Maja Goertz hat gerade das Abitur in der Tasche und das Buch von Sophia Fritz „Gott hat mir nie das Du angeboten“ gelesen. Sie lässt uns in einem persönlichen Essay über ihre Lektüreerfahrung an ihren Fragen teilhaben, die sich um einen Gott drehen, der im Kommunikationszeitalter vor allem durch sein Schweigen auffällt. 

Schon häufig habe ich die Situation beobachtet, dass mir nach einem langen Abend mit Freund:innen zögerlich die Frage „Glaubst du eigentlich an Gott?“ gestellt wird und meine Antwort meist mit „Ja, irgendwie schon, aber…“ begonnen hat.

Ich selbst bin als Kind zweier Theolog:innen aufgewachsen und schon früh mit religiösen Fragen konfrontiert worden. Das hat dazu geführt, dass ich der Institution Kirche wenig Urvertrauen entgegengebracht habe und das kritische Denken dem Thema Religiosität gegenüber mehr zu meinem Alltag gehört hat als der sonntägliche Kirchenbesuch.

Doch wie kommt es dazu, dass Gespräche über meinen eigenen Glauben in den meisten Fällen mit so viel Zweifel, „Irgendwies“ und „Eigentlichs“ einhergehen?

„Gott hat mir nie das Du angeboten“

Die 1997 geborene Autorin Sophia Fritz setzt sich mit diesen Fragen in ihrem 2019 erschienenen Buch „Gott hat mir nie das Du angeboten“, bestehend aus Kurzgeschichten und Essays, auseinander. Sie selbst beschreibt ihr Buch als eines, was beim Lesen der Bibel entstanden ist, nicht als ein Buch über Gott oder die Kirche. Dabei versetzt die Autorin biblische Figuren in ein aktualisiertes Umfeld und geht von ihren persönlichen Erfahrungswerten aus. Sie setzt Fragen, die die Bibel aufwirft, unmittelbar ihrem eigenen Leben aus und hat dabei häufig einen sarkastischen, bisweilen auch zynischen Tonfall. Als ich sie in einem Gespräch fragte, ob sie an Gott glaube, antwortete sie mir, dass sie nicht wisse, ob wir mit dem Begriff „Gott“ das Gleiche meinen und ihr Buch aus 100% Zweifel bestehe.

Das Identifikationspotenzial mit den Fragen einer Anfang-Zwanzig-Jährigen an Gott ist für mich als Neunzehnjährige hoch: Wie gelingt es, in einer Zeit, die von social media und Schnelllebigkeit gekennzeichnet ist, ohne eine direkte Kommunikation Vertrauen zu Gott zu fassen? Wie kommt es, das Glauben immer mehr zur Privatsache wird und wie gestalte ich meine Beziehung zu Gott, wenn ich meinem Kinderglauben entwachsen bin?

Es muss nicht alles perfekt sein

Sophia Fritz wählt in ihrem Buch den Ansatz, Figuren, die in der Bibel nicht unbedingt dazu einladen, sie als Vorbild zu betrachten, zu den Hauptfiguren ihrer Kurzgeschichten zu machen. Das lyrische Ich wünscht sich Eva als Schutzpatronin, da sich niemand so gut wie sie mit Scheitern auskenne, unterhält sich mit Jona über seine Zeit im Wal, lässt Tirza und Sulamith Briefe über ihre Beziehung zu Salomon aneinander schreiben und sitzt mit Maria Magdalena in einem Café.

Der Ansatz, dass keine biblische Figur nur schlecht oder nur gut sei, ist nicht neu, besonders Eva hat einen hohen Stellenwert in der feministischen Theologie, doch Sophia Fritz setzt den Schwerpunkt auf die Emotionen der Figuren, die noch heute aktuell und zutiefst nachvollziehbar sind.

