Eine Veranstaltung des Katholik*innentags 2018 war schon im Vorfeld umstritten: Zur Diskussion über die „Gretchenfrage“ wurden die religionspolitischen Sprecher*innen aller Bundestagsparteien eingeladen – auch Volker Münz von der AfD (s. dazu unser Pro und Contra). Wir haben einige Stimmen von Besucher*innen des Podiums gesammelt und sie um eine Einschätzung gebeten.
Eine Frage des Stils, nicht nur des Inhalts
Das eigentlich Spannende am Podium zur Gretchenfrage war weniger der Inhalt, sondern die Art und Weise der Diskussion. Leider – aber erwartbar – stand die Auseinandersetzung mit der AfD im Vordergrund. Auf weiten Strecken der Debatte ließen sich entsprechend bereits bekannt Argumentationsmuster verfolgen: Der Versuch der AfD, sich aufgrund des Protests von ca. 20 Personen am Beginn der Veranstaltung als Opfer darzustellen, mit dem niemand reden wolle, sorgte angesichts der 1000 Zuhörer*innen des Podiums, die sichtlich kritisch, aber offen der AfD auf die Argumente schauen wollten, nur für ein müdes Lächeln. Die anschließende Reihe von Verschwörungstheorien, Pauschalisierungen, Relativierungen, De-Railing, Whataboutism, … des AfD-Sprechers Volker Münz war typisch säuerlich und erreichte ihren Höhepunkt in der Verwendung der religiösen Kategorie der Schuld, die allen anderen Parteien zugeschrieben wurde. Die anderen Politiker*innen auf dem Podium konnten aber – wie auch der hervorragende Moderator – mit sachlichen Argumenten und meist auffällig ruhig jeden plumpen Angriffsversuch kontern; mehrfach drehten sie die Debatte sogar wieder weg von der reinen Reaktion auf rechtsnationale Thesen.
Das Publikum hörte aufmerksam zu und zeigte, etwa durch den kräftigen Applaus für die Erwähnung des Münsteraner Kardinals von Galen: Wir stehen gegen Rechtsradikale. Lediglich eine Handvoll AfDler*innen versuchte am Anfang der Veranstaltung, durch aggressives Klatschen, Buhen und unverschämte Zwischenrufe die Stimmung im Saal aufzuheizen. Ihr Erfolg war beschränkt und verschwand vollends, als die Debatten in der Diskussion um die unterschiedlichen Aufgaben von Staat und Kirche in der Entwicklung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik ein höheres Niveau erreichten und das Grüppchen überfordert verstummte.
Am Ende beantwortete sich die eigentliche Frage, nämlich wie christlich die AfD ist, weniger an ihren eigenen Aussagen – die auf einen eklektizistischen Moralismus hinauslaufen – als vielmehr am Verhalten der AfDler*innen in Publikum und Podium: Das pubertäre Gepöbel aus den Sitzreihen, die plumpe Trotz-Rhetorik von der Bühne und besonders die Hybris, andere als Sünder*innen hinzustellen, bezeugen das unchristliche Verhalten dieser Leute. Von Demut, Friedenssuche und christlicher Liebe war da nämlich nichts zu spüren.
Peter Hohler, Priester im Bistum Rottenburg-Stuttgart
„Christlich“ reimt sich nicht auf „rassistisch“
So ganz ernstgemeint war der Versuch der kleinen Gruppe wohl nicht, mit Banner und einstudiert-geschrienen Sätzen die Veranstaltung zu sprengen – leider wurde dies zum ersten, eigentlich einzigen Punktsieg des AfD-Vertreters Volker Münz auf dem Podium, der die Behinderung von Dialog und Meinungsfreiheit beklagen konnte; der laute Protest seiner wenigen Anhänger*innen im Publikum gegen die Aktion wurde notgedrungen von vielen Besucher*innen unterstützt, die zwar offensichtlich nicht Münz goutierten, aber der angekündigten Debatte folgen wollten. Schlecht durchdacht, dumm gelaufen.
Meinungskarten und v. a. Beifall für die anderen Politiker*innen sowie – durchaus höflich bleibende – Unmutsäußerungen gegen Münz machten in der Münsterlandhalle danach aber schnell überdeutlich, was man auf dem ganzen Katholik*innentag ohnehin sehen konnte: Was Münz und die AfD sich unter Christentum vorstellen und wie sie die Rolle der Kirchen definieren wollen, fand dort keine Mehrheit. Ein Moment der Veranstaltung brachte gleichzeitig Münz‘ Borniertheit und deren Ablehnung durchs Publikum knapp und überdeutlich auf den Punkt: Gegen Münz‘ Klage über Kirchenvertreter, sie mischten sich zu Unrecht in die Politik ein, erinnerte Christian Hirte von der CDU an Kardinal Graf von Galen, der sich in Münster gegen das Euthanasieprogramm der Nazis gewandt hatte – spontan aufbrausender, lauter, lang anhaltender, geradezu befreiender Beifall im Congress-Center. Erstaunlicherweise fand er in den Medien nur in den Bericht von Christoph Strack Einzug.
Nicht immer wurden die notwendigen Unterscheidungen so klar zugespitzt. Münz kam gelegentlich damit durch, sich von empörenden Äußerungen seiner Parteikolleg*innen butterweich zu distanzieren. Und hie und da konnte der Eindruck entstehen, auch in der Union diesseits der CSU gebe es Leute, die mithilfe eines kulturell unterscheidenden (= ausgrenzenden) Christentums politische Beute machen wollen. Dessen ungeachtet schienen außer Münz alle auf dem Podium und fast alle im Saal zuverlässig zu wissen, dass ‚christlich‘ sich nicht auf ‚rassistisch‘ oder ‚anti-islamisch‘ reimen kann.
Reflektierte und weiterführende Äußerungen zum Staat-Kirche-Religionsverhältnis kamen ansonsten v.a. von den Politikerinnen aus dem eher linken Parteienspektrum; Kerstin Griese (SPD) und Bettina Jarasch (Die Grünen) legten überzeugend dar, dass ein weltanschaulich neutraler Staat in der säkularen Gesellschaft gleichwohl gut daran tut, religions-, nicht nur kirchen-freundlich zu sein, nicht zuletzt, um die gegebene Multikulturalität des Landes zu gestalten. Wie Bettina Jarasch ihr katholisch-liberal-universalistisches Selbstverständnis mit politischen Gestaltungsvorstellungen verknüpft, stieß auf deutliche Sympathie bei einem großen Teil des Publikums. Davon hätte man gerne mehr gehört – sich an Volker Münz und der etwas besonderen Situation der Veranstaltung abzuarbeiten, hatte leider Priorität.
Hermann Schwörer, Stellvertretender Vorsitzender des Diözesanrats Freiburg
Kein Frieden mit Respektlosigkeit vor anderen Meinungen
Es gehört zu unserem christlichen Menschenbild, Fremdartigem – und dazu gehören auch fremde Meinungen – eine Chance zu geben und unvoreingenommen in eine Debatte zu gehen. Auch ich bin absolut gegen ausländer*innenfeindliche Äußerungen, nationalistische Parolen und populistische Anfeindungen. Doch glaube ich auch fest daran, dass Menschen positiv überraschen können. Sobald Äußerungen kommen, die mit einem christlichen Menschenbild unvereinbar sind, muss man dies unterbinden! Dahingehend vertraute ich jedoch dem Moderator Thomas Arnold, welcher die Diskussion in jeder Minute unter Kontrolle zu behalten schien.
Die Demonstration auf dem Katholik*innentag, die vor Beginn des Podiums die Stadt lahm legte, fand ich wichtig. Anderes gilt für die Aktion gleich zu Beginn des Podiums: Schon beim ersten Wort von Herrn Münz – welches übrigens zu diesem Zeitpunkt (noch) in keiner Weise nationalistisch, ausländer*innenfeindlich oder populistisch war – wurde er von den Demonstrierenden unterbrochen. Wie christlich und friedlich hätte es doch werden können, wenn man einmal unvoreingenommen in dieses Podium gegangen wäre! Denn durch diese Aktion war dem AfD-Politiker nun die Chance geboten, während des gesamten Gespräches seine Opferrolle zu bekunden.
Letztendlich war das Podium ein Zurschaustellen politischer Grundpositionen. Es wäre schön gewesen, wenn auf der Bühne Menschen miteinander über ihre Haltungen – auch ihre christlichen – gesprochen hätten und der christliche Grundgedanke des respektvollen Umgangs miteinander bei allen Beteiligten durchgedrungen wäre. Am Ende war es jedoch ein Karussell von gegenseitigen Vorwürfen ohne höheren inhaltlichen Anspruch. Doch ob es anders ausgegangen wäre, wenn kein*e AfD-Politiker*in dabei gewesen wäre, bleibt nur zu spekulieren. Während der Twitter-Debatte unter dem Hashtag #gretchenfrage wurden mehrere Accounts von der AfD systematisch blockiert. Dies lässt erahnen, dass auch hier ein Meinungsaustausch auf Augenhöhe nie wirklich gewünscht war.
Das Gefühl, das bei mir bleibt: Schade, dass alle Seiten, sowohl Herr Münz als auch die Demonstrierenden der Münster’schen Antifa auf der katholischen Veranstaltung des Jahres keinen Mehrwert an Christlichkeit, respektvollem Umgang und gleichberechtigter Diskussionskultur finden konnten. Letztendlich hat die Teilnahme eines AfD-Vertreters, gerade weil sie von allen Beteiligten auf der Bühne aufgenommen und in die Debatte eingebracht wurde, das Podium in seinem Kern zerrissen.
Katharina Seelmann, Bildungsreferentin des Diözesancaritasverbandes Freiburg
Hashtag: #gretchenfrage
(Beitragsbild: @priscilladupreez)