21. März 1960: 69 Schwarze Demonstrierende werden in Sharpeville (Südafrika) von der Polizei erschossen. Zwischen 180 und 300 Menschen werden verletzt und viele weitere inhaftiert. Anlässlich dieses grauenhaften rassistischen Massakers steht der morgige Tag weltweit im Zeichen gegen Rassismus: Es ist internationaler Tag gegen Rassismus. Hannah Drath denkt für y-nachten über eine rassismuskritische Theologie nach.
I remember Sharpeville
On the 21st March 1960
on a wrath-wrecked
ruined-raked morning
a black sea surged forward
its might ahead
mind behind
it had downed centuries-old containment…
it sucked into its core
the aged and the young…
into a solid compound
of black oozing energyin a flash
of the eye
of gun-fire…
they fled they fell…our heads bowed
our shame aflame
our faith shaken
we buried them for what they were
our fallen heroes and our historyvon Sipho Sydney Sempamla, The Blues Is You in Me, 1976.
Anlässlich des Attentats vom 21. März 1960, das Sipho Sydney Sempamla als Augenzeuge beschreibt, möchte ich über die Zusammenhänge einer rassismuskritischen Theologie und rassistischen Attentaten schreiben und die Frage nach einem verantwortungsvollen und angemessenen theologischen Umgang mit Rassismus stellen.
Rassismus konnte ich mich als Schwarzes Mädchen und Schwarze Frau in einer weiß dominierten Gesellschaft und einem weißen Umfeld nie entziehen, auch wenn er lange unbewusster Wegbegleiter war. Heute entscheide ich mich bewusst dafür, über Rassismus zu schreiben, zu diskutieren, zu forschen, zu lehren, was für mich ein Stück weniger Machtlosigkeit bedeutet. Und da sitze ich nun an den meisten Tagen an meinem Schreibtisch, lese Texte über postkoloniale Kritik an Entwicklungsdiskursen, über rassismuskritische Bildungsarbeit, Alltagsrassismus, Differenzkonstruktion und Bildungsgerechtigkeit. Als Religionspädagogin widme ich mich insbesondere der Untersuchung von Religionsschulbüchern und überprüfe sie hinsichtlich ihrer rassistischen Wissensbestände.
Im Zuge dessen stoße ich auf große theoretische Lücken hinsichtlich der theologischen Auseinandersetzung mit rassistischen Verhältnissen. Insbesondere fehlt eine rassismuskritische Ausformulierung einer christlichen Anthropologie, denn Doppelgebot und das Prinzip der Gottebenbildlichkeit verleiten schnell dazu, in einen farbenblinden Antirassismus á la „Ich sehe keine Hautfarben. Gott hat uns Menschen alle gleich nach seinem Ebenbild geschaffen, deshalb sind wir auch alle gleich.“ zu geraten. Wird dieser religiöse Anspruch als Beschreibung der Wirklichkeit verstanden, verhindert er den Blick darauf, dass global wirksame Ungleichheitsverhältnisse wie Rassismen die Menschheit hierarchisieren und eben nicht allen Menschen gleiche Chancen und Wertigkeiten zugeschrieben werden. Spezifisch religionsdidaktisch fehlen neben der Konzeptionalisierung einer explizit rassismuskritischen Didaktik auch ideologiekritische Analysen von Unterrichtsmaterial, die koloniale Muster, weiße Normativität, Othering und Vikitimisierungsprozesse sowie Paternalismus dekonstruieren. Darüberliegend ist auf wissenschaftstheoretischer Ebene nicht zu vernachlässigen, dass die Theologie wie jede andere Wissenschaft mit ihren historischen Ursprüngen in der Aufklärung in einer Hochphase des Kolonialismus und Rassismus entstanden ist.1 Historisch ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass christliche Missionar*innen sich im Kolonialismus als Retter*innen der ‚unzivilisierten‘ Schwarzen verstanden und ihnen aus religiös konstruierten Überlegenheitsmotiven Bildung und die Bibel brachten.2
Immer wieder ploppt in mir die Frage auf, was ich hier eigentlich mache. Der rassistische Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020, bei dem ein Rassist neun People of Colour ermordete, während diese ihrem Alltag nachgingen, hat eine ganze Generation von BPoC zutiefst erschüttert. Neun Menschen wurden aus ihrer Ausbildung, ihren Familien, ihren Freund*innenkreisen und ihrer Stadt gerissen. Rassismus tötet … und ich sitze am Schreibtisch und analysiere Schulbücher, ärgere mich über Kolleg*innen, die ihre farbenblinde Brille nicht abnehmen wollen, und mache mir über Forschungslücken Gedanken.
