Schenken ist schon schwierig, aber beschenkt werden ist oftmals noch wesentlich schwieriger. Warum ist das so? Lukas Grill blickt auf einige gabentheoretische Antwortversuche und zeigt, wie sich in diesem Phänomen eine unvermeidliche menschliche Kommunikationserfahrung niederschlägt.

Eigentlich hatten wir ausgemacht, dass wir uns dieses Jahr nichts schenken. Aber dann hatte meine Freundin doch eine Kleinigkeit dabei. Und ich fühlte mich richtig schlecht, weil ich nichts zum Zurückschenken hatte.

Wer hat diese Situation so oder so ähnlich noch nicht erlebt? Vor Kurzem habe ich sie in einer Lehrveranstaltung zum Thema Gabe und Gegengabe mit Studierenden diskutiert und wir haben versucht zu ergründen, woher das kommt, dass man sich in der erdachten Situation ‚schlecht’ fühlt – und was man vielleicht gegen das Gefühl unternehmen könnte. Von den Studierenden kamen zum einen pragmatisch-kreative Lösungsvorschläge wie jener, ein Backup-Geschenk parat zu haben. Zum anderen versuchten wir, Theorien zu Gabe und Gegengabe auf diese Problemstellung hin zu befragen.

Mauss, Derrida, Waldenfels – ein kurzer gabentheoretischer Rundgang

Immer wieder stießen wir auf Marcel Mauss, der eine weitreichende Theorie des Schenkens entfaltet. Indem er Anfang des 20. Jahrhunderts Gabenrituale der Maori (der indigenen Bevölkerung Neuseelands) analysierte, gelangte er zur Beobachtung, dass es eine regelrechte Verpflichtung gibt, eine Gabe mit einer Gegengabe zu erwidern. Nach Mauss resultiert diese Verpflichtung daraus, dass in der Gabe der Geist der schenkenden Person (bzw. von deren Heimatboden, aus dem die Gabe stammt) – mit den Worten der Maori: das hau – enthalten ist:

„Woraus folgt, daß jemand etwas geben soviel heißt, wie jemand etwas von sich selbst geben.“1

Würde man die erste Gabe nicht erwidern, so verfolgte einen nach Vorstellung der Maori das hau der schenkenden Person. Mauss‘ Theorie war auch deshalb so wirkmächtig, weil das Phänomen, dass Schenken eine in höchstem Maße persönliche Angelegenheit ist, uns auch in der modernen westlichen Gesellschaft bekannt vorkommt. Das Schenken ist nach Mauss eine derart persönliche Angelegenheit, dass Gabe und Person sich nicht voneinander trennen lassen.

Einer der schärfsten Kritiker der Mauss’schen Theorie war Jacques Derrida. In dekonstruktivistischem Stil legt er dar, wie das Wesen der Gabe verschwindet, sobald sie als solche betrachtet wird:

„Die bloße Identifikation der Gabe scheint sie zu zerstören.“2

Eine Gabe, die es gibt, gibt es nicht – dies ist das in Heideggerscher Logik dargelegte Paradoxon, das Derrida zur Negierung der Gabe als Phänomen führt. Anders ausgedrückt: Macht man sich den Prozess des Schenkens bewusst, so verliert das Geschenk die Unschuld der ‚reinen Gabe’. Eine reine Gabe bleibt nach Derrida (immerhin) eine abstrakte Idee, weil ein völlig unbewusstes und absichtsloses Schenken unrealistisch erscheint.

Sprachphilosophisch greift Bernhard Waldenfels diese Überlegungen Derridas auf, indem er die Gabe zur Grunderfahrung menschlicher Existenz erklärt – er spricht vom

Dativische[n] des Geschehens selbst“3.

Damit deutet er an, dass es sich beim Geben und Empfangen um eine menschliche Grunderfahrung handelt, die sich auch in der Sprache niederschlägt (etwa ‚es gibt mich’). Derrida wirft er vor, in seinem Gabenverständnis zu festgelegt zu sein, handelt es sich doch nach Waldenfels’ Verständnis bei der Gabe um keine feste Institution, sondern vielmehr um ein sprachliches Phänomen mit vielen Facetten: Er spricht von einem „semantischen Herd, dessen Fragen in verschiedene Richtungen gehen.“4

Über den Weg der Sprache ist die Paradoxie der Gabe nach Waldenfels zu knacken: Spürt man den alltagssprachlichen und etymologischen Bezügen der Gabe nach, so offenbart sich ein Hyperphänomen5 (das, was sich zeigt, weist über sich selbst hinaus), dessen hyperbolisches Potential darin besteht, dass die Gabe sich in einem permanenten, sich selbst transzendierenden Prozess befindet. Hier liegt die besondere Pointe, die Waldenfels in den Diskurs einzubringen vermag:

Eben deshalb, weil das Geben und Gegebensein zu den menschlichen Grunderfahrungen gehört, vermag auch ein partiell auftretendes Ungleichgewicht die konstitutive Möglichkeit der Gabe nicht infrage zu stellen.