Damit erleichtert sie den Leser:innen den Gedanken zu fassen, dass Glauben nichts mit Perfektion, dafür aber oft mit Zweifeln und Dilemmata zu tun hat. Ich persönlich tue mich schwer damit, die Jungfrau Maria oder andere Heilige als persönliches Vorbild für meinen Glauben zu wählen, da ich das Gefühl habe, nie an sie heranreichen zu können. Dabei ist selbst die Bibel immer wieder von Zweifeln geprägt, so fragt sich Mose beispielsweise, ob er es wirklich schaffen wird, sein Volk durch die Wüste zu führen.

Sophia Fritz schafft es in ihrem Buch, diese Unsicherheiten auf unsere Welt zu beziehen und biblische Figuren nahbarer zu machen, ermöglicht es den Lesenden, sich mit ihnen auf eine neue Art und Weise auseinanderzusetzen.

Der Wert der Fragen

Am Ende der einzelnen Kapitel steht jeweils eine Liste an Dingen, die sich das lyrische Ich wünscht. In dem Kapitel „Ich bin besser im Fragen als im Antworten“, in dem es darum geht die eigene Ungewissheit im Gespräch mit Freund:innen auszusparen, heißt es beispielsweise:

„Ein Beziehungsstatus, der tatsächlich ein Status ist / Einen Grund, um zu einem Glauben zu stehen, der nicht fertig ist / Mehr Zeit zum Suchen“1.

Als Leserin frage ich mich, ob diese Dinge jemals nicht fehlen werden, ob ein Glaube jemals „fertig“ sein kann und nicht immer eine Suche ist.

Es geht eben nicht darum, auf alle Fragen eine Antwort zu finden, sondern sich ihrer bewusst zu werden und sich damit auseinanderzusetzen. Wichtig ist das besonders dann, wenn der Glaube immer persönlicher und privater ausgelebt wird, weil sich mehr Menschen einzelne christliche Werte aussuchen, zu denen sie stehen und an die sie glauben, sich von anderen aber klar distanzieren. Gerade dann stellt sich immer wieder die Frage: kann ich gläubig sein, ohne das „große Ganze“ anzunehmen, darf ich ein „cherry picking“ betreiben und nur einzelne Werte zu meinen eigenen machen? Bin ich dann trotzdem „gut im glauben“, so wie es Sophia Fritz formuliert? Mit diesen Fragen geht eine Sehnsucht einher: In ihrem Buch beschreibt die Autorin den Wunsch, an Gott zu glauben und zu vertrauen.

Was hat sich seit der Generation meiner Großeltern verändert, dass ein Vertrauen auf Gott für mich oft so schwer geworden ist, das Bedürfnis danach aber bleibt?

Und Gott schickt keine Audio

Sophia Fritz beschreibt die Art und Weise der Kommunikation zu Gott als eine für uns ungewohnte. Unsere Handys befinden sich immer in Griffnähe und es warten hunderte uns bekannte und unbekannte Menschen, mit denen wir in direkten Kontakt treten können. Mit Gott ist das anders: Wenn wir mit Gott sprechen, dann erhalten wir keine zweiminütige Audio mit einer Antwort auf unsere Fragen und Gedanken.

Sophia Fritz schreibt, dass man erst zur Ruhe kommen müsse, um sich mit Gott auseinanderzusetzen. Doch wie finden wir in unserem Alltag die Zeit dafür? In dem Kapitel „Mein Unvermögen, einen 7. Tag zu haben“ thematisiert die Autorin den Zeitdruck, der in unserer Gesellschaft herrscht und beschreibt, dass die Bibelstelle des siebten Tages der Schöpfung sowohl als Vorbild dienen, als auch Unbehagen auslösen könne, denn sie hält den Leser:innen vor Augen, wie schwer es ist, diese Ruhe zu finden.

Doch selbst dann, wenn ich einen Moment finde, in dem ich pausiere, wird mir von allen Seiten vorgeschlagen, wie ich diesen am besten nutzen sollten: mit Meditationsapps und Yoga, Atemübungen und Detox-Kuren. Mit diesen Hilfsmitteln könne jede:r etwas an der eigenen Unzulänglichkeit verändern, die  durch das ständige Nacheifern von selbsternannten Vorbildern und deren Selbstoptimierung unterschwellig vermittelt wird.

