Nach coronabedingter Durststrecke fanden dieses Jahr die Salzburger Hochschulwochen wieder vor Ort und in vollem Umfang statt. Für y-nachten.de hat sich Florian Mayrhofer ins intellektuelle Getümmel geworfen und berichtet von der #smartensommerfrisch. Damit verabschieden wir uns in die Sommerpause.

„Wie geht es weiter?“ – Diese Frage stellten die Salzburger Hochschulwochen 2022 (SHW 2022) den Referent*innen und Teilnehmer*innen. Nach den letzten Jahren und Jahrzehnten, in denen eine Krise die nächste jagte, scheint die Frage nicht nur berechtigt, sondern dringender denn je zu sein. Lässt sich darauf denn wirklich eine abschließende Antwort geben? Man muss wohl oder übel bekennen: Nein! So meinte auch der Rektor der Universität Salzburg in seiner Eröffnungsrede, dass es in den kommenden Jahren vielmehr darum gehen wird, dass es auf eine ganz bestimmte Weise weiter gehen wird. Die Frage ist nur: wie?

Multiperspektivisch

Das Programm war dabei so angelegt, dass sich die thematische Vielfalt von der Zukunftsfrage von Religion, von Kirche, über die Wirtschaft, das Klima, von Medien bis hin zu Wissenschaft streckte. Natürlich konnte keine*r der jeweiligen Vortragenden abschließende Antworten auf die Frage liefern, wie es weitergeht. Sie zeigten jedoch unterschiedliche Möglichkeiten auf, wie unsere Welt in Zukunft gestaltet werden könnte. Denn es liegt auch an uns, wie unsere Zukunft aussehen wird und wir sollten diesen Handlungsspielraum nutzen! – So die Referent*innen unisono.

Wie geht es also weiter mit Religion und Kirche? Als Theologe interessiert mich dies besonders.

Religion(en) – Game over?

Empirische Einblicke zu dieser Frage lieferte der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack. Folgt man den Zahlen, so ließe sich zu dem Urteil kommen: Es ist um die Religion geschehen. Nicht nur der Kirchgang hat sich zwischen 1950 und 2015 von 52,4% auf 10,2% verringert. Der Rückgang der Mitgliedschaften, so Pollack, wird sich sogar noch beschleunigen, insbesondere dann, wenn ein Kipppunkt erreicht ist, der zu einer zusätzlichen Zunahme des Rückgangs beiträgt. Die Forscher*innen sind sich jedoch uneinig darüber ab welcher Zahl des Mitgliederschwundes dieser erreicht ist. Dass dies kein rein europäisches Phänomen ist, wie bisher meistens behauptet wurde, dürfte wohl viele überrascht haben.

Die Zahlen lassen allerdings kein anderes Urteil zu, als dass z.B. auch jenseits des atlantischen Ozeans in den USA das Phänomen der Entkirchlichung dramatisch zunimmt.

Entscheidend für den Rückgang institutionalisierter Religion sind jedoch nicht Kirchenaustritte, sondern die Mitgliedschaft der jeweiligen Generation. Je jünger die Generation, desto geringer der Grad der Mitgliedschaft. Bedeutet dies nicht auf lange Sicht: Game over für Religion?

Etwas Gutes im Schlechten?

Wenn also Formen institutionalisierter Religion, die bisweilen verbunden sind mit Strukturen der Unterdrückung, des (Macht)Missbrauchs und vielen anderen Formen moderner religiöser Knechtschaft, verschwinden, müssen wir da nicht sagen: Ja, G*tt sei Dank! Ist es nicht gut, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften ihre gesellschaftliche dominante Rolle stetig verlieren und der Mensch selbst und frei seine Form gelebter Religion leben darf?

(Wie) Geht Kirche weiter?

Einen exemplarischen Einblick in solche unterdrückende Formen gab die Erfurter katholische Dogmatikerin Julia Knop: In ihren Ausführungen skizzierte sie zwei konkurrierende Analyse-Perspektiven für Missbrauch in der Kirche, der ja den Ausgangspunkt für den Synodalen Weg bildet. Zum einen ist da die Perspektive, die Missbrauch innerhalb der Kirche als Fremdkörper wahrnimmt, aber die Ursachen für diesen Missbrauch nicht in den Strukturen selbst sieht. Missbrauch ist hier – um mit dem von Julia Knop verwendeten Bild zu sprechen – die Distel im Kornfeld, die es auszureißen gilt. Die andere Perspektive sieht Missbrauch jedoch in den Strukturen von Kirche selbst begründet und war auch die Grundlage für den 2019 gefassten Beschluss der Deutschen Bischofskonferenz, den Synodalen Weg zu starten. Hier ist Missbrauch nicht die Distel, sondern das Korn selbst ist erkrankt.

Der Priester als Gesamtpaket

Am Beispiel des Verständnisses des Priesters versuchte Julia Knop, begünstigende Strukturen für Missbrauch in der Kirche nachzuzeichnen, ohne dabei das Amt des Priesters selbst in Frage zu stellen. Julia Knop plädierte dafür, zwischen vier Dimension des Priesteramts zu unterscheiden. Zunächst sieht sie eine sakramentale Dimension, also die Ordination für ein bestimmtes Amt in der Kirche. Dann eine aufgabenbezogene Dimension, die bestimmte Kompetenzen, Qualifikationen und Zuständigkeiten bezeichnet. Drittens erkennt sie auch eine spirituelle Dimension, womit die Frage der Berufung gemeint ist, und schließlich eine kirchensoziologische Dimension, bei der der Kleriker als eigener Stand im System Kirche ausgewiesen und von den Lai*innen ausgesondert wird.

