Anna Kraml gibt uns einen Ausblick auf Sexualität und fehlende Einvernehmlichkeit im AT. Achtung! In diesem Artikel geht es auch um Missbrauch und Vergewaltigung.

Einvernehmlichkeit bedeutet prinzipiell einmal in Übereinstimmung mit anderen betroffenen Parteien zu handeln. Dabei ist wesentlich, dass es zu einer Kooperation der betroffenen Parteien kommt, dass diese den Willen haben, Entscheidungen gemeinsam zu treffen und von wechselseitigem Respekt geprägt sind. Dem Menschen ist biblisch gesehen Einvernehmlichkeit in seiner Schöpfung grundgelegt. In Gen 1,27 wird der Mensch in einem Atemzug als männlich und weiblich erschaffen – das bedeutet vor allem eine Gleichrangigkeit aller Parteien, eine Wertung oder Hierarchie gibt es nicht. In dieser Gleichrangigkeit ist die Möglichkeit einvernehmlichen Handelns grundgelegt – nur in dieser Gleichheit kann es zu einer freien, bewussten Kooperation im wechselseitigen Respekt kommen.

„Sie war sehr schön“ (Dan 13,2a) – Sexualität und Missbrauch

Das Alte Testament kennt auch jene Fälle, in denen es zu keiner einvernehmlichen Sexualität kommt – sprich Vergewaltigung, denn einen Graubereich gibt es meiner Meinung nach nicht. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht auf die Rechtstexte fokussieren, die Vergewaltigung kennen und thematisieren (Dtn 22,25-29). Sondern vielmehr auf eine exemplarische Erzählung eingehen, die sexuelle Gewalt abseits der Einvernehmlichkeit thematisiert: Susanna (Dan 13).

Susanna ist die schöne und gottesfürchtige Frau eines einflussreichen jüdischen Mannes in der babylonischen Exilsgemeinde. Besonders ihre Schönheit und Gottesfurcht werden in v2 der Erzählung herausgestrichen. Warum werden diese „Eigenschaften“ (Schönheit ist ja keine Eigenschaft im engeren Sinn) so hervorgehoben? Sie sind für den Verlauf der Geschichte entscheidend. Vor allem Susannas Schönheit ist die Erklärung dafür, dass zwei Älteste (und gleichzeitig Richter) des Volkes Susanna begehren. Diese Form der Sexualität wird von Beginn an negativ bewertet, was sich vor allem in der vokabularischen Ausschmückung des Textes zeigt. Die Ältesten „begehren“ (v8) Susanna, ihre „Gedanken geraten auf Abwege“ (v9), sie schämen sich für ihr Begehren (v10).

Bemerkenswert an der Erzählung der / über Susanna ist, dass sie die Dynamik des victim blamings offenlegt und so ein bekanntes rape myth dechiffriert. Einerseits ist Susanna trotz ihrer Schönheit nicht schuld an der versuchten Vergewaltigung. Andererseits macht die Erzählung offenbar, dass die Ältesten Susanna zum Sex zu zwingen versuchen und sie mit einer falschen Anschuldigung erpressen. Susanna bleibt gottesfürchtig und steht zu ihrem Nein:

„Ich bin bedrängt von allen Seiten: Wenn ich es tue, so droht mir der Tod; tue ich es aber nicht, so werde ich euch nicht entrinnen. Es ist besser für mich, es nicht zu tun und euch in die Hände zu fallen, als gegen den HERRN zu sündigen.“ (Dan 13,22-23)

Die Erzählung rund um Susanna deckt das Zusammenspiel von Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch auf. Einvernehmlichkeit ist unter keinen Umständen gegeben, da Susanna sich dezidiert zur Wehr setzt. Das negative Bild der Sexualität in der Susanna-Erzählung geht vor allem auf ihren Missbrauch durch die Ältesten zurück. Nicht Sexualität an sich ist das Problem der Erzählung, sondern ihr Missbrauch.

