Vor kurzem wurde der Pastoraltheologe Prof. Dr. Christian Bauer, der unlängst von der Universität Innsbruck an die Universität Münster gewechselt ist, 50 Jahre alt. Dominik Schlauß hat für y-nachten.de einen Blick in die Festschrift geworfen, die zu diesem Anlass erschienen ist.

„Auf jeden Fall sollte es etwas Persönliches sein“, lautet der wohl meistformulierte Ratschlag an jene entscheidungsunfreudigen Menschen, die sich vor jedem Festtag neu den Kopf über eine passende Aufmerksamkeit zerbrechen. Changiert der motivationale Hintergrund dieses Rufes für gewöhnlich zwischen einem ernstgemeinten Mitdenken auf der einen und der Vertuschung eigener Kreativitätsmüdigkeit auf der anderen Seite, so bleibt der Grundtenor doch unüberhörbar: Idealer Weise ist ein Geschenk nicht lediglich die Entsprechung einer gesellschaftlichen Gepflogenheit, sondern ein besonderer Ausdruck dessen, was zwei Personen miteinander verbindet – etwas, das eine gemeinsame Geschichte wachrufen und geteilte Erinnerungen womöglich konservieren kann.

Nun sind (akademische) Festschriften in aller Regel nicht der bevorzugte Ort, an dem wir solche persönlichen Einblicke erwarten würden. Mit Ausnahme einer biographischen Notiz oder einer kurzen Anekdote geben entsprechende Beiträge doch eher selten etwas über die geehrte Person jenseits ihrer wissenschaftlichen Leistungen preis. Unter dem Schleier einer vermeintlichen Professionalität scheinen persönliche Verbindungslinien keinen Platz zu finden. Solange dieser Schleier nicht fallen mag, unterscheiden sich die in einer Festschrift versammelten Beiträge meist wenig von wissenschaftlichen Aufsätzen, die für andere Zusammenhänge geschrieben worden sind.

Die hier im Mittelpunkt stehende Festschrift für Christian Bauer schlägt vor diesem Hintergrund ganz bewusst einen anderen Weg ein. Weist der Herausgeber bereits in seinem Vorwort alle Erwartungen zurück, die in diesem Büchlein eine „betuliche Festschrift eines eingeschweißten Schüler:innenkreises“ (9) suchen mögen, so kann man diese Lesehilfe nur unterstreichen: Die vom Herausgeber entworfene Konzeption schafft auf eindrückliche Weise einen Raum, in dem 20 junge Theolog*innen einen direkten Blick in ihre theologischen Denkwerkstätten gestatten, deren Genese und inhaltliche Ausdifferenzierung untrennbar mit Christian Bauer als Person, Doktorvater und Wissenschaftler verbunden sind. Der theologische Stil Bauers bildet den Ausgangspunkt des in diesem Buch dokumentierten Weiterdenkens und steht – wie es auch in besonderer Weise bereits das Cover ins Bild setzt – im Hintergrund jedes einzelnen „Aufbruches“. Kurzum: Hier wird mehr und anders geschenkt, als es die klassische Kategorie „Festschrift“ fassen kann. Hier wird zurückverfolgt und als Spur lesbar gemacht, wie neue theologische Suchbewegungen entstehen können.

Ein kurzer Blick ins Buch: Eigenes Theologietreiben zwischen vorgegebenen Koordinaten und selbstgeplanten Flächen

Die unterschiedlichen Entwicklungsschritte dieser Theologiewerdung werden dabei in der klaren Struktur der einzelnen Kapitel dieser Festgabe aufgefangen: Ausgehend von der lebendigen Erinnerung an Momente des Alltages, die den jeweiligen Autor oder die Autorin mit dem Geehrten verbinden, kann dem ersten Kapitel „Koordinaten“ insofern ein einführender Charakter zugesprochen werden, als dass die Leser*innen unmittelbar zu Beginn mit den zentralen Begriffen und Bausteinen der theologischen Konzepte Christian Bauers vertraut gemacht werden. Einen besonderen Raum erhält dabei die weitreichende Wirkung dieser theologischen Weichenstellungen auf die Autor*innen: So verhilft eine im wahrsten Sinne des Wortes entgrenzende Denksportaufgabe bei der persönlichen Standortbestimmung („Ich verstehe die pastorale, meine pastorale Welt auf einmal besser. Wo war ich denn so lange?“ [16]) und führt die theologisch so oft bemühte Rede vom Erfahrungsbezug der Theologie zu einer neuen Perspektive auf das eigene Leben und seinen Alltag, „in dem es immer etwas Theologisches zu entdecken gibt“ (22). Wer sich auf diese Form des Theologietreibens einlässt, bleibt kein zuschauender Beobachter, keine unbeteiligte Zuschauerin, sondern erfährt die existentielle Bedeutung dieser Theologie und die Möglichkeiten der Erweiterung festgefahrener Perspektiven am eigenen Leib.