Genau hier, in dieser klerikalen Aussonderung, müsste laut Knop angesetzt zu werden.

Nur wenn das Priesteramt post-klerikal gedacht wird, wenn also Standesunterschiede keine destruktive Kraft in der Kirche zukommen können, besteht die Möglichkeit, dass das Priesteramt nicht mehr per se Missbrauchsstrukturen begünstigt.

Ungewisser Ausgang

Es geht jedoch nicht nur um den Verlust des Einflussbereichs institutionalisierter Religion. Auch der Glaube an G*tt schwächt sich ab. Detlef Pollack zeichnete nach, dass dabei die dominante Gruppe einer Gesellschaft eine Sogwirkung entwickelt, die dazu führt, dass bei einer konfessionslosen Mehrheit in der Bevölkerung auch das Bekenntnis an den G*ttesglauben schwindet. Zudem lässt sich ein Zusammenhang zwischen der jeweiligen G*ttesvorstellung und dem Einfluss von Religion und Lebensführung nachweisen: Ein personales G*ttesbild, wie es z.B. das Christentum vertritt, führt dazu, dass Religion größeren Einfluss auf die Lebensführung der Menschen hat. Doch der personale G*tt muss immer häufiger unpersönlichen Vorstellungen eines höheren Wesens oder einer höheren Macht weichen. Damit gehen eine sinkende Verbindlichkeit und eine größer werdende Irrelevanz von Religion für das eigene Leben einher. Es ist also nicht ausgemacht, wodurch die schwindende Religion und Religiosität ersetzt wird. Auch in neuen bzw. anderen Formen von Religiosität können unterdrückende Strukturen und Mechanismen verborgen liegen.

Wie soll es weitergehen?

Wie also Religion und G*ttesglaube retten? Es war interessant zu beobachten, dass sich in der Diskussion der beiden Referent*innen zwei Pole zur Lösung zeigten. Detlef Pollack plädierte (hier als evangelischer Theologe) dafür, dass sich Kirche auf katechetische Erziehung bzw. die größere Einbeziehung von Eltern in religiöser Bildung stützen müsste und räumte der Transzendenz einen Vorrang ein. Dies tat er mit Verweis auf die Kernaufgabe von Religion, Transzendenz in der Immanenz erfahrbar zu machen. Zudem wiederholte er seine Interpretation der empirischen Ergebnisse, die religiöse Erziehung und Sozialisation als einziges Mittel für eine Stabilisierung von Religion und Gottesglauben sieht. Julia Knop sieht die Zukunft in einer Kirche, die offen ist für Veränderungen in der Lehre und der Struktur, die weniger Autorität und mehr Debatte erfordert.

Fragen über Fragen

Hier ergeben sich meiner Meinung nach folgende Anfragen: Braucht es also nur mehr ‚bessere‘ religiöser Erziehung und mehr ‚Heiliges‘ im Profanen?

Oder liegt die Lösung vielmehr darin, als Christ*innen mit einer dynamisch verfassten Kirche umgehen zu lernen?

Dies erfordert dann die „Ausbildung religiöser Urteilskraft“1. Mit der Wiener Religionspädagogin Andrea Lehner-Hartmann gesprochen umfasst dies die Fähigkeit sich selbständig ein Urteil darüber zu bilden, „ob religiöse Traditionen und Praktiken dem Menschsein mit seinen Grenzerfahrungen und Ambivalenzen gerecht werden, die menschliche Realität nicht ernstnehmen und ideologisch oder illusionär verschleiern oder gar zur psychischen Aufrüstung missbraucht werden, um Menschen für andere Zwecke gefügig zu machen, […].“2

Mit diesen Gedanken schicken wir euch und uns in die Sommerpause; bis Ende August erscheint kein regelmäßiger Artikel am Montag. Wir bedanken uns für eure Treue, euer kritisches Feedback und euer Interesse. Wie geht es weiter? Das wissen natürlich auch wir nicht. Was wir allerdings wissen: y-nachten.de kehrt nach der Sommerpause in alter Frische wieder und bemüht sich um Antworten auf diese und andere Fragen! Bis dahin: Erholt euch gut und vergesst nicht das „Y“ im Leben!

Hashtag: #SHW22


1 Lehner-Hartmann, Andrea (2014). Religiöses Lernen: Subjektive Theorien von ReligionslehrerInnen. Stuttgart: Kohlhammer, 34.

2 Ebd.


Beitragsbild: Andrew Varnum on Unsplash

Print Friendly, PDF & Email

florian mayrhofer (er/ihn)

studierte katholische Theologie und Lehramt Französisch/Katholische Religion in Wien, Eichstätt und Lyon. Er war Universitätsassistent (prae doc) am Institut für Praktische Theologie der Uni Wien und arbeitet derzeit als wissenschaftlicher Koordinator an der Professur für Religionspädagogik und Mediendidaktik der Goethe-Uni Frankfurt. Er promoviert im Fach Religionspädagogik zum Thema des 'Digital Storytelling' in religiöser Bildung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und bin mit dem Speichern der angegebenen Daten einverstanden: