In einer kleinen Artikelserie blicken wir zurück auf die Salzburger Hochschulwochen 2018, die aus unterschiedlichen Perspektiven dem Thema „Angst“ in unserer Zeit gewidmet waren. Unsere Redakteurin Annika Schmitz, die die diesjährige Preisträgerin des Publikumspreises ist, denkt zum Abschluss der Reihe über religiöse Sprachlosigkeit in der Moderne nach.

Meinen Vortrag in Salzburg habe ich mit einem Wort überschrieben: Sprachlosigkeiten. Denn bei allen Ängsten, die die Menschen heute bewegen und von denen medial berichtet wird, findet eine Angst, die zumindest für mich eine der Ur-Ängste im Menschen schlechthin darstellt, keine Erwähnung. Es ist die Angst vor dem Negieren von Sprache – vor der Sinnentleerung unserer Wörter, dem Verlust der Kommunikationsfähigkeit. Der Mensch benötigt schließlich Sprache, um seine Identität überhaupt konstruieren können1 und er ist verwiesen auf eine Kommunikationsgemeinschaft, die als Erzähl- und Erinnerungsgemeinschaft2 Zukunft gestalten kann und gleichzeitig die Sicherheit der heimischen Narration gewährt.

So weit, so gut. Doch die großen Narrationen, die religiösen Erzählstränge, in denen der Mensch sich über Jahrhunderte verortet hat, existieren nur noch partiell. Vor allem können sie keine allgemeine Gültigkeit mehr beanspruchen. Es scheint mir wenig problematisch zu sein, wenn sich die Narrationen, in denen wir beheimatet sind, auch losgelöst von Religion entwickeln. Problematisch wird es dort, wo Religion und Theologie es ablehnen, ihre eigenen Narrative als kontingent zu begreifen und sie somit als fluide, nicht aber als statische Größen wahrzunehmen.3

Gerade die Theologie, die mit so großen Worten wie Gott und Mensch und Wahrheit und Erlösung operiert, sollte sich immer wieder vergewissern, ob sie inhaltlich und intellektuell redlich einhalten kann, was ihr Sprachgebrauch suggeriert. So muss sich religiöses Sprechen als diskursfähig mit der Moderne erweisen, um nicht zu sinnfreien und inhaltsleeren Plattitüden zu verkommen und letztlich sprachlos zu werden.

Sprachfähigkeiten und die gesellschaftliche Realität

Den Sprachlosigkeiten entgegen zu wirken, bedeutet, den dringend notwendigen theologisch-philosophischen Diskurs – auch jenen über den Gottesbegriff – nicht ausschließlich im Binnenraum der Universitäten zu führen. Es bedeutet vor allem auch die Einsicht, dass es so etwas wie ein genuin religiöses Thema kaum zu geben vermag und dass es deswegen auch überall anders verhandelt wird: In den bildenden Künsten, in der Literatur, Musik, im Film. Und vor allem: In der gesellschaftlichen Realität. Theologie und Anthropologie sind ja keine Phänomene, über die lediglich an Rednerpulten sinniert wird, sondern sie werden in der Gesellschaft, im sozialen Miteinander und in der Politik verhandelt und gelebt. Deswegen gilt es für Theolog*innen mittendrin zu sein. Nicht, um der breiten Masse biblische, nicht in die Gegenwart übersetzte Antworten unter die Nase zu reiben und zu rechtfertigen, warum Homosexualität angeblich Sünde sei, sondern um die Entwicklung unserer Gesellschaft von Anfang an mitzubestimmen – ohne dabei zu meinen, längst alle Antworten (#mehrjesus) zu haben. Auch die Theologie besitzt nicht die Wahrheit, die Antworten. Sie muss um ebendiese ringen, wissend darum, scheitern zu können.

Hoffen wir allein darauf, dass Gott es am Ende schon richten wird? Vor der Vorstellung graut es mir aus vielen Gründen. Hoffnung ist indes in der Sprache selbst: Wir können kommunizieren und unser Können impliziert ein Müssen. Konfessionen und Religionen untereinander, Religionen mit den verschiedenen Weltanschauungen, mit den Kulturen und ja, auch mit allen Menschen unterschiedlichster politischer Gesinnung.

Denn den Fundamentalist*innen – seien sie religiöser oder politischer Art – darf nicht die Deutungshoheit über unserer aller Sprache gewährt werden, es darf ihnen nicht überlassen werden zu definieren, wer „wir“ und „die anderen“ sind, was „wahr“ und „falsch“ ist.

Am Anfang und am Ende ist die Sprache

Es beginnt und endet mit der Sprache. Und das wiederum ist zutiefst biblisch: Im Buch Genesis wurde die Welt durch das Wort erschaffen, der Gott Israels hat sich mit einem Namen zu erkennen gegeben und ist fortan ansprechbar. Auf das Schweigen des Karsamstags folgt die Hoffnung, die Geschichte jenes Gottes mit den Menschen erzählen zu können und darin das zutiefst humane Potential des Christentums zu entdecken.

Lediglich die Monopolstellung der Religionen zur Definition dessen, was wahre und was unwahre Erzählung ist, ist weggebrochen. Religiöse Erzählungen sind nunmehr einige unter vielen, die sich im stetigen diskursiven Prozess immer wieder neu legitimieren müssen. Das kann nur durch Argumente und durch Sprachfähigkeit geschehen.  Gerade weil Wörter und Geschichten in jener zerbrechlichen Balance aus existentieller Notwendigkeit, Bedeutungsschwere und Fragilität existieren, darf ihre Definition nicht den Fundamentalist*innen, Populist*innen und Diskursverweigerern überlassen werden.

Die Prämissen unseres Sprechens von einem Gott und die daraus resultierenden inhaltlichen Bestimmungen eines Gottes zu erörtern, der sich als sprachfähig erwiesen hat und Sprachlosigkeiten nicht einfach überbrückt, sondern auch Dissonanzen auszuhalten vermag, ist eine der großen Aufgaben von Theologie heute, um zu verhindern, dass der Gottesbegriff nur noch als nichtssagende Worthülse existiert, die wiederum als pauschale Antwort den Ängsten und Fragen des 21. Jahrhunderts entgegengeschleudert wird.

Wenn Gott als Antwort bestehen soll, wenn er Bestand und Geltung haben soll, dann muss verhandelt werden, wie er näher zu bestimmen ist – nicht in Abgrenzung zur Moderne, auch nicht nur in mehr oder minder friedlicher Koexistenz, sondern als Teil von ihr.

Hashtag: #shw2018


(Beitragsbild: @liamburnettblue)

1 Die These der narrativen Identität geht zurück auf Paul Ricœur, nachzulesen z.B. bei Ebd., Zeit und Erzählung. Die erzählte Zeit, Bd. III. (Übergänge. Texte und Studien zu Handlung, Haltung und Lebenswelt, Bd. 18/III) München 1991, 392ff.

2 Vgl. dazu z.B. Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 5. Aufl., München 2010.

3 Dazu sei besonders auf den Artikel Stell dir vor, es ist Bibel – und niemand geht hin verwiesen, den Franca Spies im vergangenen Jahr veröffentlicht hat.

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annika schmitz

studierte katholische Theologie in Freiburg, Jerusalem und an der Yale University/USA. An der Universität Wien promoviert sie im Bereich von Literatur und Religion. Seit Oktober 2020 arbeitet sie als Journalistin bei der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn.

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