Alle drei Positionen bieten also einen jeweils unterschiedlichen Blick auf die Problemstellung an: Während sich mit Mauss erklären lässt, weshalb sich die geschenklose Person so schlecht fühlt, ist mit Derrida kritisch nachzufragen, inwieweit angesichts eines auf Reziprozität beruhenden Gabenverständnisses überhaupt von ‚Gabe’ gesprochen werden kann. Waldenfels hingegen sieht in einer sich in der Sprache äußernden Grunderfahrung den Schlüssel, die Gabe auch über die von Derrida formulierte Anfrage hinaus als Phänomen (und nicht als rein abstrakte Idee) zu bewahren – eben weil sie, wie sich immer wieder an der Sprache zeigt, unsere Erfahrung so stark prägt.

Schenken als kommunikatives Beziehungsgeschehen

Jene sprachphilosophischen Überlegungen brachten uns im Seminar auf die Spur, die Gabe als eine Form persönlicher Kommunikation zu betrachten. Nicht zufällig besteht eine sprachliche Verwandtschaft, wenn sowohl das Schenken als auch das Gespräch (als besondere Form der Kommunikation) als Austausch bezeichnet werden. Und auch in Bezug auf das Gespräch ist die Frage, wer wieviel ‚gibt’, von Bedeutung: Galt etwa das symmetrische und ausgeglichene Gespräch in der Theorie der Seelsorge lange Zeit als Kommunikationsideal, so besteht mittlerweile doch der Konsens, dass sich in Kommunikationen immer Asymmetrien und mehr oder weniger verdeckte Hierarchien zeigen.

Ebensolches kann über die Gabe gesagt werden: Nach Maurice Godelier liegt in der Gabe aufgrund ihrer Beziehungshaftigkeit stets „eine Ungleichheit, die sich unter gewissen Umständen in eine Hierarchie verwandeln kann“6. Diese Ungleichheit lässt sich nicht vermeiden, da gebende und empfangende Person automatisch in ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis geraten.

Dies gilt aber möglicherweise nicht nur für das Schenken, sondern auch für andere Formen der Kommunikation, in denen Persönliches ‚ausgetauscht‘ wird. Reden Menschen über das, was sie im Leben glücklich macht, wie sie ihre Beziehungen erleben oder was sie belastet, so ergibt sich eine Dysbalance, insofern sich eine Person der anderen offenbart und sich dadurch verletzlich macht.

Übertragen auf die Ausgangssituation könnte das bedeuten, dass es sich beim Gabenungleichgewicht um eine Kommunikationssituation handelt, die dann auftritt, wenn Menschen miteinander in eine Beziehung treten, die über das Alltägliche hinausgeht: Wer etwas schenkt, der gibt im Sinne von Mauss etwas von sich persönlich preis, und wer sich beschenken lässt, der nimmt damit ein Beziehungsangebot der schenkenden Person an. Es liegt im Wesen der Kommunikation begründet, dass in ihr Ungleichgewichte entstehen, und die Frage, wie damit umgegangen wird, stellt eine anthropologische Grundsituation dar: Wodurch erfahre ich mich als existenziell getragen, so dass ich mich in sozialen Situationen verletzlich machen kann? Das Schenken und Beschenktwerden ist ein besonders heikles Thema, bei dem schnell Verletzungen entstehen – und eben wegen dieser Empfindlichkeit wird es, wie im eingangs skizzierten Beispiel, auch so stark ‚geregelt’.

Hashtag der Woche: #wirwolltenunsdochnichtsschenken


Beitragsbild: Bild von Kira auf Unsplash.

1 Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt 21994, 35.

2 Jacques Derrida, Falschgeld. Zeit geben I, München 1993, 25.

3 Bernhard Waldenfels: Das Un-ding der Gabe, in: Hans-Dieter Gondek/ders., Einsätze des Denkens. Zur Philosophie von Jacques Derrida, Frankfurt a. M. 1997, 385-409, 395.

4 A. a. O., 396.

5 Vgl. ders., Hyperphänomene. Modi hyperbolischer Erfahrung, Berlin 2012.

6 Maurice Godelier, Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, Heilige Objekte, München 1999, 22.

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dr. lukas grill

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Praktische Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er promovierte zum Thema „Überschießende Kommunikation. Eine Religionstheorie alltäglicher Rede“.

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