Ein Licht, wenn es dunkel ist, kann jeder Mensch einmal gebrauchen. Paula Schütze schreibt heute über die Lichtmetaphorik der Adventszeit und fragt unter anderem: Wie viel Licht ist notwendig, um die ‚dunkle Jahreszeit‘ zu erhellen?
Als ich beginne, diesen Artikel zu schreiben, ist der erste Advent einige Stunden alt, und ich habe die erste Kerze auf meinem Adventskranz angezündet, und zahllose Menschen anderswo haben genau dasselbe getan. Wir werden eine weitere anzünden, und dann eine weitere und eine weitere, und nach vier Wochen werden wir feststellen können, dass vier Kerzen allein einen Raum erhellen können.
Etwas im Licht von etwas anderem sehen
Die Advents- und Weihnachtszeit ist voll solcher kleinen Lichter: Meine Nachbarinnen und Nachbarn hängen sie an Kabel aufgereiht in ihre Fenster und Balkone, sie selbst können sie vielleicht gar nicht sehen, aber ich kann das. Nie werden so viele Kerzen und Kerzenhalter gekauft, gebastelt und verschenkt, alle scheinen zu sagen: ‚Hier, vielleicht kannst du ein bisschen Licht gebrauchen‘. Überall in der Stadt hängen kleine, leuchtende Sterne. Es mag schlicht daran liegen, dass jetzt die sogenannte ‚dunkle Jahreszeit‘ ist, dass viele von uns an manchen Tagen Mühe haben, überhaupt einen Fetzen silbergrauen Himmel zu sehen zwischen allem, was unseren Tag so vollstellt. Vielleicht meinen wir aber auch mehr damit als ‚Mach mal Licht, man sieht ja die Hand vor den Augen nicht‘, vielleicht liegt etwas Metaphorisches in den kleinen Lichtern der Adventszeit. Metaphern selbst lassen ja ‚etwas im Licht von etwas anderem sehen‘, sie nutzen Worte und Begriffe aus bekanntem Kontext, um etwas Unbekanntes, anders gar nicht Ausdrückbares auszudrücken, zu erhellen. Wir greifen oft auf diese Fähigkeit der Metapher zurück: Nicht nur kommt kaum ein Gedicht ohne eine Metapher aus, auch in der Alltagssprache sprechen wir oft metaphorisch. Es gibt Strömungen der kognitiven Linguistik, die gar davon ausgehen, dass all unser Denken sich in Metaphern vollzieht, dass wir nur verstehen können, weil wir von einem Erfahrungsbereich auf den anderen übertragen, ständig etwas im Licht von etwas anderem sehen lassen.1
Metaphorische Theologie
Die (metaphorische) Theologie weiß um die Stärke der Metapher und weiß, dass gerade die theologische Sprache, die versucht, zu erfassen, was sich der Erfassung oftmals entzieht, darauf angewiesen ist, irgendwie mehr zu sagen als das, was die Wörter eigentlich bedeuten. Zum Beispiel der Johannesprolog malt die Geburt Christi in die Welt nicht nur als Fleischwerdung des Wortes aus, sondern auch als Lichtwerdung:
„In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,4f.)
Christus ist das Wort und das Wort ist das Licht. Was das bedeutet, muss keinem Menschen erklärt werden, der davon weiß, wie bedrängend die Dunkelheit sein kann und wie erleichternd ein einziges Streichholz ist, der daher weiß, was es bedeutet, wenn einem ein Licht aufgeht, oder wenn man endlich Licht am Ende des Tunnels sieht oder jemand das erste Licht nach der Nacht erahnt.
