In der heutigen Zeit empfinden viele Menschen es als zunehmend schwer, das Konzept der Erlösung zu verstehen. Daher beschäftigt sich Helena Mandok mit einer alternativen Betrachtungsweise der Erlösung, die den Menschen eine aktive Rolle zuweist.

Das Problem der Erlösung

Immer mehr Menschen empfinden es als Herausforderung, sich vorzustellen und zu akzeptieren, dass eine historische Person, die vor zweitausend Jahren kurzfristig öffentlich aufgetreten ist und uns Menschen erlöst haben soll.1 Erlösung ist ein Wort, das einerseits untrennbar mit dem christlichen Selbstverständnis verbunden und direkt auf die menschliche Selbsterfahrung bezogen ist, ihr aber andererseits fremd geworden ist. Diese Thematik bringt nicht nur intellektuelle Herausforderungen mit sich, sondern es ergeben sich auch ethische Komplikationen: die Geschichte und die Behauptung der Endgültigkeit, der Exklusivität und Universalität des Heils haben zu Antijudaismus, Abwertung anderer Religionen, sowie Rassismus geführt. Auch für Frauen stellt dieses Verständnis ein Problem dar: Der Glaube an einen Mann, der als einmalige und einzigartige Selbstoffenbarung Gottes und als universaler Erlöser der ganzen Welt gepriesen wird, führt allzu oft zu einer theologischen und praktischen Abwertung und Marginalisierung von Frauen.2

Erlösung im Wandel der Zeit

Viele christliche Theologien sind darauf ausgerichtet, Gott als ganz anders als die Menschen wahrzunehmen und doch sind die Menschen „seine“ Geschöpfe und nach seinem Bild geschaffen. In diesen Vorstellungen ergibt sich die logische Schlussfolgerung, dass Erlösung darin besteht, den Menschen über die Welt zu erheben. Erlösung wird somit als Gottes Handeln betrachtet, das den Menschen über seine eigene Begrenztheit erhebt. Es handelt sich um eine Art göttliche Rettung des Menschen aus seiner endlichen Existenz.3 Die gilt etwa auch für die in der katholischen Kirche einflussreichen Soteriologie Anselms von Canterbury.

Heutzutage jedoch sind Bedürfnisse, Probleme und Fragen, für die Erlösung die Antwort und „Lösung“ sein könnte, nur schwer zu eruieren und werden, „sofern sie überhaupt gespürt und zugelassen sind, in jeder anderen Sprache als der des Glaubens artikuliert und ohne seine Hilfe erledigt.“4 Der Dogmatiker Thomas Pröpper beschreibt das Grundproblem in einer klaren Deutlichkeit: Mitarbeitende der Verkündigung und Glaubensvermittlung stehen mit ihrem Erlösungsglauben da wie mit einem Angebot, für das unmittelbar und ausdrücklich keine Nachfrage besteht.5 Deshalb formuliert er die theologische Aufgabe hinsichtlich der Erlösung, die aktuelle Situation wahrzunehmen und anzuerkennen, sowie die Konsequenzen der eigenen Tradition nicht zu leugnen, um so zu einer glaubwürdigen und zugänglichen theologischen Rede von Erlösung zu kommen.6 Das Verlangen nach Befreiung von Leid, nach erfülltem Dasein und nach einer besseren Welt ist noch immer vorhanden. Daher gilt es als äußerst wichtig, die wesentlichen Aufgaben für eine gegenwärtige Theologie der Erlösung zu formulieren, damit diese heute (noch) anschlussfähig sein kann.7

Carter Heywards Theologie der Macht-in-Beziehung

Carter Heyward (*1945), eine der bekanntesten Vertreterinnen einer Feministischen Theologie der Beziehung,8 ist der Überzeugung, dass wenn es eine Erlösung der Menschheit in der Welt gibt, diese von unseren eigenen Handlungen abhängig ist.

In Heywards Augen ist es nicht länger möglich, die Verantwortung auf eine allmächtige Gottheit zu übertragen. Wenn Gott allmächtig ist, dann zeigt sich seine Macht durch die menschliche Liebe.

Erst wenn wir die Menschheit in ihrer eigenen Wirklichkeit ernst nehmen, können wir gemeinsam mit Gott das Böse, was sich Heywards Meinung nach in moralisch verwerflichem Verhalten manifestiert – nämlich in Form von Mangel an Liebe und Gerechtigkeit – überwinden.9Erlösung wird von Heyward definiert als die Erfahrung von geglückten Beziehungen und sie betont damit, dass die Erfahrung des Reiches Gottes im hier und jetzt geschehen muss.10 Sie präzisiert diesen Gedanken in ihrer theologischen Auffassung:

„Der menschliche Akt zu lieben, Freundschaft zu schließen und Gerechtigkeit herzustellen, ist unser Akt, Gott in der Welt leibhaftig zu machen.“11

Sie fasst diesen Akt in einem Satz zusammen, der dies sehr treffend beschreibt:

„the act is love and God is love. And when we love, we god.“ 12

Wenn Heyward davon spricht, dass Menschen „to god“ können, dann meint sie damit, dass den Menschen in Beziehung zueinander die Macht gegeben wird, an dieser gemeinsamen Beziehung mitzuwirken und damit das gemeinsame persönliche Wohl zu schaffen, es zu erfahren und zu leben.13 Dafür setzt sie eine horizontale Beziehungsebene zwischen Gott und den Menschen als grundlegend, im Gegensatz zur traditionell vertikalen Sichtweise.14 Gott dient als das Band, welches die Menschen miteinander verbindet, und dies ermöglicht jedem Einzelnen*jeder Einzelnen, zu wachsen, zu arbeiten, zu spielen, zu lieben und geliebt zu werden.15

Jedoch ist sie davon überzeugt, dass keine anthropomorphe Gottheit für das Gute noch für das Böse verantwortlich gemacht werden kann. Gott ist keine Person, sondern ein transpersonaler Geist, eine Macht in Beziehung, die von der Menschheit abhängt, wenn sie das Gute tut, Gerechtigkeit schafft, Liebe verwirklicht und Gott in der Welt lebendig werden lässt. Das Tun des Guten und die Zerstörung des Bösen sind menschliche Akte und Gott unsere Macht, dies zu tun.16 Laut Heyward, stellt sich die moralische Frage dahingehend, ob wir unsere gemeinsame Macht beanspruchen oder nicht, ob wir uns dafür entscheiden, die Macht zu teilen, die gut, kreativ und erlösend ist, wenn sie gemeinsam gehört und genutzt wird, aber böse ist, wenn wir sie als unser persönliches Eigentum betrachten und ausschließlich für uns selbst nutzen.17

In einem feministischen Bemühen versucht sie das „Herr-Sein“ Jesu zu bekämpfen, das ihn einzigartig werden ließ und ihn damit über menschliche Erfahrung erhob. Damit wurden nämlich auch die Menschen ihrer Verantwortung enthoben, Gott in der Welt zu inkarnieren.18 Heyward zufolge zeigt die Jesus Geschichte, dass Erlösung – also die Herstellung von gerechten Beziehungen mit Gott inmitten des Bösen – immer wieder, historisch und autobiographisch in jedem winzigsten Moment der Gerechtigkeitsfindung erreicht werden kann.19

Ihr geht es darum die gegenwärtigen sozialen Strukturen, die Unterdrückung und Ungerechtigkeiten zu erkennen und zu benennen und sich gemeinsam dafür einzusetzen, sie zu verändern und zu transformieren. Dies erfordert ein tiefgreifendes Engagement für soziale Gerechtigkeit und eine Solidarität mit denjenigen, die von Unterdrückung und Ungerechtigkeiten betroffen sind.

Auf diese Weise bleibt Theologie bei Heyward keine abgehobene wissenschaftliche Disziplin, sondern die Menschen werden zu solidarischem und politischem Engagement herausfordert.20 Heyward versteht Erlösung als ein Prozess, der darauf abzielt, die Identität und das Potenzial der Menschen zu entfalten. Dieses Verständnis kann Menschen ermutigen und sie fördern, sich stärker selbstbestimmt zu fühlen und aktiv ihr Leben zu gestalten. So kann Erlösung nicht als etwas verstanden werden, das auf einer dualistischen Beziehung zu Gott beruht, sondern als ein kontinuierlicher Prozess, der weder historisch begonnen hat noch in Leben, Tod und Auferstehung Jesu abgeschlossen wurde.

Hashtag der Woche: #MachtinBeziehung


(Beitragsbild: Xan Griffin)

1 Vgl.Strahm, „Für wen haltet ihr mich?“, 11.

2 Vgl. ebd., 12.

3 Vgl. Heyward, Und sie rührte sein Kleid an, 43.

4 Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, 19f.

5 Vgl. ebd.,19.

6 Vgl. ebd., 33.

7 Vgl. Universitätsbibliothek Tübingen, Theologische Quartalschrift, 172, 264f.

8 Vgl. Kalsky, Christaphanien, 160.

9 Heyward, Und sie rührte sein Kleid an, 164.

10 Vgl. Jensen, Kreuz und Rechtfertigung aus der Sicht der feministischen Theologie, 257.

11 Heyward, Und sie rührte sein Kleid an, 52.

12 Ebd., 52.

13 Vgl. ebd., 41.

14 Vgl. Jensen, Kreuz und Rechtfertigung aus der Sicht der feministischen Theologie, 258.

15 Vgl. Heyward, Und sie rührte sein Kleid an, 49.

16 Vgl. ebd. 180.

17 Vgl. Heyward, Our passion for Justice, 122.

18 Vgl. Heyward, Und sie rührte sein Kleid an, 79.

19 Vgl. Heyward, Saving Jesus from those who are right, 140.

20 Vgl. Anton, Religionspädagogische Annäherung an eine „feministische Theologie der Beziehung“ (Carter Heyward), 31.


 

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helena mandok

studiert katholische Theologie, Sport und Englisch auf Gymnasiallehramt in Freiburg mit einem Studienaufenthalt in Stockholm. Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat sie sich mit der Theologin Carter Hayward und ihrer Erlösungsvorstellung auseinandergesetzt.

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