Am Ostermontag schaut Nadine Sylla auf die berühmte biblische Erzählung vom Gang nach Emmaus und liest sie in einer anderen Blickrichtung: in der des Gründers der Straßenexerzitien Christian Herwartz SJ.

Christian Herwartz SJ, Begründer der Straßenexerzitien1, hatte eine eigenwillige Art, mit biblischen Texten umzugehen. Er hatte ein paar Lieblingstexte, und die beschäftigten ihn über Jahrzehnte, sodass er immer wieder etwas Neues darin entdeckte. Einer dieser Texte, die ihn wohl mehr als die letzten zwanzig Jahre seines Lebens begleiteten und faszinierten, ist die Geschichte der Emmaus-Jünger*innen.2  Von seiner Lesart dieses bekannten Textes will ich ein bisschen erzählen, denn die Emmaus-Geschichte ist nicht nur für die Straßenexerzitien zu einem zentralen Text geworden, sondern enthält auch eine besondere Osterbotschaft.

Der Gang nach Emmaus: Die Straße als Ort der Gottesbegegnung

Nach dem Tod Jesu machten sich die Jünger*innen Maria und Kleopas auf den Weg nach Hause, nach Emmaus.3 Die beiden hatten als Paar viel unterwegs zu besprechen, denn Maria war bis zuletzt bei Jesus unter dem Kreuz stehen geblieben, Kleopas hingegen war wie die anderen Jünger vor Angst geflohen. Zudem hatten sie so viel Hoffnung zur Befreiung von Israel auf Jesus gesetzt und hatten alles für ihn hinter sich gelassen. Nun war auch noch das Grab offen und leer von einigen Frauen aufgefunden worden. Was bedeutete das? Wie würde es weitergehen? Sollten sie zurück in ihren Alltag kehren?

Plötzlich kommt ein Fremder hinzu und begleitet sie auf ihrem Weg. Er tut ahnungslos und lässt sich erklären, was die beiden so sehr beschäftigt. Daraufhin fragt er sie, ob sie die Prophet*innen nur mit dem Kopf gehört oder die Botschaft auch mit ihrem Herzen verstanden haben. Er erklärt ihnen, was schon in der Schrift über den Messias geschrieben stand.

Als sie in Emmaus ankommen und der Fremde weitergehen will, bitten sie ihn, zu sich hereinzukommen. Irgendwie spüren die beiden doch, dass sie ihn nicht einfach gehen lassen dürfen, auch wenn sie ihn nicht erkennen. Als sie gemeinsam bei Tisch sitzen, nimmt der Fremde das Brot, segnet es und gibt es ihnen. Erst als Jesus vom Gast zum Gastgeber wird, als er zum gemeinsamen Essen einlädt und das Brot bricht, erkennen sie ihn. Dann sehen sie ihn nicht mehr, aber sie haben jetzt die Gewissheit, dass er sie nicht verlassen hat.

Erst im Rückblick erkennen sie die Straße als den Ort der Gottesbegegnung:

„Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“ (Lk 24,32)

Obwohl sie gerade erst zu Hause angekommen sind, brechen sie sofort wieder auf und gehen nach Jerusalem zurück, um den anderen Jünger*innen von ihren Erfahrungen zu erzählen. Als sie dort ankommen, hören sie von den anderen, dass Jesus auch ihnen erschienen ist. Daraufhin erzählen sie auch von ihrer Erfahrung auf der Straße. Da tritt Jesus in ihre Mitte und wünscht ihnen den Frieden.4

Gott* in der Stadt begegnen

Bei den Straßenexerzitien, bei denen Menschen in der Stadt unterwegs sind, mit den Fragen, die sie bewegen, machen wir als Begleiter*innen die Erfahrung, dass eine Gotteserfahrung sich nicht nur damals bei den Jünger*innen unterwegs auf der Straße ereignen kann. Dort, wo ich nicht mehr bestimmen kann, wem oder was ich begegne, und wo es mir gelingt, aufmerksam im Moment zu sein und das Unterwegssein nicht nur als Notwendigkeit, von A nach B zu kommen, zu verstehen, da kann etwas geschehen. Dann kann ich aus meinem Gewohnten heraustreten und die ganzen „man muss“ und „ich muss doch“ einmal weglassen.

Die eigenen Gefühle können dabei eine Orientierung geben. Die Jünger*innen beschreiben ihre Gottesbegegnung rückblickend als Erfahrung, bei der „ihr Herz brannte“. Es geschieht etwas mit ihnen, sie begreifen etwas, sie spüren, dass dieser Moment für sie wichtig ist, dass sie gerade am richtigen Ort sind, dass dies elementar etwas mit ihnen und ihrem weiteren Lebensweg zu tun hat.

Als sie zurück nach Jerusalem kommen und von ihrer Erfahrung erzählen, da tritt Jesus mitten unter sie. Und das ist vielleicht die größte Osterbotschaft, die in der Emmaus-Geschichte steckt. Da, wo ich von meiner Erfahrung mit Gott* berichte, von meinem brennenden Herz, da bleibt es nicht etwas Vergangenes, sondern es wird etwas Gegenwärtiges.

Straßenexerzitien für Anfänger*innen

Wer Lust bekommen hat, das und sich auszuprobieren, kann sich in dieser Osterwoche einmal zwei Stunden Zeit nehmen und am einfachsten ganz ohne Handy und Geld auf die Straße gehen, sich treiben lassen und wahrnehmen, was einem*einer begegnet. Und im besten Fall sich jemanden für den Austausch danach suchen. Das, was ich in Offenheit wahrnehme, spiegelt in irgendeiner Weise auch das, was in mir ist. Und vielleicht erfahre ich einen Moment der Verbundenheit, der Ruhe oder der Aufgewühltheit, Wut oder Trauer, und komme dem näher, was mich gerade innerlich bewegt und welche Frage gerade in meinem Leben brennt. Und vielleicht entdecke ich darin auch eine Antwort Gottes*, begegne einem Fremden, der mit mir das Brot teilt.

Hashtag der Woche: #straßenexerzitien


Beitragsbild: Jörg Haas

Weitere Informationen und Termine für längere Auszeiten, um sich mit Gott* auf den Weg zu machen, gibt es unter strassenexerzitien.de oder beim Stadtkloster Karlsruhe.

[1] Straßenexerzitien sind eine Variante von Exerzitien, die nicht im Kloster stattfinden, sondern in der Stadt.

[2] Für seine Auslegung siehe https://www.strassenexerzitien.de/der-charme-des-anfangs-die-erfahrungen-in-emmaus-langsam-gelesen/

[3] Im Text wird nur Kleopas namentlich genannt (Lk 24,17). Im Johannesevangelium wird jedoch von Maria, der Frau des Klopas berichtet (Joh 19,25).

[4] Dass Jesus in ihre Mitte tritt, steht erst im nächsten Abschnitt. So wird der zentrale Satz weggelassen (Lk 24,36).

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nadine sylla

promoviert in Migrationsforschung am Institut für Migrationsforschung an der Universität Osnabrück und ist als Diversity-Trainerin tätig. Sie macht selbst und begleitet Straßenexerzitien seit mehr als zehn Jahren.

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