Dass ein solcher Ansatz nicht allein in den Hörsälen einer Hochschule seinen Platz finden kann, führt das zweite Kapitel „Raster“ vor Augen, dessen einzelne Beiträge den Anstoß einer „explorativen Theologie“ auf je eigene Weise umzusetzen versuchen. Die Autor*innen greifen sich also den vielleicht prominentesten Baustein des theologischen Ansatzes Christian Bauers heraus und betreiben „Theologie am Andersort“: Eine aus der Erfahrung der eigenen Begleitung von krebskranken Menschen entwickelte Theologie des „Haltes“, die nach ihrer Rückwirkung als „wertvoller Lernstoff für die Kirche von heute“ (58) fragt, steht gemeinsam mit einer Auslotung der Bedeutung von Festivalseelsorge für ein solches Aufbrechen aus den klassischen Umgebungsmustern der Theologie. Gemeinsam stellen sie sich den entscheidenden Fragen, die verhindern können, dass Theologie am Leben vorbei geht: Wo lasse ich meine gelernten Muster der Theorie von gelebten Erfahrungswelten modifizieren, wo wirkt diese Erfahrung zurück auf den Stil, die Inhalte und die vermeintlichen Ziele meines eigenes Theologietreibens?

Das dritte Kapitel „Vektoren“ erweitert vor diesem Hintergrund die gedanklich bereits begangenen Orte und fragt nach den Chancen und Konsequenzen der beobachteten Denkformen und Praktiken für den eigenen Bereich innerhalb der Theologie: So fordert der Besuch eines ehemaligen Fabrikgeländes, das heute völlig unterschiedliche Gewerbe und Angebote des Handwerks beherbergt, den Autor heraus, nach der spezifischen Form des Gemeinschaftsgefühles eines solchen Zusammenschlusses zu fragen. Seine Rückschlüsse für die grundsätzliche Zielrichtung einer Ekklesiologie münden in die Betonung der Relevanz theologischer Suche außerhalb kirchlicher Strukturen, denn:

„An jenen Orten können Theologie und Kirche überhaupt erst wieder spüren, welche Kraft das Evangelium freisetzen kann, und dürfen zeitgleich (fremd­)lernen, was es heißt, resonant und relevant ,Kirche’ zu sein“ (87).

Im abschließenden Kapitel „Flächen“ lösen sich die Autoren von den spezifischen Begrifflichkeiten Christian Bauers und entwickeln eigene ausgearbeitete theologische Ansätze. Die klare Konturierung eines theologischen Blickes auf das Konzept von Wertschätzung kann als ein konkretes Beispiel herausgegriffen werden, wie Schüler*innen Christian Bauers wiederum eigenständige Koordinaten ihrer theologischen Landschaft entwerfen. Dass dabei das geteilte Grundverständnis von Theologie als gemeinsame Melodie den Lehrer mit seinen Schüler*innen verbindet, verdeutlicht im ausgewählten Beitrag dieses Kapitels nicht zuletzt die Beschreibung von Wertschätzung als Fundament allen theologischen Arbeitens:

„Die transformative Kraft der Wertschätzung entfaltet sich in der Bereitschaft, den eigenen Blick zu weiten, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen und dadurch in der offenen Begegnung scheinbar unvereinbarer Positionen“ (131).

Die Grundlinien einer anderen Theologie

Als verbindendes Element zwischen den einzelnen Kapiteln hebt der Herausgeber eine zentrale Charakterisierung der versammelten theologischen Aufbrüche hervor: Sie orten Theologie anders. Was genau diese attraktive Andersartigkeit ausmacht, sei im Folgenden skizzenhaft anhand von zwei entscheidenden Punkten herausgestellt.

