Die Ukraine stellt nicht nur in politischen Fragen ein Konfliktfeld dar und auch der Athos widmet sich nicht nur spirituellen Belangen. Paul Draganoff beleuchtet in seinem Beitrag die historischen und gegenwärtigen Entwicklungen der Ukraine-Frage auf dem Heiligen Berg.

Einmal mehr droht der Heilige Berg Athos in einen großen kirchenpolitischen Konflikt hineingezogen zu werden, denn die Ukraine kämpft für ein eigenes Patriarchat. Das ist allerdings bei Weitem keine Neuheit, denn die Frage um die Einrichtung eines von Russland unabhängigen Patriarchats kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, die seit der Annexion der Krim 2014 erneut an Brisanz gewonnen hat.

Seit jeher stellt der Berg Athos für die gesamte Orthodoxe Kirche ein spirituelles Zentrum dar. Da das Mönchtum gerade im individuellen religiösen Leben der Gläubigen große Autorität genießt, gingen gerade vom Athos wichtige Impulse wie etwa das Herzensgebet aus. Gerade aber wegen diesem weitreichenden Einfluss auf das Leben der Gläubigen, war es für die (kirchen-)politischen Akteure immer vorteilhaft, die Mönchsrepublik hinter sich zu haben. Diese wechselseitige Beeinflussung hat mehrmals in der Geschichte dazu geführt, dass innerkirchliche Konflikte auf dem Athos ausgetragen wurden.

Die Ukraine als Konfliktgebiet zwischen Ost und West

Die Ukraine war seit den Tagen der Kiewer Rus‘ (9.Jh.) ein stark orthodox geprägtes Land. Im Lauf der Jahrhunderte war jedoch das ukrainische Staatsgebiet Teil verschiedenster Nationen. So kamen neben russischen auch polnische oder österreichische Einflüsse in die Region und damit auch die katholische Kirche. Als Bindeglied zwischen Ost und West war die Ukraine oft Konfliktgebiet, doch die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) blieb im Großteil des Landes dominant.1 Wenn man bedenkt, dass die Ukraine die höchste Gemeindedichte im Kanonischen Territorium des ROK aufweist, dann ist die Vehemenz, mit der man auf sie besteht, verständlich.

Eine erste Abspaltung bildet die Griechisch-Katholische Kirche im westukrainischen Galizien. Nach der Zwangsunierung mit der ROK 1946, wurde sie 1990 neugegründet und von der ROK als von ihr unabhängig anerkannt. Eine zweite Abspaltung nach der Wende, die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche (UAOK), geht auf den kurzlebigen ukrainischen Nationalstaat nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Die ROK antwortete darauf mit der Aufwertung des verbliebenden Teils der Orthodoxen Kirche in der Ukraine von einem Ukrainischen Exarchat zur autonomen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche unter dem Metropolit Filaret von Kiew auf.

Doch Filaret „[…] der nach seiner Niederlage bei der russischen Patriarchenwahl 1990 nun seine Hoffnungen auf die orthodoxe Führungsposition in der Ukraine setzte […]“2, wollte dann seine ihm treuen Bischöfe mit der UAOK vereinigen. Diese gründete sich aber mitunter auch seinetwegen, weshalb sie Filaret nicht als Patriarchen anerkennen wollten. So gründet Filaret eine zweite autokephale Kirche, nämlich die Ukrainische Orthodoxe Kirche – Kiewer Patriarchats (UOK-KP), der sich eine große Mehrheit der autokephalen Bischöfe anschloss.

Zusammenfassend gab es nun neben der Griechisch-Katholischen Kirche in der Westukraine, eine autonome Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die dem Moskauer Patriarchat unterstellt ist, und zwei von Moskau unabhängige, also autokephale Kirchen in der Ukraine. Beide autokephalen Kirchen vereinigten sich 2018 zur Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Diese unterstand zunächst dem Ökumenischen Patriarchat Bartholomäus I. von Konstantinopel, der sie dann trotz Protesten der ROK am 6. Januar 2019 für autokephal erklärte. Sie wurde dann im Laufe des Jahres vom Patriarchat von Alexandria und ganz Afrika und vom griechischen Erzbischof, also der Kirche in Griechenland anerkannt.3

Der spirituelle Berg Athos als kirchenpolitischer Austragungsort

 Für entsprechendes Konfliktpotential sorgte daher der Besuch eines Bischofs der OKU auf dem Berg Athos. Als im Februar 2019 Bischof Pavel von Odessa auf dem Heiligen Berg ankam, hießen ihn nur vier von den 20 Großklöstern willkommen. In anderen Klöstern, wie dem russischen Panteleimon-Kloster wurde die ukrainische Delegation gar nicht geduldet.4