Übrig bleibt der Wunsch, glauben zu können

Vielleicht resultiert genau daraus der Wunsch nach einem Glauben: Wir wünschen uns, uns selbst zu vertrauen und wenn das nicht geht, dann eben Gott, so Sophia Fritz. Gott macht in unserer Vorstellung keine Fehler, ist nie überarbeitet, muss sich nicht mit einer work-life-balance auseinandersetzen.

Sophia Fritz schreibt, sie beneide jeden Menschen, der seine Intuition für Gottes Willen halte. Würde dies mein Leben einfacher machen? Würde ich in einem gefestigteren Glauben weniger an mir selbst zweifeln? Ist die Sehnsucht nach einem Glauben darin begründet, sich dadurch einen festen Halt zu versprechen?

Um meinen Hals hängt das Kreuz, was ich 2011 von meinen Großeltern zu meiner Kommunion geschenkt bekommen habe. Wenn ich es berühre oder im Spiegel sehe, dann gibt es mir ein warmes Gefühl. Doch wie viel davon hat mit meinem Glauben zu tun, dessen Symbol ich offen trage? Wenn ich mein Kreuz betrachte denke ich besonders an meine Großeltern und meine Liebe zu ihnen. Wie oft denke ich an meine Liebe zu Gott?

Dass ich mich das frage und auf der Suche nach Antworten bin, mich mit Sophia Fritz Worten damit auf eine Reise begebe, zeigt mir selbst, dass Gott definitiv eine Rolle in meinem Leben spielt und mir meine Beziehung zu Gott nicht egal ist.

Um mich Sophia Fritz Wunschliste anzuschließen: ich wünsche mir, mit fester Stimme zu antworten, wenn ich das nächste Mal gefragt werde, ob ich an Gott glaube. Ich wünsche mir laut zu sagen, dass ich gläubig bin, aber dass auch meine Zweifel Teil davon sind. Dass ich Liebe als höchsten Wert ansehe und dass katholisch sein nicht bedeutet, hinter allen Aussagen des Papstes zu stehen. Ich möchte den Fragen, Zweifeln und der Sehnsucht, denen Sophia Fritz in ihrem Buch Raum gibt, auch in meinem Leben und im Gespräch mit Gott einen Platz zuordnen und nicht damit aufhören, nachzufragen.

Mehr bei:

Fritz, Sophia: Gott hat mir nie das Du angeboten. Freiburg: 2019.


(Beitragsbild @josephineschreibt)

1 Fritz, Sophia: Gott hat mir nie das Du angeboten. Freiburg: 2019, S. 95.

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maja goertz

ist 20 und lebt in Heidelberg. Parallel zu ihrem Studium wird sie an der katholischen Journalismusschule ifp München ausgebildet, weshalb sie fast so oft in Zügen, wie in Vorlesungssälen sitzt. In der Zeit daneben hat sie den Blog Semikolon über die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen gegründet und schreibt Kurzgeschichten.

4 Replies to “Irgendwie glaube ich ja schon

  1. Hallo Maja. Du hast einen großartigen Text verfasst. Du lässt spüren, wie tief und authentisch Deine Auseinandersetzung mit der Gottesfrage ist. Das beeindruckt mich sehr und ich bin Dir dankbar dafür, dass Du all das in Worte und Gedanken so schön und wirkungsvoll formulierst.
    Ja Gott als Frage zu betrachten ist der wichtige Anfang des langen, nie abgeschlossenen Wegs des Glaubens. Ich bin bei Dir im Behaupten, dass Gott nicht die allzupassende und leicht anwendbare Antwort. Es irritiert mich zu sehen, wenn Menschen eine Haltung verbreiten, der nach „alles definitiv klar ist“. Gott ist vielmehr die offene Frage, die uns Raum zu weiterdenken und weitersuchen schenkt, unsere tausenden Zweifel zulässt und aufwertet – eben als Ausdrücke unseres unterwegs zu uns selbst und so auch zu ