Wo steht die katholische Kirche in Deutschland nach Abschluss des Synodalen Wegs? Was motiviert zu einem optimistischen Blick in die Zukunft? Mirjam Lehmköster berichtet vom Vernetzungswochenende #KircheVonMorgen.

Bildet Banden“ ist der Leitsatz der Stunde. In Reformbewegungen prinzipiell, aber insbesondere unter Aufbruchsbegeisterten innerhalb der katholischen Kirche wird Bandenbildung und Vernetzung momentan großgeschrieben. Die Identifikation mit der Institution der römisch-katholischen Kirche in Deutschland schwindet zunehmend.1 Der Spagat zwischen Sehnsüchten, Vorstellungen und Bedürfnissen von Kirche und der täglichen Konfrontation mit der Realität wird für viele schwieriger bis nicht mehr aushaltbar.

Nach dem Ende des Synodalen Weges im März diesen Jahres, nach kleinen Fortschritten und großen Kompromissen einer Suchbewegung nach Erneuerung trafen sich im Mai junge Katholik*innen zwischen Anfang zwanzig und Mitte dreißig in Neckarzimmern, nahe Heidelberg, zum Vernetzungswochenende #KircheVonMorgen. Ziel war es, sich zu vernetzen und gemeinsam Visionen einer offenen und diskriminierungsarmen Kirche von Morgen zu entwickeln und zu überlegen, wie diese in den jeweiligen Tätigkeitsfeldern und Kontexten von Kirche verwirklicht werden könnte.

Das #KircheVonMorgen-Wochenende hat gezeigt, dass Vernetzung in Aufbruchsprozessen insbesondere wegen folgenden drei Gründen notwendig ist:

1. Vernetzung – sich des Netzes bewusst werden

Das Vernetzungswochenende startete mit einem Kennenlernen am Freitagnachmittag. Beim Kennenlernen trafen u.a. Mitglieder der Aktionsgruppen und Initiativen #OutInChurch, #WeilGottEsSoWill, #meinGottdiskriminiertnicht, offen.katholisch und Wir sind Kirche (Österreich) aufeinander. Wie erfrischend war es festzustellen, dass es eine gemeinsame Basis gibt. Alle Versammelten sind – teilweise über sieben Stunden aus Österreich – nach Neckarzimmern angereist, unzufrieden über das bedrückende Ohnmachtsgefühl, indem man Teil dieser Kirche ist, diskriminierende Strukturen mitzutragen. Zugleich jedoch angetrieben davon, dies zu verändern; motiviert, die Kirche zu einem Ort zu gestalten, an dem die Frohe Botschaft von Nächstenliebe und Gerechtigkeit wieder ernstgenommen und authentisch vertreten werden kann.

Anregend gingen die ersten Gespräche und Diskussionen über Kirche nicht mit der altbekannten Frage los, ob und inwiefern sich etwas ändern musste. Sondern alle waren sich einig: Es muss sich etwas ändern. Die Aufbruchsstimmung und das geteilte Anliegen, aktiv eine Kirche von Morgen zu gestalten, vereinte die Teilnehmenden. Beim Aufeinandertreffen wurde aufgetankt, Erfahrungen und Erkenntnisse ausgetauscht und Visionen geteilt. Dabei wurde deutlich, dass die Vorstellungen einer Kirche von Morgen dreierlei gemein haben:

  • -Den Wunsch nach einer Kirche für alle.
  • Die Besinnung auf Nächstenliebe als Fundament einer Kirche, jenseits übergestülpter Kategorien und Rollenerwartungen.
  • Die Konkretisierung einer alle inkludierenden Kirche in kirchlichen Rechten und der kirchlichen Praxis: Forderung nach Gleichberechtigung, Toleranz und Mitbestimmung.

Zu Beginn der Vernetzung entstand somit das Bewusstsein: Ich bin Teil einer Gruppe von Verbündeten. Als einzelne Knotenpunkte können wir uns zusammentun und ein starkes Netz werden, in dem wir an einem Strang ziehen und uns gegebenenfalls gegenseitig auffangen können.

2. Empowerment durch Vernetzung

Nach diesem ersten Austausch startete das Wochenende am Samstag mit verschiedenen Workshops rund um diejenigen Themen, welche den aktuellen kirchenpolitischen Diskurs um diskriminierende Strukturen der institutionellen Kirche bundesweit bestimmen:

Zwei eingeladene Referentinnen haben uns ihre unterschiedliche Herangehensweise an die Thematik Amt für Alle dargelegt. Monika Amlinger, eine zur Priesterin berufene Frau und Teil des Koordinationsteams des „Netzwerks Berufener Frauen*“, welches sich durch das Buch „Weil Gott es so will“2 gegründet hat, sprach über das Thema Berufung. Claudia Danzer, Mitbegründerin der kirchenpolitischen Initiative #meinGottdiskriminiertnicht, regte in ihrem Workshop zum Thema Amt für alle unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung an, das Priester(*innen)bild und den Begriff des Amtes grundlegend zu überdenken. Was macht ein*e Priester*in aus, wofür bzw. braucht es die Weiheämter und wenn ja, wie können die Begriffe inhaltlich neu gefüllt werden? Können wir nicht grundlegend über das Verständnis und begrenzte Definitionen solcher zentralen Begriffe diskutieren, welche Diskriminierungen und Machtgefälle produzieren?

Charlotte Küng-Bless, Seelsorgerin aus dem schweizerischen Bistum St. Gallen, sprach in ihrem Workshop über kirchlichen Ungehorsam und das Weiterdenken kirchenrechtlich festgelegter Verständnisse kirchlicher Begriffe, wie Amt, Priester etc. Ihre Erzählung über Erfahrungen mit ihrem Credo „Einfach machen“ bezüglich Handlungen, welche kirchenrechtlich geweihten Männern vorbehalten sind, zeigte auf, wie wirksam es sein kann, „einfach zu machen“ und Grenzen nicht zu akzeptieren.

Wie kann im liturgischen Kontext Selbstermächtigung geschehen – Liturgie bedürfnisgerecht, auch queer-feministisch gestaltet und gefeiert werden? Wie kann eine spirituelle Autonomie entwickelt und Gottesrede verwirklicht werden, welche nicht ausschließlich eine männliche ist? Raphaela Soden, Bildungsreferent*in im Erzbischöflichen Seelsorgeamt Freiburg und Gründungsmitglied von #OutInChurch, ging diesen Fragen mit den Workshopteilnehmenden nach.

Miki Herrlein, ebenfalls Bildungsreferent*in und Gründungsmitglied von #OutInChurch, stellte zudem in einem Workshop über die Initiative #OutInChurch dar, wie Vernetzung konkret umgesetzt und Ohnmachtsgefühle aufgebrochen werden können.

Der Samstag, das Empowerment der Vernetzung, lässt sich zusammenfassend als ein gegenseitiges Auffangen im neu geknüpften Netz beschreiben. Über geteilte Erfahrungen, das Erlernen neuer Methoden und Perspektivwechsel wurde sich gegenseitig bestärkt, Kompetenzen zugesprochen und Selbstwirksamkeit und -ermächtigung bezüglich spiritueller, kirchlicher sowie theologischer Fragestellungen erfahrbar gemacht. Aus einem anfänglichen Ohnmachtsgefühl erwuchs die Hoffnung auf Aufbruch durch das gemeinsame Netz. Der Samstagabend klang nach einem gemeinsamen Weiterdenken und Tüfteln an Ideen bis in den späten Abend aus.

3. Power durch Vernetzung

„Sich gegen die Ohnmacht zu stellen, heißt sich jetzt nicht mit den Ergebnissen des Synodalen Weges zufrieden zu geben und mit den Menschen weiterhin lautstark Kirche zu sein, die Mut machen und die jetzt der wahre Grund sind, weiterzumachen.“3

Daniela Ordowski, ehem. Mitglied der Synodalversammlung des Synodalen Weges, beschreibt so einen ihrer Workshops des Wochenendes und zugleich die Power, die durch Vernetzung entstehen kann. Stärke, die aus einem Zusammenschluss entsteht, wenn ein Kollektiv aktiv wird – wenn Banden gebildet werden. Sie verdeutlichte, dass das Abschaffen exkludierender Strukturen – so offensichtlich und banal wie es auch zu sein scheint – nur ein Zuwachs an Rechten für einige bedeutet, ohne dass ein Nachteil für andere entsteht.

Angeregt durch die Workshops wurde am Sonntag, dem letzten Tag des Wochenendes, gebrainstormt, wie die Stärke der neu entstandenen Vernetzung in konkreten Aktionen und längerfristigen Veränderungsprozessen umgesetzt werden kann. Deutlich wurde, dass bereits viele Initiativen, Gruppen und Aktionen bestehen. Durch die Vernetzung der vielen kleinen kann  eine große werden. Wie Daniela Ordowski in ihrem Workshop über kirchlichen Lobbyismus betonte, braucht es u.a. Einfluss, Öffentlichkeit und Druck, um Anliegen durchzusetzen. Durch vernetzte Gruppen, gemeinsamen Austausch und gebündelte Kräfte wächst eben dieser Einfluss und Druck – so kann aus Ohnmacht Aufbruch werden. Bildet also Banden und werdet dadurch handlungsfähig!

Wenn ihr Ideen einbringen möchtet oder an Treffen interessiert seid, dann meldet euch gerne unter kirchevonmorgen@mail.de. Das nächste größere Treffen in Live ist im Frühjahr 2024 geplant.

Hashtag der Woche: #bildetbanden


Beitragsbild: Mirjam Lehmköster

1 Deutsche Bischofskonferenz, Pressemeldung Nr. 105 vom 28.06.2023: Kirchenstatistik 2022. Online im Internet unter: https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/kirchenstatistik-2022 (abgerufen am 01.07.2023).

2 Rath, Philippa (Hg.), Weil Gott es so will. Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin, Freiburg 2021.

3 Ordowski, Daniela, Ausschreibung ihres Workshops „Gegen die Ohnmacht“ am 13.05.2023 im Rahmen des Vernetzungswochenendes #KircheVonMorgen.

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mirjam lehmköster

studiert Katholische Theologie und Biologie im Master of Education an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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