Flatten the curve: Die Menschen müssen Abstand zueinander halten. Doch Einsamkeit will gelernt sein. Wir haben für alle Coronaeremit*innen ein paar Texte herausgesucht, die vom einsamen G*ttsuchen zeugen.

Das Coronavirus zwingt vielen von uns ein Dasein als Quasi-Eremit*in auf, das sich vermutlich fast niemand freiwillig ausgesucht hätte. Einige Bistümer scheinen bisher kaum eine konstruktivere Antwort auf das Verbot von Gottesdiensten beizusteuern, als dass sie die Sonntagspflicht aufheben und ihre Gottesdienste stattdessen streamen. Na Bravo.

Doch aller(digitalen)orten erblühen nun neue Formen des gemeinsamen geistlichen Lebens, die erfreulicherweise oft mehr und anderes bieten als einen Eucharistie-Livestream. Und genauso suchen wir nach Wegen, unsere Freundschaften bei aller Distanz so lebendig wie eh und je zu halten. Die gemeinsame Kaffeepause oder das Feierabendbier lassen sich zum Glück auch per Skype, zoom oder jitsi realisieren. Dennoch drängt sich vielen von uns vermutlich schon nach wenigen Tagen des „Physical Distancing“ (das hoffentlich nicht zwingend ein „Social Distancing“ bedeutet) eine schmerzliche Erkenntnis auf: Wir müssen neu lernen, mit Einsamkeit umzugehen.

In der Einsamkeit G*tt zu suchen, bei allen Widrigkeiten und Anfechtungen, denen wir ausgesetzt sind, gilt schon seit biblischer Zeit als große Tugend und gerade in der Fastenzeit als ein geistliches Ideal. Und vielleicht können wir dieser Tage tiefer verinnerlichen, dass das christliche Gebetsleben wesentlich mehr ist als der eucharistische Gottesdienst mit Amtsträger.

Wir haben in der großen (und interreligiösen) Truhe der Geschichte nach ein paar Anregungen gekramt, die Euch hoffentlich durch die ein oder andere Minute der Einsamkeit helfen mögen. Wenn Ihr etwas hinzufügen möchtet, hinterlasst gerne einen Kommentar!

Aus den Gedichten der islamischen Mystikerin Rabi’a al-Adawiyya (gest. 801):

Brüder, mein Frieden liegt in meiner Einsamkeit.
Mein Geliebter ist dort allein mit mir, immer.
In allen Welten habe ich nichts gefunden,
Das seiner Liebe entsprechen könnte,
Diese Liebe, die den Sand meiner Wüste aufwirbelt.
Sollte ich vor Sehnsucht sterben
Und mein Geliebter ist immer noch nicht zufrieden,
würde ich in ewiger Verzweiflung leben.

Alles zu verlassen, was er geschaffen hat
Und in meiner Handfläche zu halten
Einen sicheren Beweis dafür, dass er mich liebt —
Das ist der Inbegriff und das Ziel meiner Suche.


Aus der „Vita Antonii“ des Athanasius, Kap. 20 (um 360):

Wir haben nicht nötig, die Heimat zu verlassen wegen des himmlischen Reiches, noch brauchen wir über das Meer zu fahren um der Tugend willen. Denn einst sprach der Herr: „Das Himmelreich ist in euch“. Zur Tugend ist also nur nötig, daß wir selbst wollen, da sie in uns ist und aus uns entsteht. Denn die Tugend besteht darin, daß die Seele das Vernünftige in sich hat, wie es ihrer Natur gemäß ist. Sie befindet sich aber in ihrem natürlichen Zustand, wenn sie bleibt, wie sie geschaffen ist, geschaffen aber ist sie in Schönheit und voller Harmonie. Deshalb verkündete auch Jesus dem Volke: „Lenkt euer Herz zum Herrn, dem Gott Israels“, und Johannes: „Macht gerade eure Wege!“ Denn in der Geradheit der Seele besteht ihr naturgemäßer vernünftiger Zustand, und so ist sie auch geschaffen.


