Die Zeit der Tabus in Priesterseminaren sei absolut nicht vorbei, meint der Medienstudent Ferdi Stöckel, der gemeinsam mit Sally Müller in das Sankt Georgener Priesterseminar gezogen ist und daraus die Web-Serie „God or Not“ gedreht hat. Claudia Danzer und Martin Höhl aus unserer Redaktion haben die beiden Studierenden der Hochschule für Medien in Stuttgart interviewt.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben das Interview per Zoom durchgeführt. Leider konnte Sally zwischendurch nicht teilnehmen, weil sie Verbindungsprobleme hatte.

Einen schönen guten Tag euch. Zu Beginn eine Frage für unsere Leser*innen, die God or Not nicht kennen: Worum geht es bei eurem Projekt im Kern?

Ferdi: Säkularisierte Jugend trifft auf junge Männer, die Priester werden wollen. Wir aus dem „weltlichen“ Kontext, Medienstudierende, treffen auf Priesterseminaristen und machen eine Serie darüber. Es ist ein kleines Experiment, in dem zwei scheinbar fremde Welten aufeinanderprallen und sie sich selbst überlassen werden. Das wird dann alles aufgezeichnet in Form einer Serie.

Du sprichst von „scheinbar fremde Welten“? Gab es auch Gemeinsamkeiten?

Ferdi: Wenn man sich das Äußere anschaut: Wir sind alle Studierende, wir sind im gleichen Alter zwischen 20 und 25, wir sind alle christlich sozialisiert, auch wenn wir das heute unterschiedlich aktiv leben. Letztendlich sind wir ja alle Menschen und haben ähnliche Probleme und ähnliche Sorgen ganz tief drin.

Wie kamen denn diese „fremden Welten“ zusammen?

Ferdi: Erik Flügge ist der Projektinitiator und hat die Serie zusammen mit Michael Maas, dem Leiter des Zentrums für Berufungspastoral, initiiert. Erik ist an unsere Hochschule gekommen und kennt unseren Drehbuch-Professor Jørn Precht. Der kam dann auf uns zu.

Welche Unterstützung und Vorgaben habt ihr bei der Konzeption bekommen? Wart ihr da total frei und konntet die Serie so drehen, wie ihr wolltet, oder hätte sie anders ausgesehen, wenn sie ein reines Projekt der Hochschule der Medien gewesen wäre?

Ferdi: Es gab die erste Idee, die von Erik Flügge kam, die einfach nur das Aufeinandertreffen der Welten beinhaltete. Was die Folgen angeht, waren wir komplett frei, aber es gab von den einzelnen Folgen noch mal eine Abnahme: Wir haben den Seminaristen und auch Michael Maas die Chance gegeben, drüber zu schauen, bevor die Folgen online gehen, sprich, sie hatten das Recht – das man jedem auch immer zugestehen sollte – zu prüfen, ob ihre Aussagen auch veröffentlicht werden sollen, so wie sie sind. Das gab es als Prüfstein. Aber wie wir die Folgen inhaltlich aufbauen und wie wir die Dramaturgie einsetzen, darin waren wir wirklich ziemlich frei.

Wäre es ein reines HdM-Projekt gewesen, wäre ich etwas polemischer an die Sache herangegangen. Ich hätte sie nicht so sehr auf den Prüfstein gestellt und hätte das eher von außen betrachtet – diese verrückte, crazy Welt, die ich nicht verstehen kann.

Musstet ihr auch mal etwas rausnehmen?

Ferdi: Es gab auch immer wieder Sachen, die rausgeschnitten wurden. Das hat viel damit zu tun, den Seminaristen das Recht zuzusprechen, dass sie bestimmte Dinge nicht veröffentlicht haben wollen. Letztendlich wurde da meiner Meinung nach nicht viel abgeschwächt.

…was denn zum Beispiel? Eher kirchenpolitische oder persönliche Dinge?

Ferdi: Beides. Wenn die Seminaristen sich noch nicht so sicher in ihrer Haltung zu heiklen, kirchenpolitischen Themen gefühlt haben, dann wollten sie das nicht veröffentlicht haben. Ich kann verstehen, dass sie da eher halblang machen.

Im Katholizismus gibt es einige Themen – Homosexualität, Zugang zu Weiheämtern nicht nur für Männer –, die in manchen Kreisen immer noch Tabu sind. Ist diese Zeit der Tabus eurer Meinung nach im Priesterseminar vorbei?

Ferdi: Die ist nicht vorbei. Das kann ich ganz klar sagen.

Die Zeit der Tabus ist absolut nicht vorbei. Und ich glaube, dass das ein Stück weit auch immer sehr closed ist, was dort passiert.

…aber die katholische Kirche befindet sich ja gerade in einer Umbruchsphase, in der Katholik*innen sich zunehmend frei öffentlich äußern. Wie habt ihr das im Priesterseminar erlebt?

Ferdi: Ich glaube, dass es viele Stimmen gibt, die da sehr liberal sind, aber dass sie sich bedeckt halten – aus Selbstschutz. Und dass es viele andere gibt, die noch sehr krass an Lehrmeinungen und am Hierarchischen festhalten und das mit- und weitertragen.

Die Liberaleren halten sich eher zurück, weil sie ihre eigene Zukunft nicht aufs Spiel setzen wollen.

Die „Liberaleren“ halten sich zurück, weil sie Angst haben?

Ferdi: Ein Stück weit schon. Es ist eine große Vorsicht da.

Wart ihr immer zufrieden mit den Meinungen und Auffassungen, die ihr gehört habt? Beispielsweise zum Thema Homosexualität?

Sally: Es gab sehr unterschiedliche Meinungen auch unter den Seminaristen. Ich fand zum Beispiel die Auffassung sehr zufriedenstellend für mich, dass Homosexualität eben nichts Schlechtes ist, sondern auch etwas Gutes für die Gesellschaft sein kann. Es ist ja nicht so, dass Gott gesagt hat, ein Mann darf nicht einen anderen Mann lieben oder so. Es ging da mehr um die Fortpflanzung. Und ein gleichgeschlechtliches Liebespaar, das kann auch Gutes zur Gesellschaft beitragen. Gott sagt ja auch, dass jeder Mensch alle anderen Menschen lieben soll, deswegen würde das anders nicht passen.

Beim Thema Eheschließung – das ist meine persönliche Meinung – da finde ich es ein bisschen rückständig, dass die Kirche so lange braucht, um die Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare zu erlauben. Das habe ich nie verstanden, warum das überhaupt ein Problem war.

Der Katholizismus ist ja pluraler als ein Priesterseminar, auch wenn die Seminaristen z. T. unterschiedliche Meinungen haben. Trotzdem sprechen bei euch die Seminaristen für die Kirche insgesamt. Wieso waren keine anderen Studierenden einbezogen, die Gemeinde- bzw. Pastoralreferent*innen werden wollen?

Ferdi: Das Projekt ist initiiert vom Zentrum für Berufungspastoral und war darauf ausgelegt, dass es im Priesterseminar stattfindet. Wenn ich als Ferdi ein freies Projekt machen und journalistisch arbeiten würde, würde ich natürlich auch mehr Leute reinholen. Deshalb stimmt der Eindruck.

Die Jungs haben für die Lehrmeinung bzw. für die Kirche gesprochen – auch aus Selbstschutz, weil sie Muffensausen haben, dass die eigene Haltung die Zukunft negativ beeinflussen kann.

Gibt es trotzdem Platz für Individualität im Priesterseminar oder eher ein starres Leitbild?

Sally: Es gibt auf jeden Fall Platz für unterschiedliche Meinungen. Die Seminaristen haben sogar selbst eine Gruppierung in „Tradis“ und eher fortschrittlich Denkende, Modernere. Das fand ich ganz lustig. Das Leitbild sind Bibel und katholische Lehre, aber es gibt sehr unterschiedliche Interpretationen.

Ferdi: Es ist eine Frage des Maßstabs: Wenn man diese Welt in sich anschaut, gibt es natürlich unterschiedliche Meinungen, aber wenn man ein bisschen rauszoomt, dann ist es schon nicht mehr so unterschiedlich.

Die Frage der Weihe von Frauen zu Priester*innen kam bisher nicht vor, obwohl sie ja beispielsweise beim Synodalen Weg eine große Rolle spielt. Taucht die Frage noch auf?

Beide: Ja, die taucht noch auf.

Ferdi: Da gibt’s nochmal eine richtige Folge drüber, das ist nicht nur am Rand vorgekommen: Karriere in der Kirche – und wo sind da die Frauen?

Ein anderes Thema beim Synodalen Weg ist der Missbrauchsskandal. Gibt es da auch eine eigene Folge oder habt ihr das ausgeklammert?

Ferdi: Es gibt dazu keine eigene Folge, weil wir als Außenstehende nicht viel darüber wissen. Wir haben auch im Vorfeld gesagt, diese jungen Jungs da, die am Anfang stehen, damit zu konfrontieren und das zu veröffentlichen, wäre nicht fair.

…aber hattet ihr den Eindruck, dass das Thema präsent ist und die Seminaristen die Gefahren im Blick haben?

