Was haben ein fehlender Vers in der Leseordnung, Ostern und das Responsum ad dubium der Glaubenskongregation gemeinsam? Eva Puschautz begibt sich für y-nachten.de auf eine österliche Spurensuche. Happy Auferstehung!

Schon wieder Ostern. Und schon wieder so ein unsicheres Ostern. Haben wir uns nicht erst gefragt, wie ein Ostern im Lockdown funktionieren soll? Nun sind wir wieder am selben Punkt angelangt. Was uns – hoffentlich – eint, ist das Osterevangelium. Dieses Jahr wurde es in der Osternacht aus dem Markusevangelium gelesen. Schließlich befinden wir uns gerade im Lesejahr B, das dem ältesten Evangelium gewidmet ist. Anlass genug wieder einmal einen genaueren Blick auf diese älteste Auferstehungserzählung zu werfen. Bei Markus kommen die Frauen mit wohlriechenden Ölen zum Grab und fragen sich, wer ihnen den schweren Stein vom Grab wegrollen könnte. Übrigens das einzige Evangelium, das einen Einblick in die Sorgen der Frauen gibt. Eine seltene Stelle biblischer Literatur, an der ein Gespräch von Frauen übermittelt ist.

Eine Botschaft mit Schrecken und Entsetzen?

Die Frauen sehen, dass der Stein schon weggerollt ist. Und um festzuhalten wie außergewöhnlich das ist, fügt der Evangelist die Notiz hinzu „er [der Stein] war sehr groß“ (Mk 16,4; alle Bibelzitate aus der EÜ 2016). Die Frauen sehen dann einen jungen Mann in Weiß gekleidet sitzen und erschrecken – nachvollziehbar, wenn im Grab bloß ein Leichnam erwartet wird. Dieser junge Mann teilt den Frauen etwas mit, was ihr komplettes Weltverständnis auf den Kopf stellt: Jesus ist auferstanden. Aber nicht nur das: sie sollen das Petrus und den Jünger*innen sagen und nach Galiläa gehen, wo sie Jesus sehen werden, wie er es ihnen gesagt hat. Wenn man, wie ich, mit diesen Texten aufgewachsen ist und sie nicht nur zu Ostern, sondern jeden Sonntag hört, verliert sich das Neuigkeitspotenzial mit der Zeit. Aber wenn wir versuchen, uns in die Situation der Frauen hineinzuversetzen, scheint der darauffolgende Vers besser begreifbar. Es kommt nämlich zu einer Reaktion, die überhaupt nicht zu unserem – fast freudigen – Hinfiebern auf Ostern passt, denn in Mk 16,8 heißt es:

„Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich.“

Was hat Jesus den Frauen verheimlicht?

Das passt so gar nicht in das Bild, das auch schon die ersten Hörer*innen des Markusevangeliums von den ersten Jahrzehnten der Jesusbewegung hatten. Es ist ja weitergegangen. Die Botschaft wurde weitergegeben. Sonst wäre sie auch nicht in ihren Gemeinden angekommen. Das ist doch eine schöne Nachricht – keine entsetzliche. Victoria Phillips versucht in ihrem Beitrag ‚The failure of the women who followed Jesus in the Gospel of Mark‘1 aufzuzeigen, was die Frauen zu ihrer Reaktion bewogen haben könnte. Einerseits die Begegnung mit dem fremden Mann, der sie zu kennen scheint und ihnen einen Auftrag mit auf den Weg gibt, andererseits der Auftrag selbst. Jesus hat den Zwölf am Weg auf den Ölberg erzählt, dass sie ihn in Galiläa wiedersehen werden (Mk 14,28). Die Frauen haben das nicht gehört. Sie werden hier, zusätzlich zum Schock des leeren Grabes, damit konfrontiert, dass Jesus anscheinend den Zwölf eine wichtige Mitteilung gemacht hat, von der die Frauen nichts wissen, an die sie sie jetzt aber erinnern sollen. In diesem Zustand von Schock und Überforderung scheint es durchaus verständlich zuerst mit Entsetzen und Furcht zu reagieren, möglicherweise auch mit Angst davor, wie die Jünger*innen reagieren könnten, wenn sie diese Nachricht hören.

Schreit es hinaus!

