Sophie Passmann, Pick Me Girls, Köln 2023.

Print Friendly, PDF & Email

paulina sophie pieper

promoviert in Innsbruck zum Thema Theologie und Biografie, befindet sich in der Ausbildung zur Lebens- und Sozialberaterin und lebt derzeit mit Hund und Kegel in der nördlichsten Stadt Italiens. Wirre Gedanken verarbeitet und sortiert sie vornehmlich beim Schreiben. In ihrer „freien“ Zeit versucht sie gerade eine Sober-Community in Graz aufzubauen (Für Leser:innen aus Graz: Herzliche Einladung!).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: