In unserer Reihe #Requiem machen wir uns auf die Suche, wie sich die Corona-Pandemie auf unseren Umgang mit Tod und Trauer auswirkt. Stefan Gärtner findet: Die Kirchen haben in der Trauerbewältigung versagt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier plant für den April 2021 eine zentrale Gedenkfeier für die Corona-Toten in Deutschland. Er hat sich schon im Januar mit einer Initiative unter dem Hashtag #lichtfenster als ritueller Experte gezeigt: Er forderte die Bürger*innen auf, jeden Abend eine Kerze ins Fenster zu stellen als Erinnerung an die Menschen, die wegen der Pandemie nicht mehr unter uns sind. Verschiedene Bischöfe haben diesem Aufruf medienwirksam Folge geleistet.

Der Staat muss tun, was Aufgabe der Kirchen wäre

Das ist nicht deshalb interessant, weil sie damit Bürgersinn bewiesen haben. Vielmehr zeigen die beiden Initiativen des Bundespräsidenten, dass sich die lange Zeit gültige Aufgabenverteilung zwischen Staat und Kirche bei starken gesellschaftlichen Erschütterungen umgedreht hat. Bis in die jüngste Vergangenheit kam den beiden großen Konfessionsgemeinschaften in Deutschland bei einer Naturkatastrophe oder einem schweren Unfall noch eine selbstverständliche Rolle zu: Sie waren federführend bei der rituellen Verarbeitung. Sogar im entkirchlichten Ostdeutschland fand 2002 nach dem Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt die Gedenkfeier für die Opfer auf den Stufen des Doms unter dem Zeichen des Kreuzes statt. Ein Bischof und ein Superintendent spendeten Trost und gaben Orientierung.

Der Philosoph Hermann Lübbe geht davon aus, dass die praktische Bewältigung von Kontingenz die letzte Funktion von Religion sei, die nicht ersetzt werden kann. Wenn es eine wirkliche Krise gibt, dann könne sie auch für ansonsten säkulare Menschen wichtig werden. Not lehrt Beten. Das entspricht im Übrigen ganz dem Selbstverständnis der Kirche und war vom Staat und der Zivilgesellschaft weitgehend akzeptiert. So kann man sich täuschen.

Sicher, auch Christ*innen tragen in der Pandemie ihren Teil bei. Die Kirchenglocken wurden als Ausdruck der Solidarität geläutet, Nachbar*innen zeigen eine selbstverständliche Verbundenheit, Klinikseelsorger*innen stehen Sterbenden bei und suchen dabei die Grenzen dessen auf, was für die eigene Gesundheit verantwortbar ist, Lehrer*innen telefonieren Kindern nach, die in den Untiefen des Homeschooling verschwunden sind, Gottesdienste sorgen für Gemeinschaft in der Isolation, Basisgruppen setzen sich weiterhin für die ein, die auch schon vor Corona übersehen und benachteiligt waren, das Briefeschreiben wurde wiederentdeckt. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Die Kirche als gesellschaftlich relevante Instanz ist eine Illusion

Doch die Amtskirche hat landesweit versagt. Diese Feststellung ist nicht einmal originell, man kann sie im Feuilleton und auf Twitter lesen. Die Kirche war nicht nur unfähig, eine Initiative zur rituellen und symbolischen Verarbeitung der Pandemie zu starten. Das hat das deutsche Staatsoberhaupt übernommen und es bleibt abzuwarten, ob Bischöfe beim nationalen Gedenken in der ersten Reihe sitzen werden und ob sie reden dürfen. Immerhin ist nun vorher ein ökumenischer Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche geplant, zu dem die Vertreter*innen der Verfassungsorgane eingeladen werden sollen.

Auch als Sinnstiftungsinstanz in der Krise fiel die Kirche aus. Den klugen Satz, dass wir in ein paar Monaten einander wohl viel verzeihen werden müssen, sprach bereits im Frühjahr 2020 der Bundesgesundheitsminister aus, der (immerhin) biographisch vom katholischen Milieu angehaucht ist. Bis heute gibt es keine anwaltschaftliche Verlautbarung der Kirche für die Menschen, die wegen der scheinbar unfehlbaren Hygienevorschriften in Einsamkeit leiden und sterben. In den Talkshows geben Virolog*innen den Takt vor, Theolog*innen glänzen durch Abwesenheit. Die virtuellen Kommunikationskanäle der Kirche sind veraltet. Pfarrer drehen Däumchen.

Die Kirche kümmert sich in der Pandemie gründlich um die Einhaltung der geltenden Vorschriften, damit die verbliebenen Gottesdienstbesucher*innen sicher sind. Darüber hinaus schleppt sie sich mehr recht als schlecht über den synodalen Weg, verärgert die Betroffenen mit der zögerlichen Aufarbeitung der sexuellen Gewalt in ihren Reihen und sammelt die Priesteramtskandidaten ein. Die Beschäftigung mit dem internen Reformstau, spirituelle und institutionelle Trägheit, gewöhnliche Machtinteressen und ein kleinkarierter Formalismus verstellen den Blick für die Freuden und Nöte der Menschen. Im Jargon der Gesellschaftstheorie von Hartmut Rosa: Der Weltbezug der Kirche erzeugt ein Echo, aber keine Resonanz. Wenn jemand somit noch Illusionen über eine gesellschaftlich bedeutende Rolle der Kirche als geistliche, ethische oder rituelle Instanz in Deutschland hatte, dann sind diese nun als das entlarvt, was sie sind: eben Illusionen.

Hashtag: #requiem


(Beitragsbild: @jontyson)

dr. habil. stefan gärtner

ist Assistant Professor für Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology, Niederlande.

One Reply to “#Requiem: Die Kirche versagt in der Pandemie. Ein Abgesang”

  1. Die Frage ist auch, ob man der Kirche die Chance dazu gibt. Dadurch, dass die Gesellschaft pluralistischer geworden ist, kann natürlich die Kirche nicht erster Ansprechpartner sein. Das würde doch Ungläubige oder Andersgläubige ausschließen… Ich höre schon die ersten kreischen, warum das denn das die Christen schon wieder machen… Da ist natürlich die Veranstaltung des Staates „umfassender“ und „neutraler“. Eine solche Veranstaltung von Seiten des Staates ist daher zunächst vollkommen richtig, dazu ist der Staat da und das darf er auch ohne KIrche tun. Dass Pfarrer vor Ort „Däumchen drehen“ ist sehr pauschal. Wie viel darf Kirche vor Ort denn tun, ohne dass die Gesellschaft es kritisiert, dass Kirche wieder eine „Extrawurst“ bekommt und „mehr“ machen darf als alle anderen?
    Der Theologe beschwert sich, dass Theologen nicht in Talkshows eingeladen werden. Machen sie es denn besser? Anscheinend haben die Theologen aber auch nichts Neues zu sagen als dass es sich lohnen würde sie einzuladen: Es würde sich wahrscheinlich auch zusammenfassend in dem Wort „Solidarität“ erschöpfen… So gut und richtig es ist – dazu braucht man aber auch den Theologen nicht… Machen es die Theologen es also besser? Sie sind ein Teil der Kirche, reden aber nicht verständlich genug als dass es die Menschen irgendwie berühren könnte. Ich las die Tage ein zugegeben wirklich lesenswertes Buch des bekannten Theologen Magnus Striet. Ich zweifle daran, ob er mit diesem Buch außer einem kleinen Kreis der gehobeneren Akademikerschaft Menschen erreichen könnte – also auch bei den Theologen gilt was sie selbst der Kirche vorwerfen: Keine Relevanz! Den Gläubigen ist zu seicht oder zu schwer zu verstehen; der Gesellschaft erzählen sie nichts, was sie nicht eh schön wüsste.

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