Am 28. Juli war Earth Overshoot Day 2022, den Rest des Jahres lebt die Menschheit auf Pump. Die Klimakrise ist und bleibt eine der drängenden Herausforderungen unserer Zeit. Dr. Reinhold John leitet die Diözesanstelle für Schöpfung und Umwelt im Erzbistum Freiburg. Er beantwortet unsere Fragen zur Aussicht auf eine klimaneutrale Kirche.

y-nachten.de: Lieber Herr Dr. John, fangen wir bei den Basics an: Warum ist Klimaschutz eine genuine Aufgabe der Kirche(n)? 

Dr. Reinhold John: Der Erhalt der Schöpfung ist für die römisch-katholische Kirche insbesondere seit den Enzykliken „Laudato si“ und „Fratelli tutti“ sowie der sogenannten „Amazonas-Synode“ ein wichtigerer Auftrag denn je. Themen der Ökologie spielen innerkirchlich – wie bei den evangelischen Kirchen – jedoch seit den 1970er Jahren eine große Rolle, nicht zuletzt im Rahmen der „Theologie der Befreiung“. Kirche trägt eine besondere Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung, sie sollte in vielen Fragen des Zusammenlebens eine Vorreiterrolle haben und Vorbild für viele Menschen sein. Klimagerechtigkeit ist eine wichtige christliche Frage und auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Kirche muss sich in besonderem Maße um die Vorsorge für kommende Generationen kümmern.

y-nachten.de: Welche Rolle spielen im Kontext der Kirchen Argumente wie die „Bewahrung der Schöpfung“ oder, für den Katholizismus, dass Papst Franziskus sich bereits 2015 in „Laudato Si“ für einen sozioökologischen Wandel ausgesprochen hat? Zugespitzt: Braucht es solche Überlegungen, wenn doch die Fakten so offen auf dem Tisch liegen?

Dr. Reinhold John: Bisweilen werden die Fakten nicht von allen anerkannt, viele verdrängen auch aus Selbstschutz, Unfähigkeit und Bequemlichkeit die Wahrheiten zum menschengemachten Klimawandel und zur ökologischen Krise. Der Auftrag von Papst Franziskus wird von vielen ernst genommen und hat dadurch Gewicht – auch bei Führungspersonen und Vorbildern in kirchlichen Kreisen. Die Verbindung von christlicher Mission und Klimaschutz ist eindeutig, der Gedanke zur Sorge um das eine, gemeinsame Haus ist eine Absage an die Abgrenzung zwischen Reich und Arm. Damit ist die Klimagerechtigkeit ein wichtiger Aspekt einer weltweit tätigen Kirche.

y-nachten.de: Welche besonderen Chancen, aber auch welche Hindernisse bietet das System katholische Kirche auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Dr. Reinhold John: Kirchen können – noch – viele Menschen ansprechen und erreichen. Landeskirchen und Bistümer verfügen über viele eigene Immobilien, aber auch Land im Bereich der Land- und Forstwirtschaft. Hier kann durch klimafreundliche Renovierung, Verbot fossiler Energien in Heizanlagen, Aufrüstung mit Photovoltaik und Solarthermie viel Gutes unmittelbar eigenverantwortlich geleistet werden. Kirchenwald kann als Senke für Treibhausgase verstanden werden, wenn längere Umtriebszeiten angestrebt werden und das Holz nicht der thermischen Verwertung zugeführt wird, sondern primär für das Bauen verwendet wird. 

y-nachten.de: Kommen wir zur konkreten Situation, in der Sie tätig sind: Worin bestehen die klimapolitischen Ziele des Erzbistums Freiburg? Mit welchen Mitteln sollen sie erreicht werden?

Dr. Reinhold John: Ein Klimaschutzkonzept aus dem Jahr 2021 zeigt die Möglichkeiten für das Erzbistum Freiburg auf, bis zum Jahr 2030 treibhausgasneutral zu werden. Dieses ehrgeizige Ziel ist aber nur dann zu erreichen, wenn alle Maßnahmen sofort vollumfänglich umgesetzt werden. Da dies aus personellen, finanziellen und strukturellen Gründen nicht möglich ist, werden noch ein paar Jahre mehr vergehen, bis das Ziel tatsächlich erreicht wird. 47 Maßnahmen in den Bereichen Gebäude und Energie, Mobilität, Beschaffung und Bildung sind die Werkzeuge für die praktische Umsetzung. Mitarbeiter*innen der Diözesanstelle für Schöpfung und Umwelt und eine gleichnamige erzbischöfliche Kommission sind Motoren für die strategische Klimaschutzpolitik. Sie sind zudem Motivator, Kontrollinstanz und Berichterstatter. Wesentliche Maßnahmen sind die Entwicklung von Richtlinien für klimaschonendes Bauen und Sanieren, die Installation von Photovoltaik auf kirchlichen Immobilien in großem Maßstab, der Ausbau der Elektro-Mobilität und die Umsetzung der fair.nah.logisch-Initiative in Kirchengemeinden und Einrichtungen. Darüber hinaus werden im Rahmen der Umsetzung einer Gebäudekonzeption auch eine Reihe von Immobilien aufgeben. Diese werden dann nicht mehr auf die kirchliche THG-Bilanz angerechnet.

y-nachten.de: Gehen wir gerne noch mehr ins Detail: Wie sieht denn die Vision einer klimaneutralen Kirche aus? Sie sprachen schon von Solarpanels auf Kirchendächern. Liegen auch Möglichkeiten in der Gebäudesanierung oder in den Finanzanlagen z. B. im Divestment von Geldanlagen im Bereich Kohle, Gas und Öl?

Dr. Reinhold John: Die Diözesanstrategie des Erzbistums Freiburg umfasst 13 strategische Ziele. Ziel Nr. 9 sagt: „Als Erzdiözese verstärken wir unser Engagement zur Bewahrung der Schöpfung.“ Und das Ziel Nr. 13 wird konkreter: „Als Erzdiözese setzen wir unsere personellen, finanziellen und baulichen Ressourcen gemäß der Diözesanstrategie ein und priorisieren regelmäßig unsere Aufgaben. Wir verwalten unser Vermögen unter Einhaltung ethisch nachhaltiger Anlagekriterien im Sinne der katholischen Soziallehre und der Bewahrung der Schöpfung“. Ein Bistum mit einer ausgewogenen Treibhausgasneutralität hat das ganze Spektrum der Themen vor Augen: ertüchtigte Immobilien, ein angepasster Immobilienbestand, Klimastabile Wälder, ökologische bzw. biologische Bewirtschaftung der Ländereien, eine fair.nah.logische Beschaffung und eine sinnvolle Geldanlage nach „fossil free“ Kriterien. Alle diese Aspekte beachten wir gleichzeitig.

y-nachten.de: In Sachen Klimaschutz macht sich manchmal ein Gefühl der Resignation breit, denn im globalen Vergleich macht das persönliche Engagement ja nur „Peanuts“ aus. Können Sie hier eine Hoffnungsperspektive bieten?

Dr. Reinhold John: Wenn ein Mädchen durch einen Schulstreik solch eine Bewegung wie Fridays for future auslösen konnte, was könnten dann Erwachsene mit viel mehr Einfluss und Macht erst erreichen?

y-nachten.de: Zum Abschluss: Was kann denn jede*r selbst tun, um der Klimaneutralität zuzuarbeiten? Und welche Tipps haben Sie für Gemeinden, Verbände etc.?

Dr. Reinhold John: Ich nenne ein paar Stichworte: Möglichkeiten liegen z.B. im Stromanbieterwechsel, im Verändern des Mobilitätsverhaltens – weg vom Auto, hin zum Fahrrad, keine Kurzstreckenflüge; davon, die Macht des Konsumverhaltens zu nutzen: regional-biologisch einzukaufen, Fleischkonsum zu reduzieren, den Kleiderkauf einzuschränken oder second-hand Kleider zu kaufen, auch Kleider zu tauschen; die Nutzung von elektronischen Geräten kann man einschränken oder überdenken (PC, Tablet, Waschmaschine, Trockner!) und auf energiesparende Geräte umstellen; man kann Verpackungsmaterial vermeiden und z.B. selbst kochen oder Kosmetik selbst herstellen; und schließlich: Heizungen nach unten regulieren und sich wärmer anziehen. Gerade Letzteres gilt auch für die Gemeinden. Sie können zusätzlich ihre Beschaffung auf ökologisch und regional umstellen oder den Ausbau regenerativer Energien ermöglichen.

Hashtag: #EarthOvershootDay


Das Interview führten Claudia Danzer und Franca Spies.

(Beitragsbild: @jasmin_sessler)

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dr. reinhold john

ist promovierter Biologe. Sein Studium absolvierte er in Münster, Freiburg und Greifswald; längere Auslandsaufenthalte verbrachte er in Bénin, Westafrika und Zentralasien (Kirgistan, Kasachstan). 18 Jahre lang war er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forstverwaltung Baden-Württemberg; zwischendurch war er als selbständiger Fachgutachter (Naturschutz und Landschaftspflege) tätig. Nun leitet er die Diözesanstelle für Schöpfung und Umwelt in der Erzdiözese Freiburg und ist Mitglied im Aufsichtsrat der KSE Energie GmbH.

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