Keine Sanktionen bedeutet nicht automatisch Rechtssicherheit, so Milena Mohr. In ihrem Beitrag blickt sie auf die gegenwärtigen Stimmen im Diskurs um die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts und zeigt auf, welche tiefgreifenden Konsequenzen gezogen werden müssten, um Kirche tatsächlich zu einem safe space zu machen.

Dass das Arbeitsrecht der katholischen Kirche in Deutschland einer Überarbeitung bedarf, hat die Initiative #OutInChurch im Januar 2022 bereits mehr als deutlich gemacht. Sie fordert vor allem, dass „LGBTIQ+ Personen in der Kirche ohne Angst offen leben und arbeiten können.“1 Auch das Synodalforum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ des Synodalen Wegs in Deutschland macht auf die Missstände aufmerksam, die das Arbeitsrecht durch die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ begünstigt. In einem Handlungstext dazu zeigen die Synodalen auf, welche Veränderungen es in der Grundordnung braucht, damit die Katholische Kirche in Deutschland neue Glaubwürdigkeit erlangen kann.

In der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vom 7. bis 10. März 2022 wurde dieses Thema aufgegriffen. Weil das Meinungsbild der bischöflichen Vollversammlung ein aussagekräftiger Marker des Entwicklungsprozesses des Arbeitsrechts ist, werden hier die Ergebnisse der Vollversammlung genauer betrachtet. Mit einer deutlichen Prognose für eine große Veränderung rechnete ich im Vorfeld allerdings nicht. Umso überraschter war ich, dass die Bischofskonferenz mehrheitlich einer Veränderung der Grundordnung grundsätzlich positiv gegenüberzustehen scheint. Georg Bätzing, Vorsitzender der DBK, positionierte sich in der Abschlusspressekonferenz auch persönlich für eine Veränderung im Arbeitsrecht:

„Ich stehe dafür, dass wir diese Veränderung inhaltlich machen. Ich stehe sehr dafür, weil ich glaube, das ist, aus vielen Gesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sehr angemessen und richtig, auch um gegen Diskriminierung bestimmter Lebensformen/ Lebensweisen vorgehen zu können und ein Zeichen zu setzen.“2

Fast klingt es so, als wäre es ein Klacks den Handlungstext des Synodalforums durchzusetzen. Im späteren Pressebericht klingt diese Aussage allerdings nicht mehr ganz so euphorisch. Zurückhaltender formuliert Bätzing im Pressebericht, dass der Fokus des Synodalforums „mit den Planungen zur grundsätzlichen Neuformulierung der Grundordnung nicht vollkommen identisch“3 sei.

Hin zu einem institutionenorientierten Ansatz

Denn von Seiten der Bischöfe soll ein institutionenorientierter Ansatz Grundlage für einen Veränderungsprozess sein.4 Das bedeutet, die (Un-)Glaubwürdigkeit der Kirche, die in den Loyalitätsobliegenheiten der arbeitsrechtlichen Grundordnung am Privatleben der Mitarbeitenden festgemacht wird, soll nun an das Auftreten der kirchlichen Institutionen geknüpft werden. Wie weit ein solcher Ansatz allerdings auch Personen im katechetischen und pastoralen Dienst entlasten kann und ob das Problem der abgestuften Loyalitätsobliegenheiten dadurch beseitigt werden kann, bleibt fraglich. Das Loyalitätsverständnis müsste sich dafür in allen Berufen der Kirche ändern. 2020 erläuterte der Kirchenrechtler Peter Beer in der Herder Korrespondenz, dass das Loyalitätsverständnis der Kirche zwischen einer „Vollidentifikation“ und einer „Grundsympathie“ stehe. Möchte man den institutionenorientierten Ansatz verfolgen, würde das Verständnis „von Loyalität als Grundsympathie in den Vordergrund rück[en].“5

Verstünde man die Loyalität katechetischer und pastoraler Mitarbeitenden allerdings weiterhin als Vollidentifikation mit der Kirche, bliebe weiterhin die Möglichkeit bestehen, diese aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/ oder geschlechtlichen Orientierung zu diskriminieren, zu kündigen oder gar von vornherein nicht einzustellen. Um dies zu verändern, bedarf es einer Veränderung der kirchlichen Lehre. Das ist auch eine Forderung des Synodalforums: Zivile Zweitehen oder gleichgeschlechtliche Eheschließungen sollen demnach nicht mehr als schwere Sünde bewertet werden, wie es leider immer noch der Fall ist. 6