Weiterverbreitet wurde die Nachricht schlussendlich trotzdem. Wenn wir Mk 16,8 heute lesen, denken wir uns: Aber diese große, wunderbare Botschaft muss doch hinausgeschrien und verkündet werden. Das müssen doch alle wissen! – Und genau das wollte der Evangelist Markus erreichen. Das schockierende Ende seines Evangeliums soll seine Hörer*innen genau so wie uns heute aufrütteln und uns dazu bringen selbst aktiv zu werden, hinauszugehen und zu verkünden was wir über diesen Jesus von Nazareth erfahren haben. Wir alle sollen weitertragen, was die Frauen in diesem Moment noch nicht konnten. Wir sollen zurück nach Galiläa gehen (an den Anfang des Evangeliums) und die Geschichte, mit dem Wissen um das Ende und um die Auferstehung, noch einmal lesen. Wir, genau so wie die ursprünglichen Adressat*innen des Markus, sollen Multiplikator*innen sein für diese Frohe Botschaft. Aus einem erschreckenden Ende soll etwas Großes, Freudiges, Unerwartetes werden.

Zensur der Leseordnung

In der Osternacht vor einigen Tagen mussten wir uns mit diesem erschreckenden Ende nicht auseinandersetzen. Die liturgische Leseordnung beendet das Evangelium mit den Worten des jungen Mannes in Mk 16,7: „Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ Der nachfolgende Vers, der eigentliche Schluss des Evangeliums, ist einfach nicht vorgesehen. Möglicherweise, weil er zu anstößig scheint für Kirchenbesucher*innen heute. Möglicherweise, weil man aus Angst hatte, dass die Priester ihn in der danach folgenden Predigt nicht ausreichend auslegen können und die Menschen verängstigt zurückbleiben an einem Freudenfest. Aber was für ein Umgang ist das mit dem Text? Wie kann man sich einfach über das so durchdachte und befeuernde Ende des Evangelisten Markus hinwegsetzen, meinen, es sei heutigen Ohren nicht mehr zumutbar?

Vielleicht zeigt sich in der Auswahl der Evangeliumsperikope auch Angst vor den Konsequenzen. Was, wenn einige diese Aufforderung zu eigenständigem Handeln und Lesen im Evangelium tatsächlich ernst nehmen? Was, wenn die Hörer*innen durch selbstständige ReLektüre zur Erkenntnis kommen, dass die offizielle Lehre der römisch-katholischen Kirche und das Evangelium immer öfters nicht mehr kompatibel sind?

Eine unkontrollierbare Botschaft!

Wie schnell die Auslegung von Texten die vorverfassten Bahnen verlassen kann, zeigt sich gerade anhand des Responsum ad dubium der Glaubenskongregation zur Frage der Segnung der Verbindung von gleichgeschlechtlichen Paaren. Die Hoffnung der Glaubenskongregation war es, mit diesem Schreiben die Diskussion der Frage zu beenden. Es kam tatsächlich ganz anders. In den letzten Wochen ist eine Welle der Solidarität mit gleichgeschlechtlichen Paaren und eine Auseinandersetzung mit dem Thema Segnung über den deutschsprachigen römisch-katholischen Raum geschwappt, wie sie davor nicht vorstellbar gewesen ist.

Um bei Markus zu bleiben: ein großer Stein ist ins Rollen gekommen.

Priester und pastorale Mitarbeiter*innen landauf und landab haben sich öffentlich dazu bekannt, schon lange homosexuelle Paare zu segnen und das natürlich auch weiterhin zu tun. Regenbogenflaggen hängen vor und in Kirchen und an katholischen Fakultäten. Studierende starten Aktionen, um ihrer Unzufriedenheit mit den Aussagen der Glaubenskongregation Ausdruck zu verleihen. Professor*innen katholischer Fakultäten unterschreiben öffentlich, für alle einsehbar, ein Statement, das sich gegen das Schreiben der Glaubenskongregation wehrt. Ein Schreiben, das im ersten Moment für Schrecken und Entsetzen gesorgt hat, hat zum eigenständigen christlichen Handeln vieler geführt und zum Weitertragen der Botschaft der Liebe des Evangeliums. Wenn das kein österliches Zeichen, ganz nach dem Geschmack des Evangelisten Markus ist!


Hashtag der Woche: #HappyAuferstehung

Bild: Bruno van der Kraan on Unsplash


1 Phillips, Victoria, The failure of the women who followed Jesus in the Gospel of Mark, in: Levine, Amy-Jill (Hg.), A feminist companion to Mark (The feminist companion to the New Testament and early Christian writings 2), Sheffield 2001, 222-234.

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eva puschautz

hat in Wien katholische Fachtheologie studiert und arbeitet derzeit als Prae-Doc Assistentin am Institut für Bibelwissenschaft der Universität Wien. Wenn sie nicht theologische Probleme wälzt oder die Schönheit diverser Bibeltexte entdeckt, ist es gut möglich, dass sie singt oder bäckt.

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