Im Marienmonat Mai setzen wir einen feministischen und queeren Schwerpunkt in unseren Beiträgen. Maike Schöfer regt dazu an, unser gewohntes Bild von Eva und dem Sündenfall zu hinterfragen und neue Schritte der Auslegung zu gehen.
Können wir bitte neue Eva-Bilder entwerfen? Neue Interpretationen und Sichtweisen über die Schöpfungsgeschichte und über Eva und Adam?
Warum ich das fordere? Weil:
Eva ist noch immer für einige gleichgesetzt mit Sünderin, Verführerin und Verantwortliche für den Sündenfall. Interessanterweise, denn die Wörter Sünde und Sündenfall kommen nicht im hebräischen Urtext vor. Genauso war es auch weniger ein Apfel, sondern eher eine Feige, von der Eva biss. Der Sündenfall mit Ursünde und Erbsünde ist ein Konstrukt. Ein Konstrukt, das die Basis für das patriarchale Kirchensystem und christliche Frauenbild bildete. Fakt ist: Mit der von Männern interpretierten Eva wurde ein Machtsystem errichtet und aufrechterhalten – und es hatte großen Einfluss auf die Gesellschaft, bis heute:
Männer sind die Norm und Frauen weichen ab. Männer sind der Abglanz Gottes, Frauen nur Abglanz des Mannes. Männer sind näher am Göttlichen und Frauen näher an der Sünde.
Männer werden mit geistig und geistlich assoziiert, Frauen mit fleischlich, sexuell, verführerisch. Am Ende stehen Männer als „rein“ dar, Frauen als „unrein“.
Die ersten drei Kapitel der Genesis, dazu gehört auch die Paradiesgeschichte, seien zu Schicksalstexten für Frauen geworden, was ihre Denunziation als Verführerinnen, als Ursache des Bösen, als Einfallstor für die Sünde in der Welt angehe, schreibt die Theologin Helen Schüngel-Straumann.1
Maria, das kann doch kein Mensch!
Eine einzige Frau war übrigens ausgenommen von all diesen Zuschreibungen. Sie hat sogar ohne Schmerzen ein Kind geboren. Na, wisst ihr, wer gemeint ist? Klar. Maria! Oder auch: Die neue Eva. Maria gilt als demütig und gehorsam – und außerdem, sehr interessant: Es fand kein Geschlechtsakt statt. Sie wurde ohne Sex schwanger. Maria ist damit von der Sünde getrennt, von der sexuellen, weiblichen Sünde. Maria steht damit für Reinheit und wird zu einem unerreichbaren „Vorbild“ für alle Frauen. Als wären die Eva-mäßigen Zuschreibungen nicht schon genug, treibt die männerdominierte Interpretation über Maria den Druck auf Frauen auf die Spitze. Reinheit, Demut, Gehorsam und ohne Sünde – schafft keine Frau. Kein Mann. Kein Mensch.
Der Höhepunkt der Unterdrückung gipfelt am Ende darin, dass die Schuld an der Unterdrückung der Frauen einer einzigen Frau (und damit allen Frauen) zugeschrieben wird, betonen die Autoren Carel van Schaik und Kai Michel in ihrem Buch „Die Wahrheit über Eva“.2 Frauen sind halt selber schuld.
Mit dem Sündenfall-Konstrukt, mit der patriarchalen Auslegung der Paradiesgeschichte, hatte die Kirche nicht nur Einfluss auf Christ*innen, sondern auf die Gesellschaft im Allgemeinen. Kurz gesagt: Kirche hat das gesellschaftliche Denken mitgeprägt, hat es frauenfeindlich und auch LGBTQIA -feindlich gemacht. Ganz deutlich merken wir das heute daran, dass Frauen noch immer als verführerisch und sexuell aufreizend betrachtet werden: Brustwarzen von Frauen werden in den Sozialen Medien zensiert, Männer hingegen dürfen ihre Brustwarzen zeigen. Oder Frauen wird eigene Schuld bei sexuellen Übergriffen zugesprochen aufgrund ihrer “knappen“, „aufreizenden“ Kleidung. Und gegen homosexuelle Beziehungen wird von konservativer Seite mit der Schöpfungsgeschichte argumentiert.
Her mit einer neuen Eva!
Um diese frauen- und queerfeindlichen Auslegungen und Haltungen innerhalb der Kirche aufzulösen, müssen wir also bei Eva anfangen. Neu mit Eva anfangen – so wie es auch die Theologin Marie-Theres Wacker3 betont.
Vielleicht war Evas Biss ja der erste feministische Move ever? Vielleicht geht es nicht um die Stellung von Mann und Frau zueinander, sondern darum, dass es eben keine Herrschaft und Machtgefälle unter den Menschen beziehungsweise den Geschlechtern geben soll? Vielleicht können und müssen wir die Bibel auch queer-feministisch auslegen? Und dabei auch interreligiöse Perspektiven miteinbeziehen?
Feministische Theologie ist unbequem und kritisch. Sie kratzt an einem eingeübten, gewohnten Frauen- und Menschenbild. Sie gibt nicht den „einen richtigen Weg“ vor, sie gibt nicht die eine Gegenposition vor, sondern sie bemüht sich um einen fortlaufenden, vielfältigen Diskurs zwischen Bibel, Wissenschaft und Gesellschaft. Dabei gründet sie auf wissenschaftlicher Arbeit und Erkenntnis. Sie deckt Schlüsselbegriffe auf – wie Rippe, Gehilfin, Schmerz, Schlange, Mann und Mensch – und bringt damit die patriarchalen Auslegungen zum Einstürzen.
Feministische Theologie zu betreiben heißt in einem ersten Schritt: Die patriarchale Auslegungsgeschichte aufzuzeigen, anzuzeigen und aufzuarbeiten.
Der zweite Schritt bedeutet: Viele, neue Eva-Bilder zu entwerfen und aus dem Sündenfall einen Sündenfail machen.
Also: Let‘s go!
Hashtag der Woche: #Sündenfail
Hashtag des Monats: #mariafeminista
(Beitragsbild: @shahreboye)
1 Helen Schüngel-Straumann in „Antike Weichenstellungen für eine gender-ungleiche Rezeption des sog. Sündenfalls“, S.162, ein Essay erschienen in „Hat das Böse ein Geschlecht?“ von Helga Kuhlmann und Stefanie Schäfer-Bossert, Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 2006.
2 „Die Wahrheit über Eva – Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männer“ von Carel van Schaik und Kai Michel, S.7., Rowohlt, Hamburg, 2020
3 Vgl. Marie-Theres Wacker, Bei Adam und Eva anfangen. Theologische Frauen- und Genderforschung mit der Bibel, Abschiedsvorlesung am 06.07.2018 an der Universität Münster – unter: https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00071986/Journal_Netzwerk_FGF_43_46.pdf (entnommen am 29.04.2021 00:32)