In der Rubrik Spoiler Alert liefern wir kurze und knackige Texte über (pop)kulturelle Niceigkeiten. Neue Platten, Video-Spiele, Essaysammlungen und Romane, Theaterstücke – nichts ist vor uns sicher. Heute schreiben Philipp Brutscher und Franca Spies über „Fire and Fury“ von Michael Wolff.
Mit Enthüllungen ist es so eine Sache. Wird ein Mensch aus der Schutzzone gerissen, bloßgestellt, quasi nackt in das grelle Licht der öffentlichen Wahrnehmung gezerrt und dem Urteil der Massen preisgegeben, so kann das Mitleid erregen. Manche hingegen ergötzen sich vielleicht derart an ihrer eigenen (vermeintlichen) Geilheit, dass sie selbst regelmäßig vor den Augen der ganzen Welt blank ziehen in der festen Überzeugung, dies könne ja gar nichts anderes hervorrufen als Bewunderung. Letzteres trifft wohl auf den orangenen Mann mit den buttergelben Haaren und dem gigantischen roten Knopf auf dem Schreibtisch zu: Donald Trump.
Im Westen nichts Neues?
In der Aufarbeitung von Trumps Präsidentschaft wurde nun ein weiteres Kapitel aufgeschlagen: Michael Wolffs Buch „Fire and Fury“. Es rekapituliert die Zeit der Inauguration und der folgenden Monate. Michael Wolff gibt dabei an, „something like a semipermanent seat on a couch in the West Wing“ (Wolff, xii) innegehabt zu haben. Sein unterhaltsames Werk ist dennoch mit Vorsicht zu genießen, seine journalistische Arbeit prägt der sprachlich pointierte Finger in der Wunde und nicht das saubere fact checking.
Folgende Thesen werden besonders breit diskutiert: Trump wollte nie gewinnen, sondern durch den Wahlkampf noch bekannter werden. Das war unter den Mitarbeiter*innen common sense.
„The unspoken agreement among them: not only would Donald Trump not be president, he should probably not be.“ (Wolff, 9)
Weiter: Trump hat keine Ahnung von den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Präsidentenamtes und er besitzt nach Angaben von Wolff nicht einmal die intellektuellen Fähigkeiten, um dem Amt zu entsprechen.
„He had somehow won the race for president, but his brain seemed incapable of performing what would be essential tasks in his new job.“ (Wolff, 23f.)
Seine Mitarbeiter*innen und Verbündeten halten ihn wohl auch nicht für die hellste Kerze auf der Torte – Wolff meint, zahllose Beleidigungen von Preibus, Murdoch und Co zitieren zu können. So geriet ein inkompetenter Typ an das wohl mächtigste Amt der Welt und niemand war darauf vorbereitet.
Daneben bearbeitet Wolff die Russlandaffäre, die Verwicklungen und Intrigen der Mitarbeitenden im Weißen Haus, die Beziehung zwischen Donald und Melania und vieles mehr.
Das Buch liefert kaum neue gesicherte Erkenntnisse über Trump – und weiß sich eher der Soap als dem Sachbuch verpflichtet. Man meint exakt das zu lesen, was man durch Trumps bisheriges öffentliches Auftreten vermuten kann: Irgendwie ist der Typ gefährlich doof und gefährlich unberechenbar. Zu dieser These bedarf es aber kaum spektakulärer Enthüllungen, bisweilen genügt der Blick auf Donalds Twitter-Auftritt. Oder um es mit Luke Skywalker zu sagen:
Congratulations, sir! This dignified, statesman-like tweet is the perfect way to counter the book’s narrative that you’re an impulsive, childish dimwit. https://t.co/VW1uzqu5pr
— @HamillHimself (@HamillHimself) 6. Januar 2018
Steht ein dimwit an der Spitze, sind andere gefordert: Madeleine Albright, Außenministerin unter Bill Clinton, forderte den Kongress auf, Trumps außenpolitische Aktivitäten möglichst einzugrenzen, und John Hyten, der General, der für die Ausführung eines Nuklearschlages verantwortlich wäre, gab an, illegale Befehle zu verweigern.
Kein Recht auf Gehorsam
Nach Adolf Eichmanns Prozess prägte Hannah Arendt den Begriff der „Banalität des Bösen“, um einen Verbrecher*innentypos zu identifizieren, der sich auf eine kollektive Verpflichtung beruft, statt mit eigenen Mitteln über Handlungsmöglichkeiten zu urteilen, der Befehle befolgt ohne die Konsequenzen zu bedenken:
„Und das habe ich eigentlich gemeint mit der Banalität. Da ist keine Tiefe – das ist nicht dämonisch! Das ist einfach der Unwille, sich je vorzustellen, was eigentlich mit dem anderen ist, nicht wahr?“ (Arendt / Fest, 44)
In Trumps Zeiten stehen alle in der Verantwortung: Kongressabgeordnete und Menschen wie John Hyten vielleicht besonders, aber sicher nicht ausschließlich. Wenn ein despotisch anmutender Narzisst – und habe er einen noch so großen roten Kopf … äh Knopf – die Welt ins Chaos zu stürzen droht, dann können Befehlsverweigerer und Rebellinnen den Unterschied machen. Menschen, die sich weigern, nur ein Rädchen im System zu sein, die den eigenen Kopf einschalten und sich nicht der Versuchung des Gehorsams hingeben.
„Die größten Übeltäter sind jene, die sich nicht erinnern, weil sie auf das Getane nie einen Gedanken verschwendet haben“ (Arendt, Böse, 77)
Beitragsbild: @mktgmantra
Literatur:
Wolff, Michael, Fire and Fury. Inside the Trump White House (EBook), New York 2018.
Arendt, Hannah, Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik, München 2013 (6. Aufl.).
Arendt, Hannah / Fest, Joachim, Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe, München 2013.
Mitarbeit am Artikel: Franca Spies.