Was kann Theologie von „Feministischer Theorie in Asien, Afrika und Lateinamerika“ lernen? Über das Buch und noch vieles mehr hat Florian Mayrhofer für y-nachten.de mit Magdalena Kraus, einer der drei Autorinnen, gesprochen.

y-nachten: „Feministische Theorie in Asien, Afrika und Lateinamerika“ heißt das Buch, an dem du mitgeschrieben hast. Kannst du unseren Leser*innen kurz erklären, warum es dieses Buch eigentlich gibt?

Magdalena: Im deutschen Sprachraum gab es noch nichts Vergleichbares, was sich mit feministischer Theorie außerhalb Europas bzw. des Westens einführend auseinandergesetzt hatte. Dabei konnten wir natürlich nicht alle Facetten abdecken. Wir wollten einen Überblick geben und z.B. auch Texte, die wie im Fall Lateinamerikas noch nicht übersetzt waren, zugänglich machen. Das Buch ist als Einführung für Leute konzipiert, die sich bisher wenig mit Feministischer Theorie beschäftigt haben. Aufgrund der Kürze haben queere Perspektiven aus anderen Regionen leider keinen Platz mehr im Buch gefunden. Die sollten in einem Erweiterungsband auf alle Fälle mit hineingenommen werden.

y-nachten: Wer ist „Wir“?

Magdalena: Wir, das sind drei Autorinnen, die sich in unterschiedlichen Bereichen schon länger mit Feministischer Theorie beschäftigen. Anke Graneß und Martina Kopf haben das Buch konzipiert und mich eingeladen das Kapitel für Lateinamerika zu übernehmen. Vor diesem Hintergrund ist dann auch die Textauswahl entstanden, die natürlich mit unseren Kenntnissen und Interessen zu tun hat. Wir erheben mit dem Buch daher auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

y-nachten: Was eint die verschiedenen Zugänge?

Magdalena: Die Frage, was die verschiedenen Theorien eint, haben wir uns im Schreibprozess immer wieder auch selbst gestellt. Denn es kommen Theoretikerinnen vor, die ganz klar von sich sagen, sie seien keine Feministinnen. Zum Beispiel der Womanism oder die Mujeristas – in den USA lebende Latinas – würden da dazugehören. Aber auch im afrikanischen Feminismus gibt es Strömungen, die Feminismus als etwas Westliches, als Theorie von weißen Frauen wahrnehmen und sich daher bewusst abgrenzen. Nichtsdestotrotz haben sich vielfach in dieser Abgrenzung eigene Theorien und Praktiken entwickelt, die sich für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung von Frauen und für Frauenrechte einsetzen.

y-nachten: Aber ist Feminismus eine Theorie des Westens?

Magdalena: Das, was klassisch mit Feminismus assoziiert wird, ist im sogenannten Westen in verschiedenen Wellen entstanden. Das wird von außen so gesehen bzw. beschreibt sich Feminismus auch selbst so. Dass sich Frauen für alle möglichen Anliegen organisiert und eingesetzt haben – seien es antikoloniale Anliegen, Anliegen gegen patriarchale Strukturen usw. – gab es lange vor dem klassischen Feminismus, wie wir ihn heute kennen. Für Lateinamerika kann ich sagen, dass die Geschlechterhierarchien vor der Kolonialisierung ganz anders waren und es auch starke Frauenfiguren gab. Und darüber hinaus gab es auch andere Geschlechterkategorien bzw. hat Geschlecht, so wie wir es kennen, gar keine so große Rolle gespielt. Da besteht natürlich die Gefahr der Romantisierung und darauf haben wir im Buch auch immer wieder hingewiesen.

y-nachten.de: Welche Rolle spielt in eurem Buch postkoloniales Denken?

Magdalena: Die meisten Kapitel des Buches sind im weitesten Sinn von postkolonialen Theorien durchzogen. Das wird insbesondere im Begriff der Intersektionalität deutlich. Er beschreibt, dass die meisten nicht weißen Frauen Erfahrungen der Unterdrückung gemacht haben, bei denen die Kategorie Frau mit anderen Kategorien zusammenwirkten. Weil also die Subjekte andere als im weißen Feminismus sind, ist es klar, dass Feminismus immer auch post- und dekoloniale Anliegen mitträgt, weil Ungleichheitskategorien wie Race, Klasse, Sexualität, Religion mitthematisiert werden und werden müssen. Weißer, westlicher Feminismus hatte das lange Zeit übersehen. Das ist auch ein starker Kritikpunkt an diesem durch die Perspektiven aus Afrika, Asien und Lateinamerika.

y-nachten.de: Im Buch gibt es ein eigenes Kapitel zum ‚Islam‘. Warum habt ihr gerade diese Religion besonders hervorgehoben?

Anke Graneß, Martina Kopf und Magdalena Kraus: Feministische Theorie aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Eine Einführung, Facultas Verlag 2019, (ISBN: 9783825251376), 323 Seiten.

