Was haben Jeff Bezos, Elon Musk und Jesus gemeinsam? Darüber hat Kilian Linder vor ein paar Wochen zu einem ganz bestimmten Anlass nachgedacht und sich an seine Grundschulzeit zurückerinnert. 

Manch eine*r hat an Christi Himmelfahrt vielleicht einfach einen freien Tag genossen. Andere sind möglicherweise, einer angeblich vor über 100 Jahren von Berliner Brauunternehmen geprägten Tradition folgend, mit alkoholikabeladenen Bollerwägen über die Feldwege geschwankt. Ich bin weder ein großer Freund von Bollerwägen noch von Männerbünden und habe über eine andere, einige Jahrhunderte ältere Tradition nachgedacht: Christi Himmelfahrt.

Im Religionsunterricht in der Grundschule wurde uns vor circa drei Jahrzehnten um diese Zeit aufgegeben, die Himmelfahrt bildlich darzustellen. Als ich in der nächsten Stunde ein Bild von Jesus in einer startenden Mondrakete mitbrachte, schüttelte meine Religionslehrerin nur mit geschürzten Lippen den Kopf. Vielleicht war sie enttäuscht darüber, dass ich mich bei der Darstellung eines so wundersamen Ereignisses aus der Heiligen Schrift mit moderner Technik aus der Affäre gestohlen hatte. Vielleicht hatte sie sich bei ihrem Schüler insgeheim etwas von der Kreativität des Matthäus Merian erhofft (s.u.), der den auferstandenen Jesus einfach in die Wolkendecke hineinschob und sich auf die „WHAT?“-Reaktion der Jünger konzentrierte.

Merian, Matthäus d. Ä. 1593–1650: „Christi Himmelfahrt”. (Apostelgeschichte 1,6–11), Kupferstich, 1625/27, Kolorierung der Merian-Werkstatt1

Oder zumindest etwas im Nazarener Stil, mit viel Pastelltönen, verklärten Blicken, Hirtenstäben und wallenden Bärten. Dazu später mehr.

Himmelfahrt im Nazarener Stil 2

Wer weiß schon, was Lehrer*innen wirklich über die Arbeit ihrer Schüler*innen denken? Der Schüler von damals spürte nur die Missbilligung seines Werks, und zumindest vor dreißig Jahren war die Feedbackkultur in deutschen Grundschulen noch ziemlich unidirektional, so dass darüber auch nicht zu diskutieren war.

Höhenflug und Himmelfahrt

In jüngster Zeit scheinen Himmelfahrten wieder en vogue zu sein, zumindest bei reichen weißen amerikanischen Männern, die nicht mehr wissen, wohin mit ihren Fantastilliarden.

So sind sowohl Elon Musk als auch Jeff Bezos und Richard Branson im vergangenen Jahr, als die Welt mit der Covid-19-Pandemie rang, ins All geflogen. Wenn sie sich, was man bei ihrem Gottkomplex durchaus unterstellen kann, dabei wie Jesus fühlen wollten, sind sie damit krachend gescheitert, denn sie waren alle drei in Raketen unterwegs und das ist ja, wie wir durch meine Religionslehrerin wissen, keine echte Himmelfahrt.

Dreifaltigkeit des Weltraumkapitalismus (v.l.n.r): Musk, Bezos, Branson. 3

Andere weiße amerikanische Männer, die aber weniger Geld haben, wie David Beasley, der Leiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, haben vorgeschlagen, dass diese Superreichen einen kleinen Teil ihres vielen Gelds lieber nutzen sollen, um die aktuelle Welthungerkrise zu beenden. Nur lumpige sechs Milliarden müssten sie dafür spenden. Sie wären danach immer noch superreich.

Für gläubige Christ*innen ist die Himmelfahrt ohnehin kostenlos und gar keine so große Geschichte mehr. Viel schwerer zu (be)greifen ist doch die Auferstehung eines Gefolterten und Hingerichteten von den Toten, oder? Passion und Auferstehung sind der Höhepunkt der Lebensgeschichte Jesu.

Was hätte Jesus am Vatertag gemacht? Er wurde als „ein Fresser und Säufer, ein Freund der Zöllner und Sünder“ (Mt 11,19) beschimpft und zog mit seinen (überwiegend männlichen) Freunden durch die Lande. Wahrscheinlich aber ohne Bollerwagen. Er stand klar auf der Seite der Armen und Ausgegrenzten. Hätte er auch die Superreichen um Almosen gebeten?

Vermutlich hängt das sehr stark davon ab, wie wir uns Jesus vorstellen. Ein ziemlich radikales Bild, und hier komme ich zu den wallenden Bärten zurück, zeigen die diesjährigen Oberammergauer Passionsspiele.

Diese theatralische Darstellung der Passion Christi, die seit 400 Jahren alle zehn Jahre von den Bewohner*innen des kleinen oberbayerischen Dorfes aufgeführt wird und dann etwa eine halbe Million Zuschauer*innen aus aller Welt anlockt, gibt sich äußerlich ganz historisierend: Zwei Jahre zuvor erlässt die Gemeindeverwaltung eine Verordnung, nach der sich alle der rund 2.100 Laienschauspieler*innen die Haare (und die Männer auch die Bärte) wachsen lassen müssen. Schlechte Zeiten für Friseur*innen in Oberammergau. Weite Gewänder werden aus alten anatolischen Stoffen genäht, Kippot aufgesetzt, Pferde, Kamele, Schafe und Tauben herbeigeholt. Orchester, Chor und Solist*innen proben die stark von Mozart und Haydn, aber auch von hebräischen Texten und Klängen beeinflusste Bühnenmusik.

