Worum geht es an Weihnachten? Um Geschenke, Essen und gute Laune oder um den Glauben an die Menschwerdung? Solche Fragen führen in die Irre, weil sie mit einer falschen Alternative konfrontieren. Warum sich Weihnachten nicht in ein schlichtes Entweder-Oder auflösen lässt, zeigt Dr. Jonas Maria Hoff anhand der Weihnachtstheologie G.K. Chestertons.

„Das Beste an Weihnachten ist, daß es ein bestürzendes und verstörendes Glück bedeutet. Es ist ein unbehaglicher Trost.“1

Der Autor dieser Zeilen ist in Deutschland – wenn überhaupt – wohl nur noch wegen seiner Father Brown-Erzählungen bekannt. Gilbert Keith Chestertons theologisches Schriftstellertum wird dagegen kaum noch beachtet. Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit hat der Weihnachts-Enthusiast Chesterton aber einiges zu bieten. Seine humorvollen und pointierten Überlegungen zur Weihnacht ermöglichen ein Verständnis des Festes jenseits üblicher Trivialisierungen. Weihnachten wird so mehr als ein bloßes Hochamt des Kapitalismus. 

Biographisches

Chesterton wurde 1874 in London geboren; ursprünglich Mitglied der anglikanischen Kirche, konvertierte er 1922 zum Katholizismus. Bekannt wurde er durch seine überaus rege publizistische und schriftstellerische Tätigkeit. In dichter Folge veröffentlichte er Zeitungsartikel, Kolumnen, Essays, Dramen und vor allem Romane. Der Katholizismus dient ihm dabei oftmals als Motivlieferant, man denke allein an den schon erwähnten Father Brown. Chesterton galt als Exzentriker. Ihm wird nachgesagt, statt eines normalen Gehstocks stets einen sog. Stockdegen verwendet zu haben. Auch viele seiner Texte zeugen von seiner Exzentrik. Er polemisiert häufig – gegen Personen aus öffentlichem Leben und Zeitgeschichte, aber auch allgemein gegen die Moderne. Den katholischen Glauben nimmt er dabei vehement in Schutz. Nach seinem Tod im Jahr 1936 bezeichnete Papst Pius XI. ihn deshalb als Defender of the Catholic Faith. 

Abstraktes Paradox

Chesterton hat zahlreiche Texte verschiedener Gattungen über das Thema Weihnachten verfasst, nicht nur Artikel und Essays, sondern auch Gedichte und Lieder. Diese Texte strahlen eine weihnachtliche Freude aus, die sich gerade an den Details festmacht. Viel schreibt er über allerlei Bräuche und das richtige Essen.

In den eher analytischen Texten entfaltet er eine Weihnachtstheologie, die von der Einsicht in eine fundamentale Paradoxie durchzogen ist, dass nämlich „die Macht und der Mittelpunkt des ganzen Universums in einer scheinbar kleinen Angelegenheit zu finden sind.“2 Das Größte und Höchste begegnet im Kleinsten. Auch wenn ein Mittelpunkt ohnehin „unendlich klein“3 ist, bleibt diese Vorstellung anstößig. 

Sie ist aber nicht nur paradox im Sinne der Wortherkunft, d.h. als Verstoß gegen (παρά / para) die gängige Meinung (δόξα / doxa). Sie ist auch paradox im engeren Sinne, werden hier doch Aspekte miteinander verbunden, die sich zu widersprechen scheinen.

In Chestertons Sicht ist Weihnachten „untrennbar verbunden mit einer universellen wie mit einer speziellen Idee“4: Auf der einen Seite die ärmliche Szenerie der Krippe, auf der anderen Seite der Schöpfer des Himmels und der Erde. Die Verschaltung dieser beiden Aspekte miteinander ist nicht trivial, sie ist hochgradig anstößig, weil sie entgegen jeder Welterfahrung ansagt, „daß zukünftig das Höchste nur von unten herauf zu wirken vermag.“5

Einen solchen Gedanken wird die Welt nach Chestertons Auffassung nie wieder los. Auch Menschen, die sich längst vom Glauben abgewandt haben, einmal aber „ein echtes Weihnachtsfest“ gefeiert haben, würden „die Vorstellung von einem Säugling und die Vorstellung von einer namenlosen Kraft, die die Sterne trägt“6, nie mehr vergessen.

Menschwerdung konkret

Chestertons Weihnachts-Enthusiasmus bleibt aber eben nicht auf diese abstrakte Beobachtung beschränkt. Es geht ihm um die konkrete Gestalt des Fests, die Rituale und Formen – und nicht zuletzt um Plumpudding.7 Auch seine Freude an der Konkretion bleibt aber, wo er darauf reflektiert, abhängig von der fundamentalen Paradoxie der Menschwerdung. Gerade die materielle Dimension der Weihnacht sieht er darin grundgelegt: 

„Die Idee, eine gute Absicht selbst zu verkörpern, d.h. sie im eigenen Leib zu haben, das ist die gigantische und ursprüngliche Idee der Inkarnation. Ein Gottesgeschenk, das man anschauen und berühren kann, ist der ganze Sinn dieser Glaubensaussage. Christus selbst war ein Weihnachtsgeschenk.“8

Im Schenken zu Weihnachten setzt das Christentum diesen Initiationsakt fort und partizipiert – wiederum paradox – an diesem „Anfang, der nicht endet.“9 So wichtig Chesterton die materielle Gestalt des Festes aber auch sein mag, er kennt Einschränkungen. M.E. sind es vor allem zwei: Zum einen dürfe die äußere, materielle Seite nicht von ihrer mystischen Tiefendimension abgekoppelt werden. Es sei wichtig, die „Festlichkeit vor Frivolität zu bewahren“10. Zum anderen ist Chesterton durchaus sensibel für die soziale Dimension der Menschwerdung: „Christus selbst war daheim ein Heimatloser.“11

Es sei „schlimm genug, daß wir die Tragödie der Armut nicht völlig entwirren können. Es ist schlimm genug, daß die Geburt des Heimatlosen, gefeiert an Herd und Altar, | manchmal mit dem Tod der Heimatlosen in Arbeitshäusern und Elendsvierteln zeitlich zusammenfällt.“12 Weihnachten sollte eine Zeit offener Türen sein.13

Bittere Weihnacht

Diese Einschränkungen machen noch einmal deutlich, wie spannungsreich diese Theologie ist.14 Weihnachten wird hier gerade nicht zu einer trivialen Konsumveranstaltung. Es behält bei Chesterton eine „dramatische und krisenhafte Seite“15, die für ihn mit der Erfahrung einer Weihnacht im Ersten Weltkrieg verknüpft ist.16 Diese Seite entsteht aber nicht nur aus den bedrückenden Kontexten, in denen das Fest zuweilen gefeiert wird, sondern geht aus der Weihnachtsbotschaft selbst hervor. Auch hier fokussiert Chesterton auf die Materialien der Weihnacht, genauer auf die Geschenke der heiligen drei Könige. Das Christuskind wird nicht nur mit Gold und Weihrauch geehrt, sondern auch mit dem Bitterstoff Myrrhe. Nach Chesterton markiert das Matthäus-Evangelium (Mt 2,11) damit, „daß Weihnachten niemals Weihnachten geworden wäre, gäbe es nicht in seiner Süße eben jene Spur von Bitterkeit.“17 Die Myrrhe mischt in die Weihnachtsfreude eine „winzige Erinnerung an das Kreuz […]; eine Erinnerung an die Bitterkeit der Wahrheit, die Bitterkeit der Ehre, die Bitterkeit des Todes.“18 

Damit aber entgeht die Erzählung selbst einer Verkürzung. Sie enthält ebenso Momente „der Nähe und der Verletzlichkeit, der Verbundenheit, der Überraschung, der Angst und der Furchtlosigkeit, des Erschreckenden und des Wundervollen.“19 Chestertons Weihnachtstexte können helfen, diese Spannungen zu entdecken.

Weihnachten wird so zu keiner reinen feel-good-Veranstaltung, lässt sich gerade deshalb aber vielleicht auch in einer Zeit voller Krisen feiern.

Hashtag: #paradoxfeiern


(Beitragsbild: @fwed bei Unsplash)

1 Chesterton, Gilbert Keith, Die englische Weihnacht, hg. u. eingeleitet von Marx, Matthias, übers. v. Greff, Boris/Herresthal, Max/Marx, Matthias, Bonn 2009, 47.
2 Chesterton, Gilbert Keith, Die neue Weihnacht, eingeleitet von Marx, Matthias, übers. v. Greff, Boris/Herresthal, Max/Marx, Matthias, Bonn 2004, 81.
3 Ebd., 181.
4 Chesterton, Englische Weihnacht, 29.
5 Chesterton, Neue Weihnacht, 193.
6 Ebd., 179.
7 „Der Weihnachtspudding verkörpert das reife Mysterium des Besitzes, und der Beweis liegt in seinem Verzehr.“ (Chesterton, Neue Weihnacht, 103.)
8 Ebd., 69.
9 Chesterton, Englische Weihnacht, 104.
10 Chesterton, Neue Weihnacht, 147.
11 Chesterton, Englische Weihnacht, 11.
12 Chesterton, Neue Weihnacht, 51–54.
13 Chesterton, Englische Weihnacht, 56.
14 Unabhängig von Weihnachten entfaltet er eine explizit paradoxale Theologie u.a. in: Chesterton, Gilbert Keith, Orthodoxie. Eine Handreichung für die Ungläubigen. Mit einer Einleitung von Martin Mosebach, hg. v. Enzensberger, Hans Magnus, übers. v. Noll, Monika/Enderwitz, Ulrich, Frankfurt a. M. 2000, 68–141.
15 Ebd., 22.
16 Vgl. Chesterton, Neue Weihnacht, 123–131.
17 Chesterton, Englische Weihnacht, 26.
18 Ebd.
19 Lelle, Antonia/Naglmeier-Rembeck, Christoph/Spies, Franca: Noch ein Weihnachtsbuch?! Ein paar Worte zur Einleitung, in: Dies. (Hg.): Weihnachten kann erst werden, wenn …, Freiburg 2022, 7–21, hier: 12.

dr. jonas maria hoff

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fundamentaltheologischen Seminar der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: