Allerheiligen und Allerseelen sind zwar schon vorbei, Florian Mayrhofer wagte sich für y-nachten.de jedoch ins Wiener Bestattungsmuseum, um darüber nachzudenken, wie wir mit dem Tod umgehen.

Die Feiertage am Beginn des Novembers sind selbst für Menschen, die sich keiner Religion mehr zugehörig fühlen oder sich als gläubig bezeichnen würden, traditionell mit einem Besuch der Gräber verstorbener Familienmitglieder verbunden. Zugleich lässt sich nicht leugnen, dass es in unseren mitteleuropäischen Gesellschaften die Tendenz gibt, Tod und Sterben aus unserem Leben ein Stück weit zu verdrängen und zu institutionalisieren. Dass der soziale dem physischen Tod vorausgeht, ist keine Seltenheit. Kranke und alte Menschen werden in Pflegeheimen untergebracht und ein Teil von ihnen kaum bis nie von ihren Angehörigen besucht.1 Und dennoch: „Die holzschnittartige Behauptung der Tabuisierung des Todes kann nicht aufrechterhalten werden.“2 Der Thanatosoziologe Thony Walter versuchte dies bereits in den 1990er Jahren differenziert in den Blick zu nehmen. Er unterschied zwischen einer Verneinung des Todes als Bedingung menschlichen Lebens, einer zeitlichen Abdrängung des Todes ins hohe Lebensalter, einer gewissen Tabuisierung in Gesundheitseinrichtungen, die kontextuelle und kulturelle Bedingtheit des Umgangs mit dem Tod und letztlich der schrittweisen Ent-Tabuisierung durch Bewegungen, die sich für einen offeneren und solidarischen Umgang (z.B. Hospizbewegung) einsetzen.3

Wie unterschiedlich Menschen mit dem Tod umgehen, wurde mir nicht nur früh in meiner eigenen Familie bewusst, sondern zeigten mir auch die Feiern rundum den „Dia de los Muertos“ während meines Auslandsjahres in Mexiko, bei dem ganze Altäre mit reichlich Essen für die Verstorbenen aufgebaut werden. Menschen stehen unterschiedlich zum Tod: Manche versuchen ihn möglichst aus ihrem Leben zu verdrängen, manche bereiten sich Zeit ihres Lebens im Sinne einer Ars moriendi bewusst darauf vor. Die einen kommen oft Jahrzehnte kaum damit in Berührung, die anderen werden schon früh in ihrem Leben von einem Schicksalsschlag getroffen. Insofern ist Thony Walter zuzustimmen, dass die Frage, wie wir zum Tod stehen, stark davon abhängt, wie in der eigenen Familie, im Umfeld, in der Gesellschaft, Religion und Kultur damit umgegangen wird.

Ich selbst war früh als Kind mit dem Tod konfrontiert. Seither lässt mich dieses Thema nicht los und beschäftigte mich an zahlreichen Weggabelungen in meiner Biografie. Dabei empfand ich den Tod nie als etwas Bedrohliches, sondern war fasziniert von der reichen Bilderwelt des Christentums in Bezug auf das Leben nach dem Tod, die zahlreichen Rituale und die vielfachen Zugänge und den Umgang mit dem Tod durch die Geschichte. Vielleicht fühlte ich mich auch deswegen in meiner Wahlheimat Wien von Beginn an so wohl. Den Wiener:innen wird ja traditionell eine ganz besondere Beziehung zum Tod nachgesagt. Manche mögen dies als ‚morbid‘ bezeichnen. Im Grunde ist es jedoch ein entspanntes Verhältnis zum Tod – immer verbunden mit einem leichten Augenzwinkern und einem ‚Carpe diem‘.  Kulturelle Zeugen davon sind zahlreiche Wiener Lieder, die den Tod auf und ab besingen: „Es wird a Wein sein, und wir wer‘n nimmer sein, D`rum müß ma`s leb`n so lang`s uns g`freut… Hollodaro!“ Diese Haltung ist jedoch keine Erfindung des Wiener Liedes – bereits im 14. Jahrhundert wird davon berichtet, dass am Augustiner Friedhof (dem heutigen Josephsplatz bei der Hofburg) zu Pfingsten der Friedhof mit grünen Laub ausgelegt wurde und die Menschen bei dem veranstalteten Tanzfest dem Tod – sprichwörtlich – auf der Nase herumtanzten.4  Ähnlich zeigt das 1975 erschienene Austropop-Lied „Es lebe der Zentralfriedhof“ des österreichischen Künstlers Wolfgang Ambros die spielerische Art des Umgangs mit dem Tod, tanzen darin doch die Toten auf ihren Gräbern anlässlich des 100. Geburtstags des Zentralfriedhofs.