Magdalena: Das Buch ist aus der Lehrveranstaltung „Interkulturelle Feministische Theorie“ hervorgegangen. Wir haben damals auch Texte von Autorinnen gelesen, die sich selbst als Theologinnen verstehen und daher mit Gott argumentieren. Und das im universitären Kontext der Sozial- und Kulturwissenschaften. Da ist es natürlich hoch hergegangen und es kamen Meldungen wie „Die kann doch nicht mit Gott argumentieren!“ Ich habe richtig das Unbehagen bei manchen gespürt. Es war im Übrigen auch das erste Mal, dass ich meinen Glauben, der bis dahin etwas Persönliches war, mit meinem wissenschaftlichen Arbeiten in Verbindung gebracht habe. Als sich eine Kollegin als Protestantin ‚outete‘, war das der Moment, in dem auch ich mich zum ersten Mal als Katholikin ‚geoutet‘ habe. Das wusste an der Universität ja niemand. Das war ein Schlüsselerlebnis. Ich muss auch zugeben, dass mir damals Feministische Theologie kein Begriff war und erst in der Auseinandersetzung mit dem Islam zur Sprache kam. Ich denke, dass es gerade bei Feministischer Theorie auch eine gewisse Distanz und Unsicherheit gibt.

y-nachten.de: Zum Beispiel?

Magdalena: Zum Beispiel wird im Ökofeminismus von einigen Vertreterinnen auch mit Schöpfungsgerechtigkeit argumentiert. Hier kann Religion nicht mehr ausgespart werden, auch wenn das lange Zeit der Fall war. Vielleicht aufgrund einer gewissen Sprachlosigkeit oder weil Religion als Relikt der Vergangenheit angesehen wurde. Diese These wird vielfach weder benannt noch hinterfragt, weswegen gewisse Dinge auch gar nicht gelesen und thematisiert werden. Aber sobald wir den Blick raus aus Westeuropa wenden, ist das im Grunde nicht möglich. Und um auf den Islam noch einmal zurückzukommen: Da hatte ich oft das Gefühl, die Beschäftigung mit dem Anderen und Fremden ist oftmals einfacher als mit dem Eigenen.

y-nachten.de: Was bringt Theolog*innen jetzt die Auseinandersetzung mit Feministischer Theorie? Warum sollten sie euer Buch lesen?

Magdalena: Ich verfolge natürlich nicht die Diskussion innerhalb der Theologie. Aber man könnte schon fragen: Inwiefern kommt Feministische Theorie im Theologiestudium vor? Ich glaube auch, dass sich Kirchen, Religionen und Theologie heute mit feministischen Fragestellungen, die ja sämtliche Frauenrechte betreffen, abzuarbeiten haben. Und dafür kann dieses Buch sicherlich Anstöße geben. Zudem hört man ja oft von den vielen Fortschritten innerhalb der westlichen katholischen Kirche, bei denen die anderen Regionen der Welt nicht mitziehen würden. Das mag vielleicht sein, aber es ist eben auch wichtig zu sehen, dass es auch dort gewisse Denkströmungen und Aufbrüche gibt. Die sind natürlich nicht problemfrei, wenn da zum Beispiel Homosexualität negiert oder Muttersein als natürlicher Bestandteil des Frauseins charakterisiert wird.

y-nachten.de: Was war für dich bei diesem Buch denk-würdig? Was hat dich überrascht?

Magdalena: Für mich war besonders die Schwierigkeit der Übersetzung spannend. Von lateinamerikanischer Theorie ist wirklich wenig ins Deutsche übersetzt. Das war schon sehr aufwändig. Ich musste oft Rückfragen stellen, ob meine Übersetzung auch wirklich adäquat sei. Insofern ist es auch logisch, dass es bei der Übersetzung von Sprachen, die ein komplett anders Sprachsystem als das Deutsche haben, oft Fehlinterpretationen rauskommen. Das war in der Kolonialzeit der Fall, wo z.B. Mann und Frau rauskommt für Begriffe, die vielleicht nicht das Äquivalent sind. Außerdem hat mich die Frage beschäftigt, ob wir drei weiße Autorinnen in Wien überhaupt so ein Buch schreiben können oder dürfen. Haben wir die Berechtigung?

y-nachten.de: Und wie ist deine Antwort?

Magdalena: Ich sehe es als Übersetzungsarbeit an. Mir war wichtig die Ideen zugänglich zu machen, ohne dabei den Anspruch zu erheben, für andere zu sprechen. Außerdem ist mir wichtig an dem Wunsch, dem Ideal und dem Ziel eines solidarischen Miteinanders festzuhalten.

 

Hashtag: #FeminismusRulez


Das Interview führte Florian Mayrhofer für y-nachten.de.

Bild: Miguel Bruna / Unsplash

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magdalena kraus

promoviert im Bereich Internationale Entwicklung an der Universität Wien zum Zusammenhang von Religion und der Kritik an Ungleichheitsverhältnissen in Peru mit Fokus auf populare Religiosität. Ihre Forschungsschwerpunkte sind dekoloniale und feministische Theorien sowie lateinamerikanische und interkulturelle Philosophie.

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