An der Frage, ob „wiederverheiratete Geschiedene“ die Kommunion empfangen dürfen oder nicht, spitzt sich eine innerkatholische Debatte zu, die durch das Schreiben ‚Amoris Laetitia‘ noch einmal neu befeuert wurde. Martin Höhl geht dem Diskurs nach und verweist auf ein Angebot, das die verschiedenen Positionen einen könnte.

Im März 2016, einige Monate nach der Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie, erscheint Amoris Laetitia. Ein 325 Nummern starkes Werk, das eine Bandbreite an Themen abhandelt und weder theologische Ausflüge in die Trinitätslehre, noch Bemerkungen zum ehelichen Fernsehkonsum auslässt. Und Amoris Laetitia wird bis heute kontrovers diskutiert – vor allem die Frage, ob „wiederverheiratete Geschiedene“ die Kommunion empfangen dürfen oder nicht.

dubium, -i, n.: Zweifel

Eigentlich war genau diese Frage schon längst positiv geklärt worden: Die argentinischen Bischöfe hatten sich am 5. September 2016 in einem Brief an Franziskus gewandt und, wie er es fordert, für ihre Seelsorgeregion eine eigene Interpretation vorgelegt. Brisant ist, dass dieser Kriterien zur Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten enthält und in These sechs explizit sagt: Wenn eine Annullierung oder andere Wege nicht gangbar sind,

„eröffnet Amoris Laetitia die Möglichkeit des Zugangs zu den Sakramenten der Versöhnung und der Eucharistie“1.

So unmissverständlich wie diese Aussage erscheint auch Franziskus‘ auf den selben Tag (!) datierte Antwort: „Das Schreiben ist sehr gut und expliziert genau den Sinn des Kapitels VIII von Amoris Laetitia. Es gibt keine anderen Interpretationen.“Damit ist alles gesagt – könnte man meinen.

Es gibt vielleicht keine dummen Fragen, bösartige jedoch allemal. Am 19. September 2016, zwei Wochen nach der Korrespondenz zwischen Papst und argentinischen Bischöfen (!), schicken vier Kardinäle dem Papst ihre berühmt-berüchtigten dubia3. Es entspannt sich eine lebhafte Diskussion, aber die dubia bleiben unbeantwortet, was Franziskus sogar die Kritik manch liberaler Theolog*innen einbrockt. Jüngst hat die Debatte dadurch Fahrt aufgenommen, dass der oben zitierte Brief mitsamt Franziskus‘ Antwort im Amtsblatt des Vatikan erschien und nunmehr lehramtliche Gültigkeit für die Gesamtkirche beansprucht. Doch auch das reicht einigen Kritiker*innen nicht, sodass die kasachischen Bischöfe abermals einen bösen Brief schreiben, in dem sie als einzige Option für wiederverheiratete Geschiedene sexuelle Enthaltsamkeit propagieren – wollen sie nicht dem Höllenfeuer verfallen, weil sie ständig, hartnäckig, schwer sündigen. Mittlerweile sind vier weitere trittbrettfahrende Emeriti auf den Zug aufgesprungen.

What’s your problem, man?

Schon der Ausdruck „wiederverheiratet geschieden“ scheint paradox, da es einen solchen Fall aus katholischer Sicht nicht geben kann. Gemeint sind diejenigen, die eine sakramentale, gültig geschlossene und vollzogene Ehe eingegangen sind, eine zivilrechtliche Scheidung erwirkt haben und auf dem Standesamt erneut heiraten. Für die Kirche spielt diese zweite Verbindung keine Rolle, da nach wie vor ein „Eheband“ besteht, welches den frommen Christenmenschen auf Gedeih und Verderb an die*den erste*n Partner*in bindet. Sexueller Verkehr mit der*dem neuen Partner*in bleibt katholisch gesehen folglich „außerehelich“.Damit ist er in sich schlecht und immer (weil gegen das sechste Gebot) schwere Sünde. Dieser Sachverhalt hindert am Empfang der Sakramente, weil diejenigen nicht zur Eucharistie zugelassen werden, die „hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren“ (c. 915). Dass damit explizit „wiederverheiratete Geschiedene“ angesprochen sind, hält der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte in einer Erklärung vom 24. Juni 2000 fest. Hierin zeigt sich, nebenbei bemerkt, die typisch katholische Sexbesessenheit: Zärtlichkeiten, Zusammenleben und Zuneigung spielen keinerlei Rolle. Es geht um Orgasmik.

