Welche Herausforderungen stellen sich angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation für den Religionsunterricht? Elisabeth Fock geht dieser Frage nach und plädiert für einen ökumenisch profilierten Religionsunterricht. 

Die derzeitige Kriegssituation in Europa scheint wie auch die Coronakrise bereits bestehende Problematiken wie unter einem Brennglas zu verschärfen – auch im Bildungssektor. Die ankommenden ukrainischen Kinder und Jugendliche nehmen zwar mittlerweile am Schulunterricht teil; wo sie aber ihren genuinen Platz als mehrheitlich orthodoxe Christ:innen im Religionsunterricht finden können, ist damit noch lange nicht geklärt. Letztendlich wird damit die bestehende Gestalt des konfessionellen Religionsunterrichtes, wie wir ihn in Baden-Württemberg kennen, kritisch angefragt. Wie kann ein Ökumenisches Lernen aussehen, das zum einen den Besonderheiten der einzelnen Konfessionen gerecht wird und zum anderen die Gemeinsamkeiten des christlichen Horizontes zur Geltung bringt? Nun darf zurecht angemerkt werden, dass angesichts konfessioneller Indifferenz von Jugendlichen, der gesamtgesellschaftlichen Zunahme der Konfessionslosen und der Pluralisierung von Religionen in Deutschland der Problemhorizont viel weiter gespannt werden muss, also auf die große Ökumene aller Religionen. Hier meine ich, dass die kleine Ökumene des Christentums Lernort werden kann, „die brennenden, aber schier unbewältigbaren Fragen des Religionsplurals anzugehen.“1

Theologische Perspektivierung – Ringen um die Einheit

Betrachtet man die gegenwärtigen Bestimmungen für die Teilnahme am konfessionellen Religionsunterricht, so könnte schnell der Eindruck entstehen, dass es hier um konfessionelle Bestandswahrung ginge; ökumenische Bemühungen finden sich nur wenige.2 Im Vergleich dazu scheinen von theologischer Seite aus die nötigen Grundsteine bereits durch das 2. Vatikanische Konzil gelegt, die nun didaktisch umgesetzt werden müssen.

Wegweisend hierfür sind die Konstitution Lumen Gentium (LG) und das Dekret Unitatis redintegratio (UR), die beide letztendlich versuchen, die große ökumenische Frage, nämlich wie Einheit verstanden werden kann, zu deuten. Will Ökumene Uniformität und damit Ausschließlichkeit oder versteht sie sich als Arbeit an dem Zueinander von Differenz und Einheit? Je nach Auslegung werden dann Exklusivitätsansprüche erhoben, Ökumene als Rückkehr in die katholische Kirche verstanden und konfessionelle Differenzen als Trennung und nicht als Bereicherung gesehen. Kondensiert zeigt sich dies in den Streitigkeiten um die Auslegung von LG 8. Hier heißt es, dass die Kirche Jesu in der katholischen Kirche subsistiere, also in ihr bestehe.3 Ist in der kath. Kirche voll und ganz die Kirche Jesu Christi verwirklicht oder braucht es nicht die Vielheit innerhalb der Gemeinschaft der Getauften, um Kirche Jesu Christi zu sein? Während Möglichkeiten zur zweiten Deutung durch das Konzil eröffnet worden sind, schlug das Pendel zur ersten Deutung spätestens mit der Verfassung von Dominus Iesus zurück, in dem den Kirchen der Reformation der Status als Kirche im eigentlichen Sinn nicht zuerkannt wird.4

Unitatis redintegratio benennt schließlich die Wiederherstellung der christlichen Einheit als die Hauptaufgabe ökumenischer Bemühungen und stellt dabei heraus, dass Elemente des Heils und der Wahrheit auch außerhalb der Katholischen Kirche zu finden sind.5 Einheit der Kirchen bedeutet dann nicht eine Rückkehr in die katholische Kirche, sondern vielmehr ein Bemühen um Einheit angesichts von Differenzen.

Diese Suchbewegung ist zuallererst ein dialogischer Prozess, der durch das Charakteristikum der Anerkennung geprägt ist: die Anerkennung der beteiligten Dialogpartner*innen und die Anerkennung des Ziels dieses Dialogs. Auf der Beziehungsebene bedeutet das,

„in dem/der anderen etwas zu erkennen und ihm/ihr etwas zuzugestehen, was er/sie bereits hat: im Falle der Anerkennung von Kirchen nämlich die Qualität oder die Charakteristika oder gar den Status einer Kirche.“6

Auf der Ebene der Ziele hieße das dann, Differenzen nicht als zu überwindende Bedrohung zu verstehen, sondern als Gaben,

„die einander aufgegeben sind und gerade dadurch, dass sie einander zur Verfügung gestellt werden, Neues entstehen lassen, das vorher nicht in Sicht war und eben geistgewirkt ist.“7

Was bedeutet dies nun für einen Religionsunterricht, der ökumenisch profiliert sein will?

Didaktische Perspektivierung – Religiöse Bildung ökumenisch profiliert

Zunächst gilt es, in religiösen Lern- und Bildungsprozessen auch strukturell die Vielheit des Christentums abzubilden. Ökumenisches Lernen meint dann ein dialogisches Lernen, in dem verschiedene christliche Stimmen zum Tragen kommen; sowohl von Schüler*innen wie auch von Lehrer*innen. Beide Seiten bringen ihre ganz persönlichen religiösen Deutungen ein, um so Religion auch als Lebensüberzeugung erfahrbar werden zu lassen. Gerade die nun verstärkt präsente orthodoxe Konfession kann hier neue Perspektiven einbringen und den Blick weiten.8

Zweitens knüpft Ökumenisches Lernen an die Grundsätze ökumenischer Theologie und setzt diese didaktisch um. Ein solches Lernen negiert daher bestehende konfessionelle Differenzen nicht, fokussiert aber die Gemeinsamkeiten, um angesichts der säkularen Weltanschauung die spezifisch christliche Weltdeutung zur Geltung zu bringen. Dann geht es nicht mehr darum, konfessionelle Stereotype zu reproduzieren oder verstärken, sondern eher die Perspektive des verbindend Christlichen stark zu machen und von dort aus konfessionelle Differenzen zu erschließen.

