Dass zu Beginn der europäischen Expansion Päpste dem Königreich Portugal einen Freifahrtschein zur Versklavung der Menschen an der Küste Westafrikas ausstellten, ist in Vergessenheit geraten. Claudia Danzer hat nachgeforscht und auch die theologischen Begründungsfiguren kolonialen Denkens in den Blick genommen.
„Die Kirche hat schon immer…“, „die Kirche sagt schon immer …“. Mit diesen Formeln wird innerhalb der katholischen Kirche gerne eingeleitet, wenn die eine, wahre Lehre gegen Reformbestrebungen verteidigt werden soll und der (längst verlorene) Anspruch, den Schäfchen die einzig wahre Weltsicht zu erklären, wird meist mit einer bedeutsam dreinblickenden Miene unterstrichen. Der Habitus soll retten, was der Inhalt nicht leisten kann: Denn die verteidigte Kontinuität in der Lehre und Haltung der Kirche bewegt sich in vielem im Bereich der „invented tradition“1, einer Strategie mit Praktiken, die Eric Hobsbawn wie folgt charakterisiert:
In fact, where possible, they normally attempt to establish continuity with a suitable historic past.2
Prominentes Beispiel für einen Bruch in der Lehre ist die Haltung zur Religionsfreiheit, die während des katholischen Antimodernismus von Pius IX. im Syllabus errorum 1864 noch als verrückte Idee verurteilt wird, zu der sich das Zweite Vatikanische Konzil 1965 in Dignitatis humanae hingegen feierlich bekennt. Auch Franziskus hat mit den Aussagen so mancher seiner Vorgänger*innen gebrochen, als er die „Erklärung zum Kampf gegen den Menschenhandel“ gemeinsam mit anderen Religionsführer*innen unterzeichnet und sich selbst zum Sprachrohr für alle gemacht hat, die unter den modernen Formen der Sklaverei leiden.
„Dem Vorbild Unserer Vorgänger folgend…“
Der erste Papst, der sich gegen Sklaverei und Menschenhandel wandte, war dabei er freilich nicht. Rezeptionsgeschichtlich wirkmächtig war In Supremo von Gregor XVI. aus dem Jahr 1839, was auch daran lag,
dass die (…) interpretatorische Offenheit dieses Textes als Keimzelle für die Erfindung einer Tradition interpretiert werden kann, wonach die Päpste „schon immer“ gegen Sklaverei an sich gewesen seien.3
Gregor XVI. verurteilt darin den Menschenhandel und leitet dies mit der Formel „dem Vorbild Unserer Vorgänger folgend“4 ein. Vergessen hat Gregor XVI. jedoch in der Aufzählung u.a. zwei Päpste und ihre Bullen, die zur Versklavung der Menschen in Westafrika mit flammender Rede geradezu aufforderten: Nikolaus V. in den Jahren 1452 und 1454 und Calixtus III. 1456. Es zeigt sich: Wer nicht in die Traditionslinie passt, wird aus dem Gedächtnis gelöscht, sei er*sie auch Päpst*in. Dagegen wurde der Narrativ aufgebaut, die katholische Kirche sei natürlich schon immer gegen Sklaverei gewesen. Es lohnt sich die päpstlichen Verlautbarungen noch einmal genauer anzusehen, die zum Menschenhandel aufforderten.
Der erste europäische Griff gen globalen Süden
Denn diese Zeitspanne in der Mitte des 15. Jhd prägte die Weltgeschichte nachhaltig: Es ist die Zeit, in der die Weichen zur europäischen Expansion gestellt werden und Europa seinen imperialen Anspruch über die Welt markiert; so ist Portugal erstmals erfolgreich die Westküste Afrikas entlang gesegelt und brachte Menschen aus der Subsahara versklavt nach Europa.
Dabei hatte nicht nur die Krone von Portugal Interesse an der Küste Westafrikas, sondern auch die von Kastilien. Zur politischen Legitimation des portugiesischen Monopols wurde Papst Nikolaus V. herangezogen, der mit seiner an König Alphons V. von Portugal adressierte Bulle Dum Diversas 1452 entschied:
Daher gewähren Wir mit diesem Schreiben kraft Apostolischer Autorität Dir völlige und freie Vollmacht, die sarazenischen, heidnischen und sonst wie ungläubigen und christusfeindlichen, wo immer gelegenen Reiche, Herzogtümer, …. , sofern sie eben diesen Sarazenen, Heiden, Ungläubigen und Feinden Christi gehören (…), …. , anzugreifen, zu erobern, zu bekämpfen oder zu unterjochen, die Personen für immer in Knechtschaft zu halten (…) und die Reiche, Herzogtümer, Grafschaften, …, die Besitztümer und dergleichen Güter für Dich und Deine Nachfolger als Könige Portugals für immer als Eigentum in Besitz zu nehmen und für Deinen und Deiner Nachfolger Gebrauch und Nutzen zu verwenden.5
Gemeinsam mit den folgenden Bullen wurde diese zum historischen Freifahrtschein für die Versklavung von Westafrikaner*innen und zur „Geburtsurkunde des europäischen Kolonialismus.“6
Als ein Jahr später der im europäischen Mittelalter florierende Menschenhandel im Mittelmeerraum ins Stocken geriet, weil 1453 Konstantinopel von den Osman*innen erobert wurde und damit für die Menschenhändler*innen der Zugang zur Region um das Schwarze Meer versiegte, bekräftigte Nikolaus V. in Romanus Pontifex 1454 noch einmal den Inhalt von Dum Diversas. Er sang eine Lobeshymne auf Heinrich den Seefahrer und legitimierte mit seiner Unterschrift dessen Monopol über den Handel mit Westafrika.
Kreuzzugbegeisterte
Die päpstliche Begeisterung für die Unternehmungen Heinrich des Seefahrers, die Calixtus III. mit Inter Caetera 1456 ein weiteres Mal wiederholte, liegt auch an dessen Selbstverständnis als Kreuzfahrer: in seinem und dem päpstlichen Sinne wurde der Islam als „Feind des Christentums“ nicht nur im Heiligen Land, sondern auch an der Küste Westafrikas bekämpft.7 Auch waren die portugiesichen Seeleute auf der Suche nach dem sagenumwobenen Reich des Priesterkönigs Johannes, der in Afrika ein christliches Land beherrschen sollte, und den sie für den Krieg gegen das Osmanische Reich gewinnen wollten. Sie trafen jedoch zuerst auf einige afrikanische Könige, die ebenfalls über ein Netz des Menschenhandels verfügten, welche sie miteinander verbanden.
Ende des 15. Jhd. hatte sich der Menschenhandel ausgedehnt und nach der „Entdeckung“ Amerikas wurde schon bald der atlantische Menschenhandel zum transatlantischen, der mehrere Millionen Schicksale betreffen würde.
Theologische Deutung des Kolonialismus: Der Fluch über Ham
Als theologische Legitimation des Handels mit Menschen aus Afrika galt in der frühen Neuzeit die biblische Erzählung des Fluchs über Ham8, die auch der königliche Chronist Gomes Eanes de Zurara in seiner Beschreibung der portugiesischen Eroberung Westafrikas anführt. In Gen 9,21-27 sieht Ham seinen Vater Noah nackt seinen Rausch ausschlafen und macht sich über ihn lustig, während sich seine Brüder Jafet und Sem schämen und Noahs Blöße mit Kleidung bedecken. Noah bemerkt, was geschehen war und verflucht Ham, den Vater von Kanaan:
Verflucht sei Kanaan. Sklave der Sklaven sei er seinen Brüdern! Und weiter sagte er: Gepriesen sei der HERR, der Gott Sems, Kanaan aber werde sein Sklave. Gott schaffe Jafet weiten Raum und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems und Kanaan sei sein Knecht! (Gen 9,26-27)
Wie die neuzeitliche Darstellung (1472) von Isidor von Servillas Weltkarte zeigt, wurden die Söhne des Noah mit den drei Erdteilen Afrika (Ham), Europa (Jafet) und Asien (Sem) gleichgesetzt. Ersetzt man nun die Namen der Söhne Noahs mit denen ihnen zugeordneten Erdteilen, ergibt sich:
Verflucht sei Afrika. Sklave der Sklaven sei er seinen Brüdern! Und weiter sagte er: Gepriesen sei der HERR, der Gott Asiens, Afrika aber werde sein Sklave. Gott schaffe Europa weiten Raum und lasse ihn wohnen in den Zelten Asiens und Afrika sei sein Knecht!