Gradualität und pastorale Unterscheidung

Während die Rechtslage also sehr eindeutig ist, ergibt sich ein Handlungsbedarf aus den drängenden Problemen der Betroffenen. Meistens geht es in der Debatte um dramatische Fälle von unschuldig Verlassenen oder Menschen, die in ihrer neuen Verbindung andere „Verpflichtungen“ (meist sind Kinder gemeint) eingegangen sind: Sie 20, er 21, große Liebe, Hochzeit. Sie 30, er 31, verliert seinen Job, fängt an zu trinken, schlägt sie und die Kinder. Sie sucht Trost bei einem Freund, die beiden verstehen sich, sie wird schwanger. Sie sündigt die folgenden 60 Jahre ihres Lebens hartnäckig und schwer. Ein Eheband im Ideenhimmel bindet sie an ihren früheren Partner. Zynisch genug, von einer 31-jährigen Frau lebenslängliche sexuelle Enthaltsamkeit zu fordern (außer natürlich sie kehrt zu ihrem ersten Mann zurück oder dieser stirbt), ist wohl nur die katholische Kirche. Diese Einsamkeit aber als Beispiel „christlicher Konsequenz“ und „wertvolles Zeugnis vor der Welt und der Kirche“zu bezeichnen, entbehrt jedem Sinn von Realität.

Nun gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten, diesem Problem zu begegnen: theologische Klärung oder pastorales Zugehen. Franziskus hat sich ganz klar für die zweite Option entschieden, die bevorzugte Spielwiese seiner Kritiker*innen ist allerdings die theologische Sophisterei. Genau hier liegt das Problem. Die dubia-Kardinäle legen ihren Finger dort in die Wunde, wo es wehtut und streuen kräftig Salz nach: Nimmt Franziskus die Lehre seiner Vorgänger ernst, kann es graduelle Auslegungen und damit die in der berühmten Fußnote 351 von Amoris Laetitia angesprochenen „gewissen Fälle“ nicht geben.„In sich“ schlechte Handlungen (wie außerehelicher Verkehr) gelten völlig unabhängig von ihren Umständen immer als schlecht. Dummerweise behauptet Johannes Paul II. in Veritatis Splendor 79–83, dass es diese intrinsisch schlechten Handlungen wirklich gibt (darauf zielen das zweite und vierte dubium ab). Ein garstiger Graben zwischen pastoralem Anliegen und doktrinärer Sackgasse tut sich auf. Konrad Hilpert hält dazu fest:

„Es entsteht beim Lesen [scil. von Amoris Laetitia] der Eindruck, pastorale Barmherzigkeit könne und dürfe fast alles, aber unter gar keinen Umständen Auswirkungen auf frühere doktrinelle Festlegungen haben. […] Aber das konsequente Vermeiden von Veränderungen irgendwelcher normativer Formulierungen […] könnte auch als Ausdruck davon interpretiert werden, dass die Kirche in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Doktrin über kein Verfahren verfügt, mit dem überlieferte Positionen legitim und verbindlich modifiziert, das heißt: weiterentwickelt oder aber korrigiert werden können.“7

Was tun? Das ständige Bohren der dubia-Kardinäle und ihrer Freunde verhindert, dass diese Lehre dem sonst so generösen Vergessen des sensus fidelium anheimgestellt werden kann. Es muss also ein systematisch konsistentes Interpretament her, welches den „Glanz der Wahrheit“ (Veritatis Splendor) hochhält, gleichzeitig aber der unerträglichen Situation einiger Betroffener Rechnung trägt.

Ein Angebot

Gut, dass es Peter Knauer SJ gibt. Er hat 2013 einen Artikel zum Thema veröffentlicht, der den Titel trägt: „Ist Unauflöslichkeit der Ehe gleich Unzerstörbarkeit? Ein Diskussionsbeitrag zur Frage der Zulassung Wiederverheirateter zur Kommunion“8. Seine These ist so einfach wie überzeugend: Die Ehe mag unauflöslich sein, aber nicht unzerstörbar. Als Gewährsmann führt er Paulus ins Feld: Nach der klassischen Interpretation von 1 Kor 7 kann eine Ehe zugunsten des Glaubens „aufgelöst“ werden. Streng genommen müsste man in dieser Denkweise annehmen, der Apostel widerspreche hier Jesus, der in Mk 10,9 par ein absolutes Scheidungsverbot ausspricht. Knauer interpretiert diese Klausel bei Paulus nun nicht als Privileg, sondern als Beleg für die Zerstörbarkeit einer Ehe. Als Zerstörungsgrund nimmt er hier, etwas anachronistisch, die „Nichtanerkennung der Religionsfreiheit“9 an: Wird die Ausübung des Glaubens verhindert, dürfen die beiden sich trennen. Die neue Verbindung ist legitim, weil die alte de facto aufgehört hat zu existieren, ohne dass die Partner „einander ihr Jawort zurück[]nehmen oder zurück[]geben.“10