Drittens versteht sich Ökumenisches Lernen nicht nur im Horizont der Einen Kirche, sondern auch der Einen Welt und nimmt so die theologische Interdependenz von Kirche und Welt ernst. Somit beschäftigt sich Ökumenisches Lernen ebenso mit sozialethischen Fragen.9 Schüler*innen sollen dazu befähigt werden, sich mit Fragen nach einem nachhaltigen, gerechten und friedlichen Miteinander auseinanderzusetzen und eine eigene differenzsensible Position zu beziehen. Gerade die aktuelle Kriegssituation ruft hier den Religionsunterricht besonders auf den Plan und könnte ihn an seine eigentliche Aufgabe erinnern: Jugendlichen angesichts solcher Krisenerfahrungen relevante – und das meint in diesem Kontext vor allem ökumenisch profilierte – Deuteangebote zur Verfügung zu stellen.

Schulorganisatorische Perspektivierung – Das Ringen um eine zukunftsfähige Gestalt des Religionsunterrichtes

Bereits in den einführenden Überlegungen ist angeklungen, dass die Frage nach der Gestalt eines ökumenisch profilierten Religionsunterrichts nicht losgelöst von seiner organisatorischen Form beantwortet werden kann. Ansonsten bleiben all die hier getätigten Ausführungen in Bezug auf Ökumenisches Lernen experimenteller Natur und werden sich eher auf vereinzelte Phasen oder Projekte in einem ansonsten konfessionell homogenen Religionsunterricht konzentrieren. Dies kann aber angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht angesagt sein. Religionspädagogisch ist hier bereits viel geschehen; eine Vielzahl an Modellen für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht liegt vor.10 Nun gilt es, diese zu erproben und vor Ort in den Schulen umzusetzen. Das braucht freilich Mut und womöglich auch ein wenig den Geist der Ökumene.

Hasthag: #differenzsensibel


(Beitragsbild: @danielwatson)

1 Schambeck, Mirjam, Orientierungen aus dem Gabediskurs für die Fundierung einer ökumenischen Religionsdidaktik. Eine katholische Stimme, in: Schambeck, Mirjam/Simojoki, Henrik/Stogiannides, Athanasios (Hg.), Auf dem Weg zu einer Ökumenischen Religionsdidaktik im Europäischen Horizont. Religionsunterricht in Konfessionellen Majorität-Minorität-Konstellationen, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 2019, 101.

2 Beispielsweise sind die Regularien für nichtkatholische Schüler*innen, die am katholischen RU teilnehmen wollen, nur unter besonderen Bedingungen möglich („in besonderen Härtefällen“); vgl. die Verwaltungsvorschrift „Teilnahme am Religionsunterricht“ vom 15. Mai 2009, https://www.ebfr.de/media/download/integration/41053/kuu_erlass_konfessionelle_kooperation.pdf [Aufruf am 01.06.2022].

3 LG 8: „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht (subsistit) in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird.“

4 Vgl. Schambeck, Mirjam, Orientierungen aus dem Gabediskurs für die Fundierung einer ökumenischen Religionsdidaktik, 104.

5 UR 3.

6 Heller, Dagmar, Anerkennung – Dimensionen eines Schlüsselbegriffes, in: Bremer, Thomas/Wernsmann, Maria (Hg.), Ökumene – überdacht. Reflexionen und Realitäten im Umbruch (= QD 259), Freiburg im Breisgau 2014, 270.

7 Schambeck, Mirjam, Orientierungen aus dem Gabediskurs für die Fundierung einer ökumenischen Religionsdidaktik. Eine katholische Stimme, in: Schambeck, Mirjam/Simojoki, Henrik/Stogiannides, Athanasios (Hg.), Auf dem Weg zu einer Ökumenischen Religionsdidaktik im Europäischen Horizont. Religionsunterricht in Konfessionellen Majorität-Minorität-Konstellationen, Freiburg im Breisgau/Basel/Wien 2019, 114.

8 Vgl. Pemsel-Maier, Sabine, Ökumenisches Lernen, in: Kropac, Ulrich/Riegel, Ulrich (Hg.), Handbuch Religionsdidaktik (= Kohlhammer-Studienbücher Theologie 25), Stuttgart 2021, 277f.

9 Vgl. ebd., 273f.

10 Hier sei beispielsweise an den RUfa 2.0 in Hamburg erinnert, der vieldiskutierte Christliche RU in Niedersachsen oder an das Modell des religionspluralen positionellen RUs von Mirjam Schambeck. Für eine Übersicht zu den verschiedenen Modellen vgl. Schambeck, Mirjam, Königsweg oder Sackgasse? Von Zerrbildern in der Diskussion über den multireligiösen Religionsunterricht, in: Herder Korrespondenz Spezial (2021), Heft 1, 51-54.

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elisabeth fock

hat Latein und katholische Religionslehre auf Lehramt studiert und ihr Referendariat 2020 absolviert. Aktuell ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik der Theologischen Fakultät Freiburg und beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Jugendtheologien und der Frage nach einer religionspädagogisch verantworteten Anthropologie.

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