1. Theologie als Herausgerufene

Der explorative Ansatz von Christian Bauer ist ein Aufruf an theologische Abenteurer*innen. Er richtet sich an jene Theolog*innen, die keine Furcht davor verspüren, sicher Geglaubtes und bereits Erkanntes dem belebenden Risiko der vielfältigen Erfahrungswelten auszusetzen. In einer Zeit, in der die Kirche ihrer ureigensten Wesenseigenschaft als „ekklesia“, als „Herausgerufene“, nicht mehr entspricht, übernehmen junge Theolog*innen diese Aufgabe: Herausgerufen, am Leben der Menschen teilzunehmen. Anders ist dabei insbesondere der Stil des Theologietreibens, findet doch die immer offener zugestandene epistemische Demut hier ihre praktische Entsprechung im Sinne einer offenen Haltung, mit der eine junge Generation von Theolog*innen anderen Menschen, ihren Erfahrungen und Deutungshorizonten entgegentritt. Sie vertreten auf diese Weise eine Theologie, die nicht auf jede Frage eine Antwort haben muss, die nicht festschreibt, wie Menschen zu leben haben, bestenfalls jedoch einen freien Raum schafft, innerhalb dessen sich dieser Frage unvoreingenommen gewidmet werden kann. Maximilian Heuvelmann fasst dies in seinem Beitrag eindrücklich zusammen: „Die Begegnung mit Christian Bauer hat mich in die Freiheit des Fragens geführt“ (41). Herausgerufen, um das Leben zu befragen – denn nur so kann die Welt ein Teil der tentativen Antworten menschennaher Theologie werden.

2. Theologie als ganzheitliches Unterfangen

Das wahrscheinlich größte Verdienst des Herausgebers liegt nun jedoch in der Schaffung jener persönlichen Atmosphäre, die die vorliegende Festschrift im Besonderen auszeichnet. Und als persönlich zu kennzeichnen sind die einzelnen Beiträge dabei nicht nur, weil sie die gemeinsamen Verbindungslinien zu Christian Bauer nachzeichnen, sondern insbesondere auch, weil sie einer womöglich impliziten Einladung des Herausgebers nachkommen: Indem eine große Zahl der ausgewählten Autor*innen die Entstehung ihres Forschungsinteresses beschreiben, geben sie einen spannenden Einblick in jene zentralen Fragen wissenschaftlichen Arbeitens, die zumeist untrennbar mit der eigenen Biographie verbunden sind: Wie bin ich zu dem gekommen, was mich wissenschaftlich interessiert, welche persönlichen Motivationen waren leitend für mich und sind diese von meiner wissenschaftlicher Methode und Zielsetzung vollkommen zu trennen? Die Möglichkeit dieses Fragens erscheint wie ein Durchatmen inmitten eines auf Objektivität pochenden Wissenschaftsbetriebes, in dem die entscheidende Ausgangsfrage in der Biographie einer jeden forschenden Person keinen Platz zu haben scheint: „Aber über was möchtest du schreiben? Wofür brennst du?“ (71). Die Mehrzahl der in dieser Festschrift zusammengestellten Beiträge loten auf je eigene Weise das Verhältnis zwischen Theologie und eigener Biographie aus und decken in vielen Fällen auch die persönlichen Interessen der schreibenden Person an dem jeweiligen Thema auf. Ihre gemeinsame Stimme durchzieht die Festschrift: Es ist nicht unwissenschaftlich, wenn biographische Elemente in der eigenen Theologie auftauchen und ihren Platz suchen; unwissenschaftlich ist es lediglich, dies nicht in ehrlicher Weise zu reflektieren.

Die an dieser Stelle zur Lektüre empfohlene Festschrift zeichnet auf eindrückliche Weise 20 kleine Lebenswelten, die an mindestens einem entscheidenden Punkt zusammenkommen: in ihrer Verbindung zu Christian Bauer. Indem sich die einzelnen Theolog*innen diesen Knotenpunkt bewusst machen und in seiner Bedeutung für ihre (wissenschaftliche) Biographie würdigen, geben sie dem Geehrten auf besondere Weise einen Teil jener Vielfältigkeit zurück, die sein theologischer Stil schafft. Persönlicher kann ein solches Geschenk wohl kaum ausfallen.

Feige, Andreas (Hg.): Theologie anders orten. Aufbrüche einer jungen Generation von Theologinnen und Theologen. Würzburg: echter, 2023.

Hashtag der Woche: #andersorten


Beitragsbild / Buchcover: Stefan Weigand (wunderlichundweigand) / Verlag Echter

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dominik schlauß

studierte Katholische Theologie und Philosophie in Köln, Wien, Jerusalem und Bonn. Seit 2023 ist er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Biblische Theologie an der Universität Wuppertal und Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Exegese des Neuen Testamentes an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen tätig. Sein Dissertationsprojekt widmet sich Gerechtigkeitsdiskursen im Tritojesajabuch.

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