„Wunderbarer war deine Liebe für mich“ (2 Sam 1,26c) – Einvernehmlichkeit abseits der Heteronormativität

Im „Bogenlied“ Davids trauert dieser um den Verlust des Königs Saul und seines Sohnes, Davids Freund, Jonatan. „Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan./Du warst mir sehr lieb./Wunderbarer war deine Liebe für mich/als die Liebe der Frauen“, so der Vers in seiner ganzen Form. Bemerkenswert ist, dass in diesem Vers zweimal das hebräische אהבה, ‚Liebe‘, begegnet und einmal נעם, was so viel heißt wie ‚angenehm sein‘ oder ‚lieblich sein‘. Innerhalb eines Verses begegnet also dreimal ein Lexem, das Liebe ausdrückt, und es handelt sich nicht um die einzige Stelle, an der David und Jonatans Beziehung mit ‚Liebe‘ beschrieben wird (1 Sam 18,1.3; 20,17). Beide Lexeme begegnen im Hohelied und können eine erotische Komponente haben. Dass eine homoerotische Beziehung zwischen David und Jonatan durchaus denkbar ist, dafür argumentieren Schroer/Staubli bereits im Jahr 2000.1 Ihre Argumentation ist vor allem durch Parallelen zum Hohelied gedeckt.2

Es ist eine hochemotionale Beziehung, die sich zwischen beiden Männern entwickelt. Spannend wird die Beziehung zwischen David und Jonatan auch, wenn sie auf ihre Einvernehmlichkeit hin gelesen wird. Sie kooperieren im Verlauf der Geschichte mehrfach miteinander (1 Sam 18,1-9; 19; 20). Beide sprechen in ähnlicher Weise über ihre Beziehung und die Emotionalität ihrer Beziehung wird in gleichem Vokabular zum Ausdruck gebracht (1 Sam 18,1.3; 20,17; 2 Sam 1,26). Besonders in dieser Sprache zeigt sich, dass beide ihre Beziehung auf dieselbe Weise wahrnehmen und es sich vor allem auch um eine gleichrangige Beziehung handelt.

Heteronormativität und Einvernehmlichkeit

Welche Erkenntnis lässt sich aus den beiden biblischen Texten ziehen? In der Zusammenschau lässt sich beobachten, dass sich jene Beziehung abseits eines heteronormativen Konzepts durch Einvernehmlichkeit auszeichnet. Während jene Erzählung, der ein klar heteronormatives Konzept zu Grunde liegt, durch fehlende Einvernehmlichkeit ausgezeichnet ist. Die Dimension des Machtmissbrauchs in heteronormativen Gesellschaftsformen, wäre ein Thema, das es neu zu diskutieren hieße, das aber biblisch sicher auch seine Spuren hinterlässt – man denke an die Erzählung um Juda und Tamar (Gen 38) oder Amnon und Tamar (2 Sam 13,1-22).

Hashtag der Woche: #siewarsehrschön


Der Beitrag ist eine Zusammenschau eines Artikels, der im Rahmen der Innsbrucker Theologischen Sommertage 2023 erschienen ist und den Titel „‘Wunderbarer war deine Liebe für mich‘ (2 Sam 1,26a) – Sexualität und Einvernehmlichkeit im Alten Testament“ trägt.3

(Beitragsbild: @Pexels)

1   Schoer, Silvia, Staubli, Thomas (2000), Saul, David and Jonathan – The Story of a Triangle? A Contribution to the Issue of Homosexuality in the First Testament, in: Brenner, Athalya, Samuel and Kings – A Feminist Companion to the Bible, Sheffield, S. 22-36.

2   1 Sam 18,1-3 ist parallel zu Hld 1,7; 3,1-3 formuliert – Jonatan liebt David wie sein eigenes Leben (נפשׁ), Hld benennt parallel dazu den Geliebten als den, „den meine Seele (נפשׁ) liebt“ in beiden Fällen wird das Hebräische נפשׁ verwendet, das so viel wie Seele, Leben oder Person bedeuten kann; 1 Sam 20,11 parallel zu Hld 7,12, vielleicht die stärkste Übereinstimmung, völlig identisch wird in 1 Sam 20,11 und Hld 7,12 beschrieben „Komm wir wollen aufs Feld hinausgehen“. Schroer/Staubli (2000), S. 28-29.

3   Kraml, Anna (2023), „Wunderbarer war mir deine Liebe“ (2 Sam 1,26a) – Sexualität und Einvernehmlichkeit im Alten Testament, in: Datterl, Monika/Guggenberger, Wilhelm/Paganini, Claudia (Hg.): Körper:Gender:Sexualität als Chance für die Theologie, theologische trends 33, Innsbruck, S. 125-139.

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anna kraml

studierte Religionspädagogik an der Universität Innsbruck und promovierte zur Freude in der Hebräischen Bibel. Hauptberuflich arbeitet sie als Religionslehrerin am BORG Innsbruck und als Fachreferentin Bibelpastoral für die Diözese Innsbruck.

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