Grund genug für mich dem weltweit einzigen Bestattungsmuseum, das als Betriebsmuseum geführt wird, einen Besuch abzustatten und der Wiener Morbidität tiefer in die Seele zu blicken. Das Museum besteht seit 1967 und befindet sich heute am Wiener Zentralfriedhof. Auf dem zweitgrößten Friedhof Europas mit einer Fläche von 2,5 km² ist mensch umgeben von drei Millionen Toten, die mittlerweile dort begraben liegen. Der morbide Charakter der Stadt begrüßt die Besucher:innen des Museums gleich im Eingangsbereich im eigens eingerichteten Shop. Dort lassen sich Merchandiseprodukte wie Taschen mit dem Aufdruck „Ich turne bis zur Urne“, Zigarettenschachteln mit dem Slogan „Rauchen sichert Arbeitsplätze“ oder Lego-Bausätze wie „Aufbahrungshalle“ und „Krematoriumsofen“ käuflich erwerben. Manche mögen dies pietätlos finden, ich selbst finde diesen humorvollen Umgang mit dem Tod durchaus ansprechend. Im Museum, das ca. 350 Exponate besitzt, erfährt mensch zahlreiche Daten, Fakten und Hintergrundstorys rund um den Tod und das Sterben in Wien, insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert. Wer wissen will, wie das Problem undichter Särge gelöst wurde, was es mit dem josephinischen „Klappsarg“ auf sich hat oder woher sich die Wienerische Bezeichnung „Pompfüneberer“ ableitet, ist hier also genau richtig.

Die Exponate und Erzählungen rufen allerdings auch eines in Erinnerung, was Andreas Heller und Klaus Wegleitner treffend zusammenfassen: „Wir sterben nicht mehr auf der Bühne ritueller, familial-nachbarschaftlicher Beziehungen, sondern hinter den Kulissen von Organisationen.“5 Es soll hier nicht ein Klagegesang, ob der veränderten Formen von Trauer und des Umgangs mit dem Tod angestimmt werden. Vielmehr ist der Blick in die Vergangenheit immer auch ein guter Gratmesser dafür, wie Leben auch gelebt wurde und werden könnte. Dass das Sterben auf der Bühne auch seine Schlagseiten hatte, zeigt der Umstand, wie wichtig den Wiener:innen ein schönes Begräbnis, die sogenannte ‚Schöne Leich‘ war. Begräbnisse waren im 19. Jahrhundert, also vor Fernsehen, Insta und TikTok, gesellschaftliche Events, bei denen mensch nicht nur zeigte, was mensch sich leisten konnte, sondern bei dem Menschen ganz unabhängig davon, ob sie die Toten kannten, selbstverständlich teilnahmen. Die Verlegung der Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern hatte allerdings zur Folge, dass sich der Kondukt in ein wahrhaftes Spektakel verwandelte. Wohnungsbesitzer:innen in den Belleetagen der Zinshäuser entlang des Trauerzugs vermieteten sogar ihre Wohnzimmer mit Inseraten wie „Candlelight-Dinner mit besonderer Aussicht“. Der Neureichtum des Biedermeier, das aufstrebende Bürgertum und der sich anbahnende Individualismus führten dazu, dass Repräsentation im 19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung war, selbst über den Tod hinaus. Soziale Ungleichheit im Tod manifestierte sich daher auch im Begräbnis, das sich nur die Betuchteren leisten konnten. Insofern hat sich hier gesellschaftlich einiges zum Besseren gewendet. Zugleich war Sterben und Tod jedoch eingebettet in ein familiäres, nachbarschaftliches Netz, war öffentlich präsent und rituell begleitet und ein stabilisierender Faktor in einer instabilen Lebenslage.

Die Feiertage am Beginn des November sind daher ein guter Anlass sich darüber Gedanken zu machen, wie sich das eigene Verhältnis zum Tod gestaltet, aber auch in welcher Beziehung die eigene religiöse Vorstellungswelt zum Tod steht – ein jährliches Memento mori. Ein Besuch am Friedhof oder im Bestattungsmuseum kann für diese Reflexion ein guter Anlass sein.

Hashtag der Woche: #ASchöneLeich


Beitragsbild: Florian Mayrhofer im Bestattungsmuseum Wien

1 Reimer Gronemeyer (2007): Sterben in Deutschland: Wie wir dem Tod wieder einen Platz in unserem Leben einräumen können. Berlin: Fischer Verlag.

2 Andreas Heller & Klaus Wegleitner (2021): Sterben und Tod im gesellschaftlichen Wandel, in: Andrea Lehner-Hartmann & Viera Pirker (Hg.): Religiöse Bildung. Perspektiven für die Zukunft, Ostfildern: Grünewald, 67–80, 68.

3 Tony Walter, Modern death: taboo or not taboo, in: Sociology 25 (1991), 293−310.

4 Martin Czernin (2011): Mittelalter (circa 500 bis 1500) , in: Elisabeth Fritz-Hilscher (Hg.): Wien Musikgeschichte: Von der Prähistorie bis zur Gegenwart, Münster: LIT, 35–112, 70.

5 Heller & Wegleitner (2021), 73.

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florian mayrhofer (er/ihn)

studierte katholische Theologie und Lehramt Französisch/Katholische Religion in Wien, Eichstätt und Lyon und ist derzeit als Universitätsassisten (prae doc) am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien tätig. Er promoviert im Fachbereich Religionspädagogik und Katechetik und ist ab und an auf Twitter (@Fl_OhMyGod) anzutreffen.

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