gekreuzigt, gestorben und begraben. Diese drei Verben werden im Apostolischen Glaubensbekenntnis gebetet und an Karfreitag erinnert — doch oft fällt an diesem Tag das dritte Verb dieser Reihe unter den Tisch: „begraben“. Wer schaut noch hin, wenn der Protagonist von der Bildfläche verschwindet? Wer hört schon auf die Stille nach dem Schrei? Fran Schmid plädiert für Aufmerksamkeit für die Details zwischen den Mega-Ereignissen Karfreitag und Osternacht.

Es sind nur je vier bis sechs Verse, die in den Evangelien über das Begräbnis Jesu verloren werden. Johannes schreibt, Jesus wurde von Josef von Arimathäa und Nikodemus, die bisher nur im Verborgenen seine Anhänger gewesen waren, vom Kreuz heruntergenommen. Sie wickelten ihn zusammen mit Myrrhe und Aloe in Tücher aus Leinen ein, „… wie es bei einem jüdischen Begräbnis Sitte ist“ (Joh 19,40).

‚Business as usual‘ also? Die Person, die weniger als 24 Stunden zuvor in derselben Erzählung noch in vertrautester Weise mit Gott sprach und der als Gefährderin der politischen Ordnung der Prozess gemacht wurde, wird nun gemäß Sitte und Tradition zu Grabe getragen? Ohne Kommentierung des sonst so christuszentrierten Johannes?

Bestattungssitten zur Zeit Jesu

So schlicht ist es nicht, zumindest nicht auf den zweiten Blick. Einzelne Elemente der Bestattung Jesu1 entsprechen Bestattungssitten in Palästina um die Zeitenwende,2 manche heben sich von diesem Hintergrund als auffällig ab und manche in der Umwelt übliche Praktik wiederum fehlt in den Evangelien.

Ereilte eine Person im Palästina der Zeitenwende der Tod, dann begann ihre letzte Reise im eigenen Haus bzw. dem der Familie. Im engsten Familienkreis wurde die Bestattung eingeleitet mit dem Waschen, Salben, Bekleiden und Aufbahren des Leichnams. Die duftenden Öle vertrieben nicht nur rasch einsetzende Gerüche, sondern ehrten die*den Verstorbene*n auch in besonderer Weise. Deren Körper wurde mit Binden oder Gewändern aus Leinen bekleidet. So bekleidet und wohlriechend, wurden die*der Tote, wie schlafend auf einem Brett oder in einem Holzsarg liegend, in einem Trauerzug aus der Stadt heraus zum Friedhof getragen.

Alles wie immer?

Im Fall Jesu findet die Versorgung des Leichnams zwar statt, gerät aber aus den gewohnten Bahnen: Sie geschieht nicht im Haus, sondern quasi direkt unter dem Kreuz — vermutlich nicht nur, weil es wegen des bevorstehenden Festtags eilte. Für alle Gekreuzigten vorgesehen war ein Verbrecher*innen vorbehaltenes Massengrab. Das Begräbnis ist in der jüdischen Frömmigkeit „eine Tat höchster Würde“.3

Einem schändlich zu Tode gekommenen Verbrecher ein traditionelles, würdiges Begräbnis zu ermöglichen, war aber auch in der jüdischen Umwelt Jesu mit hoher Wahrscheinlichkeit keine angesehene Tat. Ein öffentlicher Leichenzug mit den sonst üblichen Klagefrauen und Musikant*innen? Für einen verurteilten Verbrecher? Ein Skandal!

Dennoch erweisen Joseph von Arimathäa und Nikodemus dem geschundenen Leichnam die letzten Ehren: Auch wenn sie ihn nicht waschen – vielleicht weil sie keine Ausrüstung dafür zur Hand haben – binden sie den Leichnam in Leinentücher ein, eine Praxis, die im Judentum des 1. Jh. n. Chr. bezeugt ist,4 und streuen pulverisierte Myrrhe und Aloe zwischen die Tücher. Myrrhe ist ein duftendes Harz, Aloe eine gut riechende Holzart. Davon verwenden sie umgerechnet 32,7 kg, was ein Hinweis auf die exorbitante Ehre, ist die Jesus damit zuteilwird.

Das Grab Jesu

Auf die Beschreibung des Grabes wird wenig Wert gelegt. Während das Grab in den synoptischen Evangelien als Felsgrab beschrieben wird, liegt es bei Johannes in einem Garten. Der Grabtyp selbst wird nicht näher beschreiben, denkbar wäre aufgrund der Beschreibungen eine Naturhöhle oder eine in den Felsen gehauene Höhle mit mindestens einem betretbaren Grabraum, in oder an dessen Wände eine oder mehrere Liegeflächen geschlagen oder gebaut waren. Für ein solches Grab sind mehrere Untertypen belegt, die konkreter aber nicht mit dem Grab Jesu identifiziert werden können.

Betont wird jedoch, dass das Grab neu ist, was sagen will: Das Grab war nicht durch andere Leichen verunreinigt. Diese besondere Reinheit drückt die besondere Würde Jesu aus. Weiter widmet Johannes dem Grab selbst aber keine Aufmerksamkeit, da es nicht als Beweismittel der Auferstehung dienen kann, steht doch immer der Vorwurf des Leichendiebstahls im Raum. Mehr Aufmerksamkeit verdient daher der Verschluss mit einem Rollstein und das Zeugnis des Begräbnisses durch mehrere Frauen in den synoptischen Evangelien.