Aus den Tagebüchern der jüdischen Gelehrten Etty Hillesum (gest. 1943 in Auschwitz-Birkenau):

Es sind schlimme Zeiten, mein Gott. Heute Nacht geschah es zum ersten Mal, dass ich mit brennenden Augen schlaflos im Dunkeln lag und viele Bilder menschlichen Leidens an mir vorbeizogen. Ich verspreche dir etwas, Gott, nur eine Kleinigkeit: Ich will meine Sorgen um die Zukunft nicht als beschwerende Gewichte an den jeweiligen Tag hängen, aber dazu braucht man eine gewisse Übung. Jeder Tag ist für sich selbst genug. Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das Einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen.1


Aus den „Confessiones“ des Augustinus, Buch 1 (Ende 4. Jh.):

Wer wird mir nun geben, daß ich Ruhe finde in dir? Wer wird mir geben, daß du einziehest in mein Herz und es berauschest, auf daß ich mein Elend vergesse und dich, mein einzig Gut, umfasse? Was bist du mir? Erbarme dich meiner, damit ich davon reden kann! Was bin ich dir aber selbst, dass du von mir geliebt zu werden verlangst und, wenn ich es unterlasse, mir zürnst und mit unendlichen Qualen drohst? Ist das nicht allein schon große Pein, dich nicht zu lieben? Wehe mir! Sage mir doch bei deiner Barmherzigkeit, Herr mein Gott, was du mir bist! „Sage meiner Seele: Ich bin dein Heil!“ Sprich vernehmlich zu mir! Siehe, o Herr, die Ohren meines Herzens sind vor dir; öffne sie und sprich zu meiner Seele: „Dein Heil bin ich“. Nacheilen will ich diesem Wort und so dich erfassen.


Aus dem Buch Weisheit (8,1-9.16-18) in der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“:

Sie spannt sich kraftvoll aus von einem Ende zum anderen
und regiert das All voll Güte.
Ich habe sie geliebt und gesucht von meiner Jugend an,
ich wollte sie als meine Braut nach Hause führen
und habe ihre Schönheit lieb gewonnen.

Sie kann sich vornehmer Herkunft rühmen,
da sie mit der Gottheit zusammenlebt;
die Allmacht hat sie lieb gewonnen.

Sie ist in das Wissen der Gottheit eingeweiht
und wählt unter ihren Werken aus.
Ist Reichtum im Leben begehrenswert
was ist reicher als die Weisheit, die alles wirkt?

Ist es Klugheit, die wirkt
wer auf der ganzen Welt wirkt kunstvoller als sie?
Und liebt jemand Gerechtigkeit
sie ist es, die alle Tugenden erarbeitet:
Maßhalten und Klugheit lehrt sie,
Gerechtigkeit und Tapferkeit;
Nützlicheres gibt es für die Menschen im Leben nicht.

Begehrt aber jemand reiche Erfahrung
sie kennt das Vergangene und errät das Kommende,
sie versteht sich auf gewandte Reden und löst Rätsel,
Zeichen und Wunder kennt sie im Voraus
und auch, was zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreten oder aber sich erst noch langsam entwickeln wird.

Ich beschloss also, sie zu mir nach Hause zu führen,
um mit ihr zusammenzuleben,
weil ich wusste, dass sie mir zum Guten raten
und mich bei Sorgen und Trauer ermutigen würde.

Wenn ich mein Haus betrete, werde ich bei ihr ausruhen.
Mit ihr zusammen zu sein, bringt keine Bitterkeit,
und mit ihr zu leben keinen Schmerz,
sondern Fröhlichkeit und Freude.

Als ich das bei mir gedacht und sorgfältig in meinem Herzen überlegt hatte,
dass nämlich in der Verwandtschaft mit der Weisheit Unsterblichkeit liegt
und in der Freundschaft mit ihr echte Zufriedenheit,
dass durch die Arbeit ihrer Hände unerschöpflicher Reichtum kommt
und Klugheit durch den ständigen Umgang mit ihr,
dass im Gespräch mit ihr ein guter Ruf gründet
da ging ich umher und suchte sie, um sie mit zu mir zu nehmen.

Hashtag: #Coronaeremit


(Beitragsbild: @finding_dan)

1 Etty Hillesum, Das denkende Herz. Tagebücher 1941-1943, Hamburg 1985, 149.

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