Der Kirche kommt in diesem Verständnis nicht die Aufgabe zu, krampfhaft zu versuchen, Annulierungsgründe11 zu finden, sondern zu unterscheiden: Dort, wo noch Potential ist, muss sie versuchen, zu vermitteln – wo dies nicht der Fall ist, muss sie die faktische Zerstörung amtlich anerkennen und so den Weg für eine legitime kirchliche Zweitehe freimachen. Für die konkrete Gestaltung dieses (Buß-)Weges kann die Praxis der Ostkirche Modell stehen. Genau hier setzen jedoch Dammbruchargumente an: Was sind die genauen Kriterien? Gibt es dazu konkrete kirchenrechtliche Normen?12 Sowohl die argentinischen Bischöfe als auch der Papst halten diese Kriterien sehr vage; Franziskus spricht in seinem Antwortbrief von einer Pastoral „cuerpo a cuerpo“, die sich nicht auf programmatische Vorgaben einlässt. Das ist anspruchsvoll, doch darin liegt auch ein großes Potential: Ein enger Kontakt zur*zum Seelsorger*in vor Ort könnte dazu führen, die Menschen ganz neu für den Glauben zu begeistern, das Scheitern der alten Ehe zu reflektieren und zu verarbeiten, und so eventuell sogar dazu beitragen, dass die neue Verbindung gelingt. Vielleicht schimpft Franziskus so viel gegen seine Priester und Bischöfe, weil diese intensive pastorale Begleitung voraussetzt, dass der Seelsorger aus einer lebendigen Gottesbeziehung lebt und seine Bibel nicht der Codex des kanonischen Rechts ist.

Geh‘ schlafen, Murmeltier.

Denkt man die Kirche zunächst von ihrem pastoralen Anliegen her und versteht sie als Seelsorgerin, wird einen Knauers Vorschlag nicht sonderlich beeindrucken. Der Papst würde das offensichtlich gerne tun. Gleichzeitig muss er als Symbol der Einheit aber das Spiel der Schmuddelkinder mitspielen, wenn er offene Spaltungen vermeiden möchte. Das Spiel heißt „unveränderbare Lehre“. In diesem Spiel entpuppt sich Knauers Ansatz jedoch als echter Joker, der selbst den Häresie-Trumpf aussticht: Er kann sich auf die Schrift berufen, hält an der Unauflöslichkeit der Ehe fest, widerspricht weder Veritatis Splendor noch Familiaris Consortio und löst systematisch stringent ein theologisches Elfenbeinproblem – zugunsten einer lebbaren Praxis.

Hashtag der Woche: #dubiumdubida


Eigene Übersetzung. Der Text ist hier in spanischer Sprache abrufbar.
Eigene Übersetzung. Ebd.
3 Leider ist es schwierig, eine wirklich belastbare Quelle des dubia-Textes ausfindig zu machen. Deshalb hier zwei Links zum Text in deutscher und englischer Sprache.
4 Johannes Paul II. schreibt in Familiaris Consortio 84, unter Zitation seiner Abschlusspredigt zur Bischofssynode 1980: „Das heißt konkret, daß, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen […] der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind‘“.
5 Familiaris Consortio 83.
6 Franziskus spricht in Amoris Laetitia 305 von einer „Hilfe“ für diejenigen, die in „‚irregulären‘ Situationen leben“. Die Fußnote dazu lautet: „In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein. Deshalb ‚erinnere ich [die Priester] daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn‘ […]. Gleichermaßen betone ich, dass die Eucharistie ‚nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen‘ ist“.
7 Hilpert, Konrad: Beziehungsethik als Erfordernis der Stunde. Zum Verhältnis von moraltheologischer Reflexion, kirchlicher Doktrin und pastoraler Praxis in Amoris laetitia, in: Goertz, Stephan/Witting, Caroline (Hgg.): Amoris laetitia – Wendepunkt für die Moraltheologie? (=Katholizismus im Umbruch, Bd. 4), Freiburg i.Br. – Basel – Wien 2016, 251–278, hier: 275.
8 Abgedruckt in Stimmen der Zeit 231, 194–200.
9 Knauer 2013, 195.
10 Ebd.
11 Eine Annullierung, d.h. die Feststellung, dass nie ein gültiges Eheband vorlag, scheint geboten, wenn bspw. offenkundige Zwänge oder Bedingungen gestellt wurden. Sie hat aber immer den faden Beigeschmack, dass die letzten x Jahre keine „echte“ Ehe, sondern nur gespielt, eine Farce, waren.
12 Folgt man Knauers Interpretation von 1 Kor 7, gibt es zumindest eines: Ausübung der Religionsfreiheit. Ad hoc lässt sich keine Kriterienliste zusammentragen – eigentlich wäre genau das Aufgabe einer Synode. Relevant werden v.a. irreversible Situationen sein (Kinder in der neuen Verbindung, massiver Vertrauensverlust, etwa durch ständiges Fremdgehen, körperliche Verletzungen, die zu unheilbaren seelischen Wunden werden).

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martin höhl

hat Theologie und Philosophie in München, Jerusalem und Frankfurt studiert. Er arbeitet in einer Unternehmensberatung und promoviert zum Thema Klerikalismus und Missbrauch.

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