Schon einmal über Cyborgs, Kryonik und Kybernetik nachgedacht? Anna Puzio hat das in ihrer Dissertation zum Thema Transhumanismus getan, in welcher sie Einblicke in die technischen Wunschvorstellungen einer transhumanistischen Anthropologie gibt. Katharina Mairinger hat sich für y-nachten einen Überblick über das Buch verschafft.

Welche impliziten anthropologischen Annahmen liegen einer Theorie voraus, die behauptet, der Mensch könne durch technische Modifizierung derart verbessert werden, dass er sich selbst übersteigt? Das ist die Frage, welche Anna Puzio am Beginn ihrer Dissertation einführt. Angeregt wird diese Fragestellung durch die wachsende Begeisterung verschiedenster Theoretiker*innen, welche – von großem Fortschrittsoptimismus geprägt – eine neue Ära des Menschseins begründen wollen, die einer quasi-religiösen Vorstellung des Paradieses gleicht. Schmerz, Unglück und selbst der Tod seien dieser Denkform zufolge defizitäre Zustände des Menschseins, die sich schon bald überwinden ließen. Technik scheint dabei der maßgebliche Schlüssel zu sein, der nicht nur zur Verbesserung, sondern zur allmählichen Substitution des Menschlichen führen soll. Inwiefern dies für eine Anthropologie erstrebenswert ist, wird anhand der leitenden Forschungsfrage erarbeitet:

„Ziel der Untersuchung ist es, das transhumanistische Menschen- und Körperverständnis kritisch zu prüfen und zu ermitteln, ob sich dieses für eine Weiterentwicklung der Anthropologie vor dem Hintergrund moderner Technologien eignet.“ (S. 17).

Teile der Dissertation: Transhumanismus – Menschenverständnis – Anthropologie 2.0

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil Transhumanismus widmet sich einer Darstellung der transhumanistischen Bewegung, erläutert deren Entstehungskontext, Hauptvertreter*innen, Begrifflichkeiten und Zielsetzungen. Der zweite Teil Das Menschenverständnis des Transhumanismus diskutiert das Menschen- und Körperverständnis des Transhumanismus vor dem Hintergrund maßgeblicher Ideengeber*innen, Diskurse und Zielsetzungen transhumanistischer Transformationen, konkretisiert das Menschenverständnis als Anthropologie der Information (vgl. S. 253) und macht auf ideologische Elemente der transhumanistischen Bewegung aufmerksam. Der dritte und kürzeste Teil der Arbeit Anthropologie 2.0 versucht herauszuarbeiten, welche Möglichkeiten der Transhumanismus bietet, eine Anthropologie weiterzuentwickeln. Im Fortgang der Analysen wird relativ schnell deutlich, dass sich im Unterschied zum kritischen Posthumanismus[1] beim Transhumanismus selbst keine brauchbaren Anknüpfungspunkte finden lassen, eine tragfähige Anthropologie weiterzuentwickeln. Das ist auch der Grund dafür, dass im dritten Teil den Transhumanismus „als Diskussionsgrundlage verlassen wurde“ (S. 351), weil der Transhumanismus nicht einmal eine „menschenbejahende Grundhaltung“ (S. 351) aufweisen kann.

Kritik am transhumanistischen Menschen- und Körperverständnis

Puzio nimmt die Leser*innen mit in eine Welt, die mit religiöser Semantik und Motivik arbeitet (vgl. S. 53) und gleichzeitig dem Science-Fiction-Genre ähnelt. Mit der Faszination dafür bricht sie allerdings immer wieder durch ihre scharfen und kritischen Beobachtungen im Bereich der Anthropologie, die auf folgende Kritikpunkte hinauslaufen: Erstens sieht sie im Transhumanismus „ein essentialistisches Menschenverständnis“ (S. 233), das pathologisierende und diskriminierende Elemente enthält[2], zweitens, ein damit im Zusammenhang stehendes deterministisches und „reduktionistisches Menschenverständnis“ (S. 227), welches davon ausgeht, dass sämtliche menschliche Vorgänge, subjektives Erleben, wie auch genetische Anlagen wie technische Informationen dekodiert, gesteuert und kontrolliert werden können, und drittens, ein dualistisches Menschenverständnis (vgl. S. 229), welches dem Gehirn und kognitiven Prozessen einen uneinholbaren Vorrang gegenüber der körperlichen Verfasstheit des Menschen einräumt. Der Körper wird somit als von der Technik substituierbar gedacht, wodurch es zu einer Verdinglichung des Mentalen kommt. Damit verbinden sich weitere Kritikpunkte, wie die mangelnde Berücksichtigung von Kontingenz, sozialer Relationalität, Vulnerabilität (vgl. S. 242-243) und Embodiment (vgl. S. 259). Gerade theologischen Anthropologien müssten diese anthropologischen Annahmen des Transhumanismus ein Dorn im Auge sein.