Denn trotz der gebotenen Schnelligkeit und Heimlichkeit findet sich eine kleine Trauergemeinde beim Grab ein: Während es bei Johannes bei den beiden Männern bleibt, sind bei Markus und Matthäus neben Josef von Arimathäa auch die beiden Marien am Grab, bei Lukas mehrere namentlich nicht genannte Frauen. Diese Frauen übernehmen auch die traditionelle Totenpflege nach der Bestattung, zu der unter anderem der Besuch am Grab und die Zweitbestattung der Knochen nach dem Verwesen des Leichnams in Boxen oder Kammern gehören. Das wird aber nur ansatzweise nötig: Bei ihrem ersten Besuch am Grab nämlich stellen die Frauen fest, dass das Grab leer ist.

And the Oscar goes to …

Karsamstag heißt: Der Protagonist ist für eine kurze Zeit von der Bildfläche verschwunden — das ist die Möglichkeit für die Nebenrollen, zu brillieren. Die Academy of Motion Picture Art and Sciences verleiht jährlich einen Oscar für die besten Schauspieler*innen in Nebenrollen. Im März gewann den einen davon Troy Kotsur für seine Rolle des Vaters im Coming of Age Drama „CODA“ über das Aufwachsen einer jungen hörenden Frau in einer gehörlosen Familie, den anderen erhielt Ariana DeBose für ihre Darstellung der Anita in der Musicalverfilmung von „West Side Story“.

Den Oscar für den besten Nebendarsteller im Johannesevangelium würde ich an Joseph von Arimathäa verleihen, der an einem kritischen Punkt der höchsten Unsicherheit unter den Jesusanhänger*innen aus seiner Verborgenheit heraustritt und soziales Risiko sowie finanzielle Investitionen in Kauf nimmt, um Jesus die letzte Ehre zu erweisen. Er, der Fremde, übernimmt wie selbstverständlich die Aufgaben der engsten Familie. Der vornehme Ratsherr übernimmt unbezahlte Care-Arbeit.

Und auf der anderen Seite: Ein gekreuzigter Verbrecher wird mit den höchsten Ehrerweisungen bestattet. Was für ein verwunderlicher Vorgang. So schweigt sich Johannes also doch nicht ganz aus zur Bestattung Jesu. Viel eher deutet er die Paradoxie von Karfreitag und Ostersonntag schon in den leisen Zwischentönen des Karsamstags an. Der am meisten Gedemütigte wird am höchsten geehrt — und der mit den größten Privilegien übernimmt den schwierigsten Dienst.

Hashtag der Woche: #caresamstag


(Beitragsbild @Javardh)

1 Jesus wurde als Jude vermutlich dem jüdischen Begräbnisritual entsprechend bestattet. Spezifika einer jüdischen Bestattung im Vergleich zu andersreligiösen Bestattungen der lokalen Umwelt sind anhand der archäologischen Funde jedoch aktuell kaum zu identifizieren. Das liegt vermutlich daran, dass Gesten, Worte und Gebete am Grab oder anderen Orten sich mit diesen Methoden nicht rekonstruieren lassen.
2 Die Zeitenwende bezeichnet hier den Zeitraum zwischen 150 v. Chr. und 150 n. Chr. Die Bezeichnung der Region „Palästina“ für die Region des heutigen Israel und Palästina folgt der Bezeichnung Zangenbergs für dieses Gebiet, vgl. Triebel/Zangenberg, Hinter Fels (2003).
3 Zumstein Johannesevangelium (2016), 736.
4 Ebenso wie die Bekleidung mit einem einzigen Kleidungsstück, wie bei den Synoptikern beschrieben.

Literatur:

Markus Lau, Art. „Grab Jesu“ im Wissenschaftlichen Bibellexikon online (https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/46848/; Abruf 04.04.2022).

Lothar Triebel/Jürgen Zangenberg, Hinter Fels und unter Erde. Beobachtungen zur Archäologie und zum kulturellen Kontext jüdischer Gräber im hellenistisch-römischen Palästina, in: Stefan Alkier/Jürgen Zangenberg (Hg.), Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments (Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter Bd. 42), Tübingen/Basel 2003, 447-487.

Jürgen Zangenberg, Körper, Grab und Jenseits. Beobachtungen zu palästinisch-jüdischen Bestattungspraktiken in hellenistisch-römischer Zeit, in: Andrea Faber7Peter Fasold/Manuela Struck/Marion Witteyer (Hg.), Körpergräber des 1.-3. Jahrhunderts in der römischen Welt. Internationales Kolloquium Frankfurt am Main 19.-20. November 2004 (Schriften des Archäologischen Museums Frankfurt 21), Frankfurt a. M. 2007, 35-55.

Jean Zumstein, Das Johannesevangelium (Meyers kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament Bd. 2), Göttingen 2016.

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fran schmid

studiert Katholische Theologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Privat hat sie sich für die evangelische Konfession entschieden und lebt und studiert aktuell im 48. Theologischen Studienjahr in Jerusalem.

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