Klangbeispiel: Ouvertüre (Orchester – Passion 2022 (passionsspiele-oberammergau.de))

Kein Zweifel: In Oberammergau nimmt man über Jahrhunderte eingeübte christliche Sehgewohnheiten genauso ernst wie die Tatsache, dass Jesus Jude war.

Doch die Themen, die bei der Inszenierung der letzten Tage Jesu auf die Theaterbühne gebracht werden, sind hochaktuell.

Der ärmliche jüdische Wanderprediger Jesus – gespielt von Rochus Rückl, der im echten Leben kurioserweise Luft- und Raumfahrttechnik studiert – kommt aus Galiläa mit seinen Freunden zum Pessachfest in die besetzte Hauptstadt Jerusalem. Er legt sich dort sofort mit der lokalen (Hoher Rat) und globalen Elite (Römer) an. Er löst Begeisterung in der armen Bevölkerung aus und befremdet die Reichen, denen er schonungslos den Spiegel vorhält: „Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Mk 10,17-27). Die Schere zwischen Arm und Reich, Klimawandel, Krieg, Flucht und Vertreibung – alles wird benannt.

Mit allen Mitteln des politischen Machtapparats – Debatte, Demagogie, Verleumdung, Einschüchterung, Bestechung und Repression – versucht die Elite daraufhin den Störer der öffentlichen Ordnung mundtot zu machen.

Mich erinnert das an all die unbequemen Prophetinnen und Mahner unserer Gegenwart, die Greta Thunbergs, Julian Assanges und Vanessa Nakates, die den Finger in die Wunden unseres Systems gelegt haben und dafür massiv angefeindet werden.

Jesus (Rochus Rückl) legt selbst Hand an bei der Vertreibung der Händler aus dem Tempel4

Jesus befremdet aber auch seine eigenen Anhänger, insbesondere seinen Freund Judas, der sich die revolutionäre Übernahme der politischen Macht durch seinen Rabbi (und eine Karriere an dessen Seite, vielleicht als Finanz- oder Sozialminister in einer Regierung der Armen) erhofft hat. Aber Jesus erteilt dem eine Absage: „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!“ (Mt 5,38) Jesus predigt, dass die Feindesliebe den Menschen zu Gott bringt. „Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten?“ (Mt 5,46)

Dieser bedingungslose Pazifismus ist für Judas, Bewohner eines von Rom besetzten Landes, unvorstellbar. „Wie kann ein Mensch solches aushalten?“, fragt er, stellvertretend für uns alle. Der*die Zuschauer*in nimmt diese radikale Gewaltlosigkeit angesichts der Diskussion um deutsche Waffenlieferungen in die Ukraine besonders stark wahr.

Zwei einander widersprechende Konzepte der Friedenspolitik: Jesus (Rochus Rückl, rechts) steht für Gewaltlosigkeit, Judas (Cengiz Görür, links) für robustes Auftreten. In der Mitte Maria Magdalena (Barbara Schuster)5

Der Oberammergauer Jesus irritiert sein (inszeniertes) historisches Umfeld – und er irritiert auch uns. Er tut dies energisch, zornig und zunehmend verzweifelt. „Warum versteht ihr meine Worte nicht? Warum verändert ihr euch nicht?“ ruft er fast flehend. Am Ende folgt – nach einem politischen Schauprozess und einer brutalen Hinrichtung – zwar die Auferstehung. In den Worten des Spielleiters Christian Stückl ist Jesu Mission trotzdem „eine gescheiterte Mission, wenn wir nach 2000 Jahren Christentum seine Botschaften immer noch nicht umgesetzt haben.“6

Harte Worte. Da steht jemand so konsequent und bedingungslos für die Liebe ein, dass er sich töten lässt, dann wieder lebt und in den Himmel auffährt.

Uns lässt er mit seinen so einfachen Botschaften, deren Umsetzung die Welt zu einem besseren Ort machen würde, überfordert zurück. Eine klimafreundlichere Himmelfahrtsmethode als die Rakete wäre dabei übrigens, wie schon Joan Osborne wusste, der Bus:

What if God was one of us

Just a slob like one of us

Just a stranger on the bus

Trying to make his way home

 

Like a holy rolling stone

Back up to Heaven all alone

Just tryin‘ to make his way home

Nobody callin‘ on the phone

‘Cept for the Pope maybe in Rome7

Hashtag: #himmelfahrt


(Beitragsbild: @wikilmages)

1 https://www.akg-images.de/archive/Christi-Himmelfahrt-2UMDHUYO86T.html
2 Bulletins 2022 – Saints Peter & Paul Ukrainian Catholic Church (sspeterpaulukrchurch.us)
3 Drei Milliardäre in Raketen und Scheine im Weltall | STERN.de
4 https://www.zeit.de/2022/20/passionsspiele-oberammergau-bayern-jesus-kreuzigung
5 https://www.suedkurier.de/ueberregional/kultur/die-zwei-passionen-von-oberammergau-jesus-und-judas-streiten-um-pazifismus-und-realpolitik;art10399,11144042
6 Gemeinde Oberammergau: Passionsspiele Oberammergau 2022, 2022.
7 Joan Osborne: One of Us (1995), https://www.youtube.com/watch?v=aDdOnl0bHO4

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kilian linder

hat in Freiburg und Madrid Geschichte und Islamwissenschaft studiert. Heute ist er Lateinamerikareferent bei Caritas international.

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