In einer kleinen Artikelserie blicken wir zurück auf die Salzburger Hochschulwochen 2018, die aus unterschiedlichen Perspektiven dem Thema „Angst“ in unserer Zeit gewidmet waren. Nadja Schmitz-Arenst setzt sich angesichts der Fragen, mit dem das Publikum auf die Vorträge von Prof. Dr. Mouhanad Khorchide reagiert hat, mit Stereotypen zum Islam auseinander.
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Bei den Salzburger Hochschulwochen hält ein katholischer Theologe einen Vortrag vor interessiertem Publikum. In seinem Vortrag spricht er darüber, wie die Kirche sich modernisieren muss, wie sie beispielsweise ihre Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen endlich hinter sich lassen kann. So weit, so normal. Doch nach dem Vortrag wird dem Publikum die Gelegenheit gegeben, sich einzubringen und Fragen zu stellen. Die erste Frage lautet: „Wir als Atheisten erleben das Christentum ja eher monolithisch.“ Was er dazu sagen könne. Die nächste: Ob er mal erklären könne, was der Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten sei. Und weiter: Ob er sich in seinem Vortrag nicht Denk- und Strukturmuster evangelischer Theologie abgeschaut hätte. Was er dazu sagen würde, dass Christen für die meisten Kriege in der Weltgeschichte verantwortlich seien. Und überhaupt, viele Katholiken seien so ungebildet, das sei „störend“.
Was absurd klingt, ist leider umgemünzt das, was Mouhanad Khorchide nach seinem Vortrag „Angst vor dem Islam, aber vor welchem Islam?“ bei den Salzburger Hochschulwochen in Bezug auf Muslim*innen von Teilen des Publikums widerfahren ist. Khorchide setzt sich seit Jahren für einen aufgeklärten, modernen Islam und für eine historisch-kritische Exegese des Koran ein.1 Als Professor für islamische Religionspädagogik leitet er seit 2011 das Zentrum für Islamische Theologie an der WWU Münster.
Liebe Fragesteller*innen, sonst noch irgendwelche Stereotype?
In seinem Vortrag hatte Khorchide über unterschiedliche Gottesbilder im Islam gesprochen.
Zunächst nahmen danach einige Fragesteller*innen deutliche Gruppeneinteilungen vor, ein klassisches „Wir“, mit dem alle Christ*innen im Publikum gemeint waren, gegen „die Anderen“ – und manche*r maß sich sogar an, inklusiv für alle anwesenden Christ*innen zu sprechen. Absurd war die Nachfrage, ob Khorchide sich schon mal etwas bei den christlichen Fundamentaltheolog*innen „abgeguckt“ habe und ob er von denen nicht etwas lernen könne; verkennt diese Frage doch völlig, dass Theologie auch interreligiös oder zumindest interdisziplinär arbeiten muss. Entsprechend kennt sich Khorchide in theologischen Diskursen des Christentums gut aus – im Übrigen besser als viele christliche Theolog*innen sich in der islamischen Theologie auskennen.
Des Weiteren wurden erschreckend viele „klassische“ Vorurteile in Fragen und Anmerkungen reproduziert: Dass Muslim*innen ungebildet seien, dass der Islam, anders als das Christentum, niemals eine „Hochkultur“ hervorgebracht habe, dass der Islam Krieg produziere, andere Religionen aber nicht. Als Beleg für die Probleme des politischen Islams wurde – unerklärlicherweise – mehrmals Michel Houellebecqs schließlich fiktiver Roman „Unterwerfung“ herangezogen, nicht aber solche Werke, die von Islamwissenschaftler*innen oder Muslim*innen zum selben Thema verfasst worden sind und entsprechend deutlich mehr Aussagekraft haben.2 Einige der gestellten Fragen hätten mit einer einfachen Google-Suche oder dem Blick in ein Grundlagenbuch beantwortet werden können. Aber wenn, so die Haltung der Fragestellenden, ein Muslim gerade vorne steht, kann man ihn ja mal fragen, warum Muslime kein Schweinefleisch essen und was der Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten ist, auch wenn das mit seinem Vortrag nichts zu tun hat.
Need: Selbstreflexion und mehr Differenzierung
Viele dieser Beispiele sprechen eine deutliche Sprache. Sicherlich war es von den meisten Fragesteller*innen keine böse Absicht, in ihren Fragen implizit oder explizit den Islam und Muslim*innen zu diskreditieren und herabzusetzen. Problematisch ist dabei vor allem, dass dies außerhalb von einer Situation geschehen ist, in der berechtigte Fragen und Kritik sinnvoll geäußert werden können. Es gibt weiter zu denken, wenn ein Teil eines so gebildeten, an einer interdisziplinären Hochschulwoche interessierten Publikums es nicht vermag, in gebotenem Maße Selbstreflexion zu betreiben und sich auf Augenhöhe mit dem Islam auseinanderzusetzen. Es gilt anzuerkennen, dass genau wie „bei uns“ Glaubens- und Lebensfragen von Muslim*innen differenziert betrachtet werden müssen und sich je nach ihrer jeweiligen Lebenssituation fundamental unterscheiden, es überhaupt schwierig ist von „dem“ Islam zu sprechen.
Genauso wenig wie ich – und hoffentlich auch die Fragestellenden – mit den Piusbrüdern in einen Topf geworfen werden will, können Muslim*innen in Deutschland für den IS oder Salafismus in Sippenhaft genommen werden. Dass Muslim*innen, vor allem diejenigen unter ihnen mit Einwanderungsgeschichte, häufig mit Vorurteilen und Rassismus konfrontiert werden, zeigte sich kürzlich erst wieder in der Twitter-Diskussion unter dem Hashtag #MeTwo. Entsprechend liegt es in der Verantwortung von christlichen Theolog*innen und auch der christlichen Mehrheit in unserer Gesellschaft insgesamt, solche Ressentiments zu bekämpfen, anstatt sie zu reproduzieren. Für den interreligiösen Dialog ist dies selbstverständlich eine Grundvoraussetzung.
Es bleibt zu hoffen, dass durch Angebote wie die Salzburger Hochschulwochen viele Interessierte weiterhin von einem spannenden und vielseitigen Programm profitieren können, das im besten Fall die eigene Weltsicht erweitert und zur Reflexion anregt.
Hashtag: #shw2018
(Beitragsbild: @theunsteady5)
[1] Vgl. Mouhanad Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit, Freiburg 32014.
[2] Khorchide merkte an dieser Stelle kurz an, dass er „Islam“ mit „Hingabe“ und nicht mit „Unterwerfung“ übersetzt. Vgl. als Beispiel für ein aktuelles islamwissenschaftliches Werk: Thomas Bauer: Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011.