Ich frage mich häufig, wie angemessen mein doch recht privilegierter Umgang mit Rassismus ist. Meine Ansprüche an Wissenschaft und Gesellschaft sind vermutlich so hoch, weil ich als light-skinned Schwarze Person und Tochter eines akademischen weißen Elternhauses vermeintlich ‚harmlosere‘ Formen von Rassismus3 erlebe, so würde es zumindest der Soziologe Aladin El-Mafaalani herleiten: „Schwarze Menschen, die enorm benachteiligt sind, fühlen sich seltener diskriminiert als privilegierte Schwarze.“4 Aber nutze ich meine Privilegien richtig? Muss ich diese Privilegien als Ausdruck eines fragwürdigen Verziehens in den Elfenbeinturm deuten? Es erscheint mir häufig nicht gerecht, dass ich beruflich von der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Rassismus profitieren darf und meinen Lebensunterhalt sichere und andere Menschen durch Rassismus sterben.
Sicherlich steckt hinter diesen Gedanken auf individueller Ebene etwas Wahres. Ich glaube aber, dass eine individualisierende Antwort allein unterkomplex wäre, denn Rassismus, der auf so direkte Art tötet wie in Sharpeville, Hanau und zahlreichen anderen Orten und eher subtiler struktureller und alltäglicher Rassismus hängen unmittelbar miteinander zusammen. Sie gehen auf die eine rassistische Ideologie zurück, sind deshalb nicht als zwei voneinander getrennte Ebenen zu begreifen, sondern verschwimmen ineinander und verstärken sich gegenseitig. Ich halte es für ungemein wichtig, in allen gesellschaftlichen Bereichen für Rassismus – und sei er noch so subtil – zu sensibilisieren, ihn an die Oberfläche zu holen und eine selbstkritische und fehlerfreundliche Kultur in der Kommunikation über Rassismus zu etablieren. Rassismuskritik an theologischen Diskursen gehört genauso zum rassismuskritischen gesellschaftlichen Wandel wie justiziable, rechtliche und politische Interventionen.
Ich hätte hier im Kontext von Religion, Theologie und Rassismus auch über die Unterrepräsentation von Schwarzen Perspektiven in der deutschen theologischen Fachlandschaft und den christlichen Kirchen, über die intersektionale Verschränkung von Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung vor allem im Kontext Kirche, über die Konstruktion des weißen Jesus, über white Saviorism und fehlende Augenhöhe schreiben können. Die Liste von Verbindungslinien zwischen Rassismus und Religion (insb. dem Christentum) ist unendlich lang. Und doch habe ich mich entschieden, über den Zusammenhang von rassistischen Gewalttaten und einer rassismuskritischen Theologie zu schreiben, um zu zeigen, dass auch wir als Theolog*innen eine Verantwortung dafür haben, dass es kein zweites Hanau gibt. Wir können zumindest den theologischen Diskurs so beeinflussen, dass er zu einer selbst- und rassismuskritischen Quelle für die Gesellschaft werden kann (auch, wenn das noch in weiter Ferne scheint). Notwendige Bedingung dafür wäre die Einsicht, dass nicht nur BPoC von Rassismus betroffen sind, sondern alle Mitglieder einer Gesellschaft – wenn auch je nach Positionierung auf unterschiedliche Weisen. Rassismus geht uns alle an.
Hashtag: #FightRacism
1 Vgl. El-Mafaalani, Aladin, Wozu Rassismus. Von der Erfindung der Menschenrasse bis zum rassismuskritischen Widerstand, Köln 2021, 8.
2 Vgl. Drath, Hannah / Woppowa, Jan, Rassismuskritik und christliche Religionspädagogik. Gründer, Potenziale und Desiderate eines Neuaufbruchs. In: ÖRF 30 (2022) 2, 129-148. DOI: 10.25364/10.30:2022.2.8
3 Rassismus ist nie ‚harmlos‘, sondern immer gewalttätig.
4 Vgl. El-Mafaalani 2021, 93.