Potentiale des kritischen Posthumanismus

Schwerpunkt der Arbeit ist vor allem die kritische Diskussion des Transhumanismus, jedoch dienen die Erkenntnisse letztlich nicht der spannungsvoll erwarteten Entwicklung einer techniksensiblen Anthropologie im Anschluss an den Transhumanismus. Das liegt zum einen daran, dass Puzio – wie schon erwähnt – im Verlauf der Untersuchungen zum Schluss kommt, dass sich aus dem Transhumanismus keine zukunftsfähige Anthropologie entwickeln lässt, zum anderen daran, dass sie sich dagegen wehrt, auf „externe Maßstäbe oder Kriterien“ (S. 17) für die philosophisch-ethische Beurteilung des transhumanistischen Gedankenguts zurückzugreifen. Die Kritik von innen heraus scheint aber gerade für das Vorhaben einer Weiterentwicklung problematisch, da bereits zu Beginn festgestellt wird, dass der Transhumanismus lediglich „anthropologische Annahmen“ (S. 12) aber keine „festgelegte, systematische Lehre oder Theorie über den Menschen“ (S. 13) entwirft.

Möglicherweise wären die Untersuchungen zu einem anderen Ergebnis gekommen, wenn die von ihr erarbeitete immanente Kritik für eine Entwicklung dessen genutzt worden wären, wie eine Anthropologie vor dem Hintergrund moderner Technologien nicht sein soll. Denn auch ex negativo lässt sich einiges für die Zukunft schließen. Der relativ abrupte Wechsel zum kritischen Posthumanismus gegen Ende deutet die angedachten Weiterentwicklungen einer techniksensiblen Anthropologie dann leider nur noch skizzenhaft an. So darf man gespannt auf mehr hoffen, denn insgesamt gibt es wohl kaum ein Werk, das einem die Grenzen transhumanistischer Menschen- und Körperbilder so differenziert veranschaulicht wie das vorliegende. Im Unterschied zum Transhumanismus scheinen die Potentiale des kritischen Posthumanismus also sowohl philosophisch als auch theologisch noch längst nicht ausgeschöpft.

Hashtag der Woche: #transhumanismus


(Beitragsbild: Tumisu)

Puzio, Anna: Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus. Bielefeld: transcript 2022.

[1] Puzio macht hier eine wichtige Unterscheidung geltend: Die Eigenart des kritischen Posthumanismus besteht darin, nicht die menschliche Spezies ersetzen zu wollen, sondern das seitens seiner humanistisch bezeichnete Menschenverständnis, das gegenwärtigen philosophischen Theorien zugrunde liege. Transformationen des Menschlichen stehen im kritischen Posthumanismus insofern in der Kritik, als sie ethischer Reflexionen und damit Gerechtigkeitsfragen entbehren. Damit wird der emanzipativen Charakter des kritischen Posthumanismus im Unterschied zum Transhumanismus deutlich (vgl. S. 329-330).

[2] Transhumanist*innen betrachten die derzeitige Evolutionsstufe des Menschen grundsätzlich als degenerativ und anfällig für Krankheiten. Vor diesem Hintergrund streben sie eine „‘post-Darwinian-Era‘“(S. 131) an.

Der Redaktion wurde von Seiten des Verlags ein Exemplar des Buches zur Rezension zur Verfügung gestellt.

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katharina mairinger-immisch

studierte deutsche und französische Philologie sowie katholische Theologie in Wien und war eineinhalb Jahre als Gymnasiallehrerin in Oberösterreich tätig. Von 2018-2021 war sie Prae-doc-Assistentin und Doktorandin am Fachbereich Theologische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, wo sie zum Thema Intergeschlechtlichkeit promoviert. Seit September 2021 arbeitet sie als Gymnasiallehrerin in Baden-Württemberg. Seit 2020 ist sie Teil der Redaktion von y-nachten.de.

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