Das Anliegen des Synodalforums

Übereinstimmung zwischen der DBK und dem Synodalforum herrscht insofern, als man vom personenorientierten Ansatz der Grundordnung weg möchte hin zu einem institutionenorientierten Ansatz.7 Dieser allerdings ist vereinbar mit weiteren Forderungen, die die Synodalen stellen. Der Handlungstext des Synodalforums legt seinen Fokus auf eine Veränderung in den Loyalitätsobliegenheiten der Mitarbeitenden und fordert:

„Der persönliche Familienstand darf keine Relevanz für die Anstellung oder Weiterbeschäftigung im kirchlichen Dienst haben.“8

Im Handlungstext wird daher angetragen, die Artikel 5.2.2.c und d aus der Grundordnung „ersatzlos zu streichen.“9 Diese bergen nämlich die Möglichkeit, eine Kündigung nach sich zu ziehen, wenn ein „kirchenrechtlich unzulässiger Abschluss einer Zivilehe“10 oder „das Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft“11 „objektiv geeignet [sind], ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen“12.

Doch das Ärgernis werde nicht hervorgerufen durch die Lebensform der Mitarbeitenden, sondern durch die Entlassungen aufgrund dieser, erläutert der Handlungstext des Synodalforums.13

Die Wirklichkeit wahrnehmen

Aber was ist eigentlich mit Menschen, deren Existenz von der katholischen Kirche geleugnet wird? Die Rede ist von all den queeren Menschen, die sich nicht in das Zweigeschlechtersystem einordnen wollen oder können. Das kirchliche Arbeitsrecht hat solche Identitäten nicht im Blick. Und auch der katholische Katechismus äußert sich dazu nicht. Georg Bätzing allerdings schon. In der Pressekonferenz am 10.03.2022 erklärt er, dass in der Vollversammlung die Frage diskutiert wurde, wie damit umgegangen werden kann, wenn man jene Wirklichkeit sieht, in der „es zwischen diesen beiden Polen Mann und Frau andere Identitäten gibt, die von Gott geschaffen sind.“14

Bätzing geht sogar noch weiter und kritisiert den Katechismus der Katholischen Kirche. Die kirchliche Lehre müsse weiterentwickelt werden. Denn um mit der differenzierten Wirklichkeit in der heutigen Kirche umgehen zu können, reiche dieses Instrumentarium der kirchlichen Lehre nicht mehr aus.15

Aber nur, weil es keine Sanktionen für Menschen gibt, die der kirchlichen Lehre der Zweigeschlechtlichkeit nicht entsprechen, besteht noch lange keine Rechtssicherheit für sie.

Bei einer weiten Auslegung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes könnte die eigene Identität als Verstoß gegen die Sittenlehre gesehen werden und so eine Kündigung nach sich ziehen. Das Argument, es gäbe in jedem Fall Einzelfallprüfungen, die in all den prekären Situationen immer schon durchgeführt wurden16, scheint hier das wahre Anliegen zu verdecken.17 Es geht nicht darum, gnädiger Weise auf eine Kündigung verzichten zu können, sondern darum, Kirche als Arbeitgeberin angstfrei wahrnehmen zu können, sich keine Sorgen machen zu müssen, vielleicht doch irgendwann gekündigt zu werden. Es braucht keine Ausnahmeregelungen, wenn inter*, nicht-binäre, trans*, queere Menschen nicht als Abweichung von der Norm gesehen werden. Es braucht daher eine Veränderung hin zu einem diskriminierungsfreien, geschlechtergerechten und institutionenorientierten Arbeitsrecht, damit der Kampf um die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht auf dem Rücken derer ausgetragen wird, die sowieso darunter leiden.

Was sind die Konsequenzen?

Ein von Beer angeführtes Argument, welches für den institutionenorientierten Ansatz spricht, lautet, dass das „kirchliche Arbeitsrecht […] Ausdruck von Kirche-Sein“18 ist.

Wenn Kirche ein safe space und Ausdruck der eigenen Werte sein möchte, dann bedarf es einer ganzheitlichen Veränderung des Arbeitsrechts.

Selbst wenn Artikel 5.2.2.c und d der Grundordnung nur noch für Mitarbeitende im katechetischen oder pastoralen Dienst gelten sollen, wäre eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung innerhalb der Kirche immer noch nicht beendet. Die Kirche steht sich dann weiterhin selbst im Weg. Und was noch viel schlimmer ist: Menschen bleiben dann unfrei, ihr Privatleben ohne Angst zu gestalten. Möchte die römisch-katholische Kirche aber unfreie Glieder? Sollen gerade diejenigen bestraft werden, die ihr am nächsten stehen?

Die Forderung des Synodalforums jenen Artikel ersatzlos zu streichen, empfinde ich daher als essenziell.

Loyalität hat etwas mit Freiheit zu tun. Nämlich trotz Grundsympathie zur Arbeitgeberin in seinem eigenen Leben Entscheidungen für sein Privatleben treffen zu können, ohne Angst davor haben zu müssen, berufliche – und das heißt existenzielle – Konsequenzen tragen zu müssen.

Loyalität bedeutet außerdem, dass Menschen in ihrer Kirche – obwohl sie darin immer noch diskriminiert werden – arbeiten möchten, diese mitgestalten möchten und dabei Verbesserungen anstreben, damit sie auch für andere interessant oder zumindest glaubwürdig wird.

Die Deutsche Bischofskonferenz spricht davon, dass es eventuell diesen Juni schon erste Veränderungen in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes geben könnte. Dabei wird immer wieder betont, dass es trotz allen Bemühungen um „Sorgfalt, Prozesstreue, Sachlichkeit“19 gehe. Es bleibt zu hoffen, dass diese drei Worte nicht zu Floskeln werden, um Veränderungen zu verzögern, sondern dass sie dabei helfen, eine Kirche zu werden, die Verbesserung, Freiheit und Gleichberechtigung ermöglicht.

 

Hashtag der Woche: #OutInChurch


(Beitragsbild: @juliataubitz)

Literatur

1 Beer, Peter: Kirchliches Arbeitsrecht im Umbruch. Für das Reich Gottes. In: Herder Korrespondenz 3 (2020), S. 41-45. Online: https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2020/3-2020/fuer-das-reich-gottes-kirchliches-arbeitsrecht-im-umbruch/ [Abrufdatum: 31.03.2022].

2 Deutsche Bischofskonferenz: Abschlusspressekonferenz der Frühjahrs-Vollversammlung 2022. Online: https://www.youtube.com/watch?v=yOIPfEFEBBw [Abrufdatum: 31.03.2022], 00:19:30 h; im Folgenden zitiert: Pressekonferenz.

3 Gilles, Beate (Hg.): Pressebericht des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, anlässlich der Pressekonferenz zum Abschluss der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 10. März 2022 in Vierzehnheiligen.
Online: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2022/2022-034-FVV-Vierzehnheiligen-Pressebericht.pdf [Abrufdatum: 31.03.2022], S.7; im Folgenden zitiert: Gilles.

4 Vgl. ebd.

5 Beer, S.45.

6 Der Synodale Weg. Synodalforum IV „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft: Handlungstext „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ (Erste Lesung).

Online: https://www.synodalerweg.de/fileadmin/Synodalerweg/Dokumente_Reden_Beitraege/SV-III-Synodalforum-IV-Handlungstext.GrundordnungDesKirchlichenDienstes-Lesung1.pdf [Abrufdatum: 31.03.2022], S.3; im Folgenden zitiert: Handlungstext.

7 Vgl. Handlungstext, S. 2.

8 Ebd.

9 Ebd.

10 Deutsche Bischofskonferenz: Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 27. April 2015. Online: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/VDD/Grundordnung_GO-30-04-2015_final.pdf [Abrufdatum: 31.03.2022], Art. 5.2.2c, Grundordnung, S.4; im Folgenden zitiert: Grundordnung.

11 Ebd.

12 Ebd.

13 Vgl. Handlungstext, S.3.

14 Pressekonferenz, 00:51:53 h.

15 Vgl. ebd., 00:53:20 h.

16 Vgl. ebd., 01:00:38 h.

17 Durch Theo Schenkel gewann das Thema „Einzelfallprüfung“ an Aktualität. Siehe hierzu: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/religionslehrer-theo-schenkel-darf-als-transmann-weiterhin-religion-unterrichten.

18 Beer, S.45.

19 Gilles, S.7

 

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milena mohr

studiert seit 2017 in Freiburg Katholische Theologie (Mag. Theol.) und ist dort Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Caritaswissenschaft und Christliche Sozialarbeit.

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