In seinem neuen Buch „Gender Ideologie!? Eine katholische Kritik“ unterzieht der 2021 emeritierte Professor für Theologische Ethik Gerhard Marschütz die u.a. lehramtliche und rechtskonservative Kritik an der vermeintlichen Gender Ideologie einer katholisch-theologischen Kritik. Mirijam Salfinger hat für uns einen Blick hineingeworfen.

Dass die vermeintliche Eindeutigkeit in Form von Zweigeschlechtlichkeit, wie sie von den Gegner*innen der Gender Ideologie propagiert wird, so gar nicht existiert, zeigt Marschütz in seiner jüngsten Publikation. Das Buch ist in drei Kapitel gegliedert, in denen Marschütz zuerst die katholische Kritik (Vgl. 17–59), die auch durch Anti-Gender-Literatur vorangetrieben wird, darstellt und anschließend einer kritischen Analyse unterzieht (Vgl. 59–169), bevor er weiterführende Perspektiven skizziert (Vgl.169–237).

Kapitel 1: Gender-Ideologie!

Im Rahmen des ersten Kapitels zeigt Marschütz auf, dass die Päpste Johannes Paul II, Benedikt XVI sowie auch Papst Franziskus kontinuierlich „das Thema Gender als inakzeptable ‚Ideologie‘ zurückweisen“ (17). Es wird deutlich, dass sich die Päpste in puncto Gender scheinbar einig sind und die Gender-Theorie – im Singular – als vermeintlich einheitliche Ideologie ablehnen. Diese Einstellung teilen sie mit Dale O´Leary, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Gabriele Kuby sowie Birgit Kelle auf deren Publikationen und Positionen Marschütz neben der Salzburger Erklärung im Anschluss eingeht. Dass sie von Bischöfen bis hin zu Papst Benedikt XVI offenbar explizit Zuspruch erhalten (haben) (Vgl. 38; 47–57), ist deshalb bedenklich und erschreckend zugleich, da die Publikationen aufgrund ihrer selektiven und verkürzenden Auseinandersetzung mit Gender-Theorien der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit trifft (Vgl. 60; 63f). Eben diese Publikationen erfahren in manchen konservativen bis hin zu politisch rechts-populistischen Kreisen jedoch größte Anerkennung und werden als vermeintlich wissenschaftliche Literatur zitiert (Vgl. 47-57; 125–136).

Kapitel 2: Gender-Ideologie?

In Form einer römisch-katholischen theologischen Kritik unterzieht Marschütz im zweiten Kapitel die römisch-katholische Gender-Kritik einer ausführlichen kritischen Analyse. Dabei liegt der Fokus, wie auch in den anderen Teilen des Buches, auf Judith Butler als Vertreterin der kritisierten Gender-Theorien. Wenngleich er mehrfach klarstellt, dass es die Gender-Theorie entgegen der Annahme der Kritiker*innen im Singular nicht gibt, konzentriert sich Marschütz trotz der Vielfalt von Ansätzen und Geschlechtertheorien in seinen Ausführungen auf Butlers Ansatz, da auch der Fokus der Anti-Gender-Literatur auf Butler als vermeintliche Wortführerin und Chefideologin liegt (Vgl. 50; 52). Entgegen der darin geäußerten Kritik zeigt Marschütz jedoch auf, dass diese einem verkürzten und falschem Verständnis sowohl von Butlers Ansatz als auch der Gender-Theorien im Allgemeinen zugrunde liegt. Entgegen dem Vorwurf, dass Butler die biologische Dimension der menschlichen Geschlechtlichkeit verleugne, negiere diese die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern eben nicht. Durch die Unterscheidung von Sex und Gender, werde vielmehr die Verstrickung kultureller Deutungsmuster deutlich. Da es Butler zufolge aber keinen vordiskursiven Rückschluss auf den Körper und damit das Sex einer Person gibt, wird im Folgenden deutlich, dass Butlers Ansatz tatsächlich mit einer essentialistisch-naturrechtlichen Anthropologie nicht vereinbar ist, jedoch nicht aufgrund der angeblichen Leugnung der Biologie (Vgl. 79f). Die naturwissenschaftlich belegte Komplexität und Vielfalt menschlicher Körper zeige klar auf, dass es natürliche Zweigeschlechtlichkeit, wie sie nicht nur in der lehramtlichen Theologie, sondern darüber hinaus auch in der allgemein verbreiteten Alltagstheorie angenommen wird, in dieser Klarheit nicht existiert (Vgl. 79-92). Marschütz legt in Folge anhand biblischer und exegetischer sowie historischer Befunde dar, dass es die christliche Anthropologie in der behaupteten Kontinuität so nicht gibt (Vgl. 92-112). Demnach wurde ein gewisses Verständnis der biblischen Texte, die sehr wohl auch andere Interpretationen zulassen, im Laufe der Kirchengeschichte mit einem essentialistisch-naturrechtlichen Verständnis von Natur, das jedoch nicht ahistorisch und objektiv sei, verknüpft.

