Br. Wolfgang Sigler OSB aus der Abtei Münsterschwarzach startete vor etwa einem Jahr den Hashtag #coronaeremit, der seither allerlei Frust, Hoffnung und Alltag einer Pandemie dokumentiert.

Vor gut einem Jahr waren wir von heute auf morgen eine Gesellschaft von Vereinzelten. Ausgehend vom Ziel, das Virus an der Verbreitung zu hindern, entstanden neuartige Übungen für das soziale Miteinander: Hygienekonzepte, Mundschutz, körperlicher Abstand. Eine Folge der neuen Situation war die Entstehung einer neuen Klasse quer durch die Gesellschaftsschichten – die Corona-Eremit:innen. Viele Menschen mussten jetzt so stark wie vielleicht nie zuvor in ihrem Leben mit dem Alleinsein zurechtkommen.

Von denen lernen, die bewusst in die Isolation gegangen sind?

Ordensleute sollten sich mit dem Alleinsein auskennen. Denn wer sich Mönch nennt, der behauptet von der griechischen Wortwurzel her, er sei ein monachos, also einer, der allein sein kann. Die ersten Mönche gingen allein in die Wüste, um dort als Eremiten zu leben, und bis heute gibt es in Ägypten beeindruckende halb-eremitische Mönchssiedlungen. Auch der Begriff „Eremit“ ist von einem griechischen Wort abgeleitet. Eremos bedeutet unbewohnte Einöde, Wüste. Wer sich daran macht, Amma oder Abba, also Wüstenmutter oder -vater zu werden, will Jesus nachfolgen, der in die Wüste (Mk 1,12) und später immer wieder an Orte ging, an denen er allein sein konnte.

Wer in einer Ordensgemeinschaft lebt, begibt sich zunächst einmal in ein enges soziales Gefüge – vermeintlich das Gegenteil der Verlassenheit einer Wüstennacht. Gleichzeitig gibt es aber auch den Abend in der Klosterzelle, ohne Fernseher oder WLAN. Christ:innen im Orden setzen sich immer wieder bewusst Zeiten des unabgelenkten Alleinseins aus. Das Bewusste daran ist aber noch nicht die Lösung. Manche von uns werden etwas kauzig, und immer wieder gibt es Menschen, die in diesem Lebensentwurf Erfahrungen des Scheiterns machen, auch wenn sie ihn für sich gewählt haben. Um mit dem Alleinsein klarzukommen, haben Nonnen und Mönche bestimmte Techniken entwickelt, sowohl im einzelnen Lebenslauf als auch innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften, welche den Weg des Klosters schon seit Generationen miteinander gehen. Ein Ziel ist das habitare secum, übersetzt: bei sich zu wohnen. Dabei geht es darum zu lernen, wie man es mit sich selber aushält und zwar gerade dann, wenn die Ablenkungen des Lebens wegfallen. Wie geht das, gut allein zu sein?

Drei Mönche als #coronaeremit-en

Als ich mit Abt Martin Werlen und Pater Maurus Runge auf Twitter den Hashtag #coronaeremit startete, wollten wir etwas von dieser Kunst weitergeben. Wir selber waren in unsere besondere Lebensweise mit viel Rat und Hilfe eingeführt worden. Wenigstens das Rüstzeug für die Corona-Eremitage stand uns also zur Verfügung. Jetzt ging es darum, denen eine Hilfestellung zu geben, die sich ins kalte Wasser geworfen wiederfanden. Da standen tröstliche Texte der Nonne und zeitgenössischen Dichterin Silja Walter neben recht handfesten Ratschlägen aus den gesammelten Sinnsprüchen der Wüstenmönche.

Wenn ich heute auf den Hashtag klicke, wird eine ganze Fülle von Gedanken aufgelistet, und immer wieder ist etwas dabei, das ich einen tiefen Atemzug lang nachklingen lasse. Oder das ich mit einem Schmunzeln lese. Denn andere sind mit eingestiegen und mittlerweile ist ein kreatives Durcheinander ganz verschiedener Perspektiven entstanden. So ähnlich stelle ich mir die Wanderschaft eines frühen Novizen vor, der von Einsiedler zu Einsiedler zieht und an jeder Station eine neue Einsicht mitnimmt, sei es auch nur ein Satz. Wer mag, kann sich da auf eine kleine Wallfahrt durchs Netz begeben.