Dieses Ereignis zeigt deutlich, dass der innerorthodoxe Konflikt auf dem Athos angekommen ist, denn dessen Stellungnahme kommt angesichts der hohen spirituellen Autorität vor allem für die Gläubigen großes Gewicht für die Lösung des kirchenpolitischen Konflikts in der Ukraine zu. Kirchenrechtlich wäre die Lage eigentlich klar, denn die Klöster unterstehen dem Ökumenischen Patriarchen. Doch:

„Nun hat Metropolit Hilarion Alfejew, der alle Kiew-treuen Mönche als ‚Schismatiker‘ verurteilt hat, dazu aufgerufen, Stellung zu beziehen. ‚Es ist eine dringende Entscheidung für die gesamte Mönchsrepublik und für jede Gemeinschaft des Berges Athos‘, warnte der Metropolit in einer Erklärung des orthodoxen Portals Iisus. Schließlich sei der Berg ‚für Millionen orthodoxer Gläubiger nach wie vor eine Säule der kirchlichen Wahrheit‘.“5

Diplomatische Lösungsversuche der Hiera Koinotis

Somit steht also der Berg Athos auch von russischer Seite unter Druck. Doch stellt sich die Frage, ob und wie es zu einer angemessenen Lösung des Konfliktes kommen kann, denn einerseits droht ein Schisma innerhalb der orthodoxen Kirche, andererseits eine Konfrontation zwischen dem Patriarchen von Moskau und dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Im Februar 2019, hat sich die Hiera Koinotis (die Versammlung der 20 Großklöster auf dem Heiligen Berg, zu dem jedes Großkloster einen Vertreter schickt) mit diesen Fragen beschäftigt. Dort gaben die Versammelten einerseits bekannt, dass sie hinter dem Ökumenischen Patriarchen stehen und keine Erniedrigung desselben dulden werden. Andererseits stehen sie auch für den Frieden und die Einheit der Kirche ein und betonen:

„Es ist wichtig die Einheit der Heiligen Klöster zu erhalten und in jede Richtung eine klare Botschaft zu senden, dass es niemanden erlaubt sein wird, den Berg Athos zu ‚instrumentalisieren‘.“6

Diese diplomatische Formulierung erfüllt zwei Dinge: Einerseits wird die Verantwortung des Athos, den er durch den großen Einfluss auf die Gläubigen hat, dadurch ernstgenommen, dass er sich zu diesem Thema endlich äußert. Andererseits wird die monastische Tradition einer Distanziertheit vom Weltlichen Rechnung getragen. Natürlich bleibt die Frage, ob solche (kirchen-)politischen Konflikte das Alltagsleben des Gläubigen überhaupt beeinflussen. Doch wenn der Athos mit einer klaren Positionierung für oder gegen die Ukraine die Spannungen weiter erhöht, kann sich kurzgesagt ein Zerwürfnis zwischen den Patriarchen bis zum Schisma steigern. Das würde zweifelslos große Veränderungen für die Gläubigen bedeuten.
Es ist aber durch die kalmierende Antwort der Hiera Koinotis zu hoffen, dass in dieser Frage der Geist der Brüderlichkeit über die Machtpolitik, die geistlich-pastoralen Interessen über die weltlichen siegen.

Hashtag der Woche: #bergathos


(Beitragsbild @andy poole)

1 Vgl. BEHRENS Kathrin, Die Russische Orthodoxe Kirche. Segen für die „neuen Zaren“? Religion und Politik im Postsowjetischen Russland (1991-2000). Paderborn Wien 2002.

2 Ebd. S. 144.

3 Vgl. Thomas BREMER, Konflikt der Patriarchen. Über Orthodoxie und Autokephalie. In: Manfred SAPPER, Volker WEICHSEL (Hrsg.). Osteuropa 8-9. Berlin 2018. S. 99-108.

4 Vgl. NÖK, Griechenland. Athos teilweise offen für Orthodoxe Kirche der Ukraine, URL: https://noek.info/nachrichten/suedosteuropa/34-griechenland/963-griechenland-athos-teilweise-offen-fuer-orthodoxe-kirche-der-ukraine (Stand: 19.02.2021).

5 VATIKAN NEWS, Russland. Ukraine-Frage auch auf dem Athos angekommen, URL: https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2019-02/kirche-ukraine-orthodoxe-kirche.html (Stand: 19.02.2021).

6 POLYGENIS Emilios, Mount Athos is strongly in favor of the Patriarchate on the Ukrainian issue, URL: https://www.romfea.news/mount-athos-is-in-favor-of-the-patriarchate-on-the-ukrainian-issue/ (Stand: 21.03.2020): „What is important is to maintain the unitiy oft he Holy Monasteries and to send in every direction a clear message that no one will be allowed ‚to instrumentalize‘ Mount Athos.“ [Übers. d. Verf.].

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paul draganoff

ist Studienassistent am Fachbereich Theologische Ethik der Universität Wien und studiert dort Katholische Theologie.

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