Ferdi: Ich hatte das Gefühl, dass die Jungs da so der Überzeugung sind, dass Missbrauch falsch ist, dass sie sich nicht in der Gefahr sehen, sowas zu machen. Allerdings hatte ich nicht das Gefühl, dass am Frühstückstisch darüber geplaudert wird, was ich dann wieder seltsam finde.

…wollten die Seminaristen vielleicht nur vor euch nichts darüber sagen?

Ferdi: Ja, ich hatte den Eindruck, dass sie das nicht öffentlich wollen, weil sie da selber sehr unsicher sind, wem sie was glauben.

Wie hat sich eure eigene Einstellung zur Kirche geändert: eher positiv oder negativ? Hattet ihr den Eindruck, dass das Priesterseminar Sankt Georgen ein spiritueller Ort ist, der euch auch persönlich weiterbringt?

Ferdi: Ich habe auf jeden Fall angefangen, mich mit meiner eigenen Spiritualität mehr auseinanderzusetzen und bin da auch fündig geworden. Ich kann meine kritischen Fragen mit in den Prozess nehmen und muss mich davon nicht fernhalten. Da bin ich auch froh, dass die evangelische Kirche liberaler ist. Ich glaube, dass viele Themen hinter diese „katholische Lehre“ so krass zurücktreten, dass viele Probleme der Menschen gar nicht mehr sichtbar sind.

Das passt dazu, dass die Kirche immer mehr Mitglieder verliert, weil sich die Menschen in ihrer Lebensrealität und mit ihren Problemen nicht gesehen fühlen.

Die Jungs selbst haben gesagt, die Kirche wird an Mitgliedern verlieren und das läuft auf einen kleineren Kreis an Mitgliedern hinaus, das könnte ich mir auch gut vorstellen.

Sally: Für mich im Glauben hat sich nichts geändert, weil ich da schon meine Überzeugungen habe. Wo sich mein Bild verändert hat, das waren die Leute, die für die Kirche arbeiten.

Dadurch, dass ich die Seminaristen kennengelernt habe, sehe ich, wie gutwillig, wie liebevoll und fürsorglich die sind und einfach so warmherzig. Ich denke, dass es da schon einen Unterschied gibt zu dem Bild, was man hat, wenn man niemanden kennt.

Was versteht ihr jetzt immer noch nicht am Katholizismus?

 Sally: Auf jeden Fall das Thema „Priesterinnen“.

Ferdi: Nicht nur eine Sache bei mir – Ferdi lacht.

Allein die Sache, dass im Vatikan nur Männer sitzen, kann ich null verstehen, wirklich null. Egal wie man das begründet.

Ich verstehe es argumentativ, wenn man das versucht mit der Bibel zu begründen, aber man muss doch einfach mal den Blick verändern und sehen, dass nur Männer die Bibel geschrieben haben und dass die ganze Zeit eine von Männern dominierte war. Dass man diese Perspektive nicht einmal annehmen will, das macht mich richtig wütend.

Macht mal einen kleinen Spoiler: Auf was können wir uns in den nächsten vier Folgen freuen?

Ferdi: Es gibt eine große Folge zur Sexualmoral, eine zur Karriere und eine, wo wir über den Kern der Serie sprechen: God or Not? Gibt es Gott und wo ist er? Wo es auch nochmal persönlich wird und um eher spirituelle Themen geht, was ich ziemlich gut fand. Die letzte Folge ist ein großes Resumé, wo wir gemeinsam das Projekt reflektieren.

Was wollt ihr gerne unbedingt loswerden?

Ferdi: Spiritualität ist das, wonach eigentlich alle Menschen suchen. Da sollte Kirche ein Angebot sein, das für die Menschen attraktiv ist und den Menschen Zuflucht gibt, ohne dass man erst über Skandale und negative Zeitungsartikel stolpert.

Sally: Ich find die Gemeinschaft, die dahintersteckt, so toll. Es geht nicht allein um den persönlichen Glauben. Man geht in ein fremdes Land, kennt niemanden und auch die Kultur nicht, aber man kann zur Kirche gehen und sich wie zuhause fühlen. Dass diese Gemeinschaft zwischen allen Menschen überall aufrechterhalten wird, finde ich ganz cool.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Hashtag der Woche: #GodOrNot


(Beitragsbild @godornot)

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god or not

ist ein vom Zentrum für Berufungspastoral gefördertes Projekt, bei dem drei Studierende der Hochschule der Medien (Stuttgart) in ein Priesterseminar ziehen. Sally Müller studiert audiovisuelle Medien, ist Redakteurin und Moderatorin, reist gerne und kommt aus Stuttgart. Ferdinand Stöckel macht die Regie, lebt auch in Stuttgart und hat eine Bibel im Bücherregal stehen.

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