„Im Ergebnis sollte so die (auch biologisch fundierte) Wahrheit des Menschen als Mann und Frau möglichst endgültig geklärt und die daraus resultierende Ordnung des Geschlechterverhältnisses als göttliches Gesetz festgehalten werden. Bei näherem Hinsehen zeigt sich diese Geschlechteranthropologie aber keineswegs als so unveränderlich, wie das kirchenlehramtlich suggeriert wird.“ (101)

Ebendieses Festhalten an einer vermeintlich von Gott eingesetzten Geschlechterordnung stehe der unbedingt notwendigen Anerkennung und Integration von queeren Menschen und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen innerhalb der Kirche entgegen. Dieses Verständnis von Zweigeschlechtlichkeit berge außerdem die Gefahr von Fundamentalismus und Dogmatismus (Vgl. 112–120) und werde v.a. auch im rechten politischen Spektrum und Antigenderbewegungen rezipiert (Vgl. 125–136).

Demgegenüber verweist er auf Judith Butlers „Projekt der Anerkennung“ (140) queerer Menschen für die „Verwirklichung eines guten Lebens“. (139) In Zuge dessen liefert er einen historischen Abriss von der Entstehung des Konzeptes von gleichgeschlechtlicher Liebe und Partnerschaft bis hin zu der Entpathologisierung Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit und Intergeschlechtlichkeit1. Dabei wird deutlich, dass das lehramtliche Verständnis und in Folge der Umgang mit Betroffenen hinter einem adäquaten Zugang weit zurückbleibt.

Kapitel 3: Weiterführende Perspektiven

Im dritten und letzten Kapitel skizziert Marschütz schließlich weiterführende Perspektiven. Avishai Margalits Idee der anständigen Gesellschaft zeige mit Blick auf die Kirche auf, dass diese anstatt Laien, Frauen und queere Menschen anzuerkennen, „die ihr zugehörigen gläubigen Menschen erniedrigt bzw. in ihrer Selbstachtung verletzt“ (173). Dem Anspruch der Anerkennung und Anständigkeit könne nur nachgekommen werden,

„wenn der Primat des naturrechtlichen Denkens aufgegeben wird zugunsten des Primats der Liebe. Nur so kann eine Würdigung des wunderbar komplexen Lebens gelingen und zugleich die konstruktiv-kritische Integration menschenrechtlicher Diskurse erfolgen, welche Geschlechtergerechtigkeit und Anerkennung für queere Menschen auch innerkirchlich zumuten“ (169).

Potential dazu würde bereits in den Texten des zweiten Vatikanums liegen. Wären jene Aufbrüche, die erfolgten, konsequent weiterentwickelt und ausgestaltet worden, würde sich die Kirche, so Marschütz, heute u.a. angesichts der Gender-Theorien nicht in dieser fatalen Situation des Be- und Verhinderns wiederfinden (Vgl. 11). Zwar zeige Papst Franziskus unter dem Primat der Liebe die Notwendigkeit pastoraler Begleitung auf (Vgl. 167-168), die tiefe Kluft zwischen pastoraler Praxis und geltender kirchlicher Lehre bleibe jedoch weiterhin bestehen (Vgl. 196; 235). Da jedoch aus theologisch-ethischer Sicht die „Würdigung der Menschen“ und damit „ die Würdigung der Vielfalt“ „zur zentralen Aufgabe der Kirche“ (216) gehört, muss laut Marschütz die essentialistisch-naturrechtlich aufgefasste Geschlechteranthropologie zugunsten einer freiheitstheologischen Logik aufgegeben werden. Die notwendigen Schritte skizziert er zu Ende des Kapitels, wobei er sich bezüglich der Umsetzung durch die Kirche wenig zuversichtlich zeigt. Dieses eher pessimistische, wenngleich realistische Resümee lässt die Leser*innen mit der Frage zurück, ob angesichts dieses zermürbenden Fazits noch Hoffnung besteht.

Fazit und Resumée

Mit Blick auf potentielle Leser*innen ist kritisch auf die Einleitung des Buches zu verweisen. Obwohl Marschütz Gendern als „eine unverzichtbare Form des Anstands und der Höflichkeit“ (14) bezeichnet, macht er u.a. anhand von irritierenden Verweisen deutlich, dass er von einer Übertreibung oder grammatikalisch falschem Gendern wie beispielsweise „Lai*innen“ nichts hält. Da Marschütz in den darauf folgenden Kapiteln die Notwendigkeit der Anerkennung von queeren Menschen und Frauen aufzeigt und diese inklusive einem sensiblen Umgang von der Kirche einfordert, ist seine Positionierung in der Einleitung für jene Leser*innen, für die diese Übertreibung – als Form von Selbstermächtigung und Repräsentation – wichtig ist, womöglich irritierend und hinterlässt bei manchen vielleicht bereits zu Beginn einen etwas bitteren Beigeschmack. Auffällig ist außerdem, dass Marschütz durchwegs die Kritik als „katholisch“ und nicht „römisch-katholisch“ bezeichnet, während sich beispielsweise viele Altkatholik*innen davon dezidiert abgrenzen. Auch wenn Marschütz seine eigene Kritik ebenfalls als „katholisch“ bezeichnet, mag die überwiegend negative Verwendung, gerade für jene, denen das „Katholisch-sein“ abgesprochen wird, oder diejenigen, die sich für eine „andere“ Kirche einsetzten, störend sein.

Zusammenfassend stellt das Buch eine aufschlussreiche, wenngleich erschreckende, Zusammenschau zum Thema Antigenderismus dar und zeigt präzise die Querverbindungen zu anderen Themenbereichen auf. Marschütz‘ Kritik der Kritik besticht durch die breitgefächerte Rezeption sozial- und naturwissenschaftlicher sowie theologischer Fachliteratur. Das Buch ist sowohl für Theolog*innen als auch Theologieinteressierte empfehlenswert, da es nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern auch zugänglich geschrieben ist. Somit bietet es auch Studierenden eine kompakte und theologisch fundierte Zusammenschau rund um das Thema römisch-katholischer Genderkritik. Vor allem der letzte Teil, in dem Marschütz über die Kritik hinausgeht, liefert nicht nur valide Argumente, um römisch-katholischen Kritiker*innen der Gendertheorie auch theologisch etwas entgegenhalten zu können, sondern regt darüber hinaus auch zum Weiterdenken zu einer christlichen Anthropologie der Vielfalt an.

1 Dieses Unterkapitel wurde von Katharina Mairinger-Immisch verfasst.

Hashtag: #genderundtheologie


Beitragsbild: @schaidler

Marschütz, Gerhard: Gender Ideologie!? Eine katholische Kritik. Echter 2023.

 

Gender-Ideologie!?

Der Redaktion wurde von Seiten des Verlags ein Exemplar des Buches zur Rezension zur Verfügung gestellt.

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mirijam salfinger

studierte Katholische Fachtheologie in Wien, Madrid und San Salvador. Seit Juni 2022 arbeitet sie als Universitätsassistentin Praedoc am Fachbereich für Theologische Ethik am Institut für Systematische Theologie und Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Sie brennt für Ökofeminismus, mit dem sie sich auch in ihrer Dissertation beschäftigt, und interessiert sich für Befreiungstheologie, Postkoloniale Ansätze, Queerfeminismus und Geschlechtergerechtigkeit.

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