Die Herkunft aus Afrika war in dieser Interpretation schon Grund genug, versklavt werden zu dürfen. Gleichzeitig wurde diese neuzeitliche Interpretation der Textstelle als Aufforderung zur gottgewollten europäischen Expansion gelesen und als Auftrag auch „in den Zelten Asiens zu wohnen“. Die behandelten päpstlichen Dokumente trugen schon in der Mitte des 15. Jhd. zur Kolonisation Afrikas bei, legitimierten den atlantischen Menschenhandel und bereiteten dem transatlantischen den Weg.
Das theologische Erbe des Kolonialismus gilt es weiterhin historisch aufzuarbeiten, theologische Denkfiguren auf ihre postkolonial immer noch wirkenden Machtmechanismen zu überprüfen und vor allem – nicht nur hier – kirchlich eigene Schuld als Schuld anzuerkennen. Das gelingt eher, wenn anstelle der Behauptung einer unfehlbaren Kontinuität der Lehre der historisch-kritische Blick auf die eigene Vergangenheit tritt, der Selbstreflexion, die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit und damit ein Schuldbekenntnis möglich macht.
Hashtag der Woche: #inventedtradition
(Beitragsbild @orythys)
1 Dieser Begriff stammt von Eric Hobsbawm: Hobsbawm, Eric/Ranger, Terence: The Invention of Tradition. Cambridge University Press, Cambridge 1992.
2 Ebd. 1.
3 Priesching, Nicole: Die Verurteilung der Sklaverei unter Gregor XVI. im Jahr 1839. Ein Traditionsbruch?, in: Saeculum 59/1 (2008), 143-162, 145.
4 Gregor XVI.: Apostolischer Brief IN SUPREMO gegen die Sklaverei in Afrika und Indien und gegen den Negerhandel, 3. Dezember 1839, Nr. III 15-17, in: Die Katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher Dokumente vom 15. Jhd. bis in die Gegenwart (Originaltexte mit Übersetzung), Bd. 1 I-V, hrsg. v. Arthur Lotz/Brigitta Gräfin von Galen, Aachen 1976, 406-411.
5 Nikolaus V.: Bulle DUM DIVERSAS an König Alphons von Portugal und Algarve und seine Nachfolger, wodurch ihm das Recht verliehen wird, die Reiche, Fürstentümer, Ländereien usw. der Ungläubigen zu erobern und zu unterwerfen, 18. Juni 1452, XVI 1-7, Bullarium patronatus Portugalliae regum Ecclesiis Africae, Asiae atque Oceaniae I (1171 – 1600), 22-23, in: Die Katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher Dokumente vom 15. Jhd. bis in die Gegenwart (Originaltexte mit Übersetzung), Bd. 2, Nr. VI-XVIII, hrsg. v. Arthur Lotz/Brigitta Gräfin von Galen, Aachen 1976, 1746-1751, XVI 2.
6 Daus, Ronald: Erfindung des Kolonialismus, Wuppertal 1983, 33.
7 Wendt, Reinhard: Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Europa und die Welt seit 1500, Paderborn 2016, 34.
8 Vgl. Whitford, David: The Curse of Ham in the Early Modern Era, Bulington 2010.