Ein metaphorischer Blick auf den Advent
Während ich in letzter Zeit über die Lichtmetaphorik der Adventszeit nachgedacht habe, sind mir zwei Zitate in die Hände gefallen, die sich in eigenartiger Weise zusammenkonstellieren, eines von Dietrich Bonhoeffer und eines von Theodor W. Adorno. Zusammen erlauben sie einen metaphorischen Blick auf die Adventszeit, der zunächst etwas befremdet. Dietrich Bonhoeffer konnte, eingesperrt von den Nationalsozialisten, in einem Brief an seine Braut Maria seine Zeit in der Gefängniszelle als Sinnbild für die Adventszeit betrachten:
„Wenn Du den Brief kriegst, ist wohl schon der Advent da, eine Zeit, die ich besonders liebe. Weißt Du, so eine Gefängniszelle, in der man wacht, hofft, dies und jenes – letztlich Nebensächliche – tut, und in der man ganz darauf angewiesen ist, daß die Tür der Befreiung von außen aufgetan wird, ist gar kein so schlechtes Bild für den Advent.“2
Die Adventszeit als Gefängniszelle und das Warten auf die Niederkunft Gottes auf die Erde als Warten auf Befreiung; wachen, hoffen und warten, dass die verriegelte Tür endlich aufgestoßen wird und Licht von draußen hereinfällt und den Weg nach draußen ankündigt. Dieses Bild hat wohl für Bonhoeffer korrespondiert mit seiner eigenen Befindlichkeit in einer Situation von Bedrängnis, die für mich und vermutlich – hoffentlich – auch für die meisten Leser:innen dieses Artikels nicht genauso nachzuempfinden ist. Das Bild mag auch korrespondieren mit dem Empfinden von Menschen, die sich umblicken in der Welt und die leidvolle Gemengelage zur Kenntnis nehmen, in die sich die Menschen verstrickt haben. Der Blick in die Welt kann ein Gefühl der Beklemmung und der Ohnmacht auslösen, verschwistert mit dem Gefühl des Eingesperrtseins in einer Gefängniszelle vielleicht. Im Glauben an Gott finden religiös sich verstehende Menschen die Hoffnung, dass dieses Gefühl nicht von Ewigkeit ist, sondern einmal zu Ende sein wird. So kann man das Bild vom Advent als Warten auf das Aufstoßen der Gefängnistür als Warten der gesamten Schöpfung auf die Erlösung von Ohnmacht und Beklemmung verstehen.
An Weihnachten feiern wir die Einwohnung Gottes auf der Erde in Jesus von Nazareth, und im Johannesprolog lesen wir:
„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“ (Joh 1,9).
Das „Wortlicht“3 in der Gestalt von Jesus von Nazareth ist bereits präsent. Aber warum resoniert denn dann das Gefängnisbild? Warum ist es nicht gleißend hell, weil die Tür der Gefängniszelle aufgestoßen ist und das Licht von draußen nur so hereinströmt?
An dieser Stelle muss man wohl das für den christlichen Glauben bezeichnende Noch-nicht mit dem Schonzusammendenken. Zum Evangelium gehört auch die Botschaft, dass mit der Ankunft des Wortlichts auf der Erde noch nicht alles vollends gut ist. Es ist mit Weihnachten noch nicht alles erledigt. Das wissen wir mindestens wegen Ostern. Aber: Es ist ein Anfang. Ein Lichtschimmer, könnte man sagen.
Theodor W. Adorno hat einmal in einem Vortrag gesagt, Metaphysik sei der, „sei‘s auch ohnmächtige, Schein des Lichts, der ins Gefängnis selber fällt“4.
Adorno ging es mit diesem Zitat um etwas anderes, um einen Begriff von Metaphysik, das soll an dieser Stelle aber nicht weiter beschäftigen. Ich erlaube mir, das Bild vom Schein des Lichts, der ins Gefängnis fällt, herauszulösen, um es mit dem Bild vom Advent als Gefängniszelle zu verbinden. Es geht vielleicht beim Advent neben der Erwartung des Aufstoßens der Tür auch um den Lichtstrahl, der unter dem Türspalt hereinfällt; um den Gedanken an die aufgestoßene Tür als Verheißung und den Glauben daran, den Christ:innen im Evangelium finden.
Was feiern wir dann an Weihnachten? Den Anlass zur Hoffnung, vielleicht. Die Ankündigung des Erlöst-Seins, die Christ:innen in der Person Jesus von Nazareth erkennen. Und die Einsicht, dass schon ein kleiner Spalt unter der Tür einen Raum seiner Dunkelheit berauben kann – genau wie vier Kerzen.
Hashtag der Woche: #lichtmetaphorisch
(Beitragsbild: Dagmara Dombrovska auf Unsplash)
1 Die kognitive Metapherntheorie wird federführend formuliert von G. Lakoff und M. Johnson, vgl. dies., Metaphors We Live By, Chicago 1980.
2 Bonhoeffer, Dietrich, Brief an Maria vom 21.XI.43, in: ders./Wedemeyer, Maria von, Brautbriefe Zelle 92: 1943-1945. Hrsg. von Ruth-Alice von Bismarck und Ulrich Kabitz. Mit einem Nachwort von Eberhard Bethge, München 1995, 83f., hier 83.
3 Gruber, Magdalena, Wortlicht, in: Geist und Leben 91 (2/2018) 113f, 113.
4 Adorno, Theodor W., Theater, Oper, Bürgertum, in: Vietta, Egon (Hg.), Darmstädter Gespräch 1955. Theater, Darmstadt 1955, S. 119–134, 126.