Was ich selbst gelernt habe: Neue Behutsamkeit für meine Mitmenschen

Schon bei meinen ersten Beiträgen zu diesem Thema ist mir aufgefallen, welche Vorsicht in dieser innerlich angespannten Zeit geboten ist. Denn für viele ist das Alleinsein zur drückenden Einsamkeit geworden und sie stehen schon zu lange unter der Spannung, das auszuhalten. Von Menschen, die den Einsamen beistehen wollen, fordert diese Situation vor allem eines: Einfühlsamkeit. Vielleicht bin ich durch meine Corona-Erfahrungen ein bisschen behutsamer geworden und denke heute mehr darüber nach, wie sich die Menschen gerade fühlen könnten, mit denen ich zu tun habe. Das gilt besonders für starke Charaktere in meinem Freundeskreis, von denen ich weiß, dass sie ihre Anstrengung oder auch ihre Erschöpfung gerade nicht zeigen wollen. Besonders ausgeprägt scheint mir das im Kontakt auf sozialen Medien: Hier fehlt mir die Fülle nonverbaler Kommunikation, die eine Gesprächsatmosphäre sonst anbietet – und viele versuchen, sich online nur von ihrer Sonnenseite zu zeigen. Da gilt es, besonders sorgsam auf Hinweise zu achten.

Um auf andere eingehen zu können, ist es zunächst einmal gut, einen Blick auf mich selbst zu werfen. Denn die offene Zuwendung zu anderen Menschen hat schlichtweg auch körperliche Voraussetzungen. Habe ich gerade Ressourcen für dieses Gespräch oder bin ich zu müde? Mich selbst gut im Blick zu haben, hilft auch dabei, die anderen deutlicher wahrzunehmen. Denn damit nehme ich die Verzerrungen zurück, die sich aus den Projektionen meiner eigenen Probleme auf andere und aus meinem Schatten ergeben. Was ich bei mir selbst überspielen muss, übersehe ich leicht bei anderen. Oder habe ich mich ganz in eine Art Emsigkeit begeben, die meinen eigenen Krisenstress kanalisieren oder doch wenigsten überdecken soll?

Im ärgsten Fall kann innerhalb einer solchen Stimmung der Blick auf andere ganz verloren gehen. Gerade die in meinem Umkreis, die in depressive Stimmungen verfallen, werden derzeit ganz still und lassen nichts mehr von sich hören. Da brauche ich Momente der Muße, um mich überhaupt zu erinnern, dass da jemand ist, und um mich auf das langsamere Schritttempo der anderen Person einzustellen.

Trotzig weiterhoffen

Neu gelernt habe ich, trotzig zu sein. Eigentlich bin ich ein eher angepasster Mensch. Ich lasse mir nicht alles gefallen, aber doch einiges. Dann aber fing ich an, anzuschreiben gegen den Phantomschmerz abgeschnittener Kontakte und die graue Müdigkeit, die irgendwann alles erfasste. Und mir wurde die große Zumutung dieser Zeit deutlich: Die Hoffnung geht verloren. So entstand ein neuer roter Faden in meinem Denken – das Trotzdem meines christlichen Glaubens.

Als Christ will ich einer sein, der Christus nachfolgt. Der trotz allem weitergeht, und zwar nicht nur meinen Weg, sondern den Weg hin zu den anderen. Das erspart mir nicht die Beklemmung, die Ängste und die Erschöpfung. Aber es rechtfertigt meinen Willen, weiterzugehen. Irgendwie sind wir gemeinsam auf diesem Weg. Und irgendwie, gerade wenn ich nicht sehe, wohin der Weg führt, hoffe ich trotzig weiter, Tweet für Tweet und Schritt für Schritt. Der Hashtag #coronaeremit hat mir gezeigt, dass ich darin jedenfalls nicht alleine bin.

Hashtag der Woche: #coronaeremit


(Beitragsbild: @wgbieber)

 

 

Print Friendly, PDF & Email

bruder wolfgang sigler

war ursprünglich Jurist und nebenberuflich Kirchenmusiker, bevor er 2015 Missionsbenediktiner wurde. Er studiert(e) Theologie in Salzburg, Collegeville, MN, sowie Sankt Georgen/Frankfurt, und ist für Junges Münsterschwarzach in der Kursarbeit tätig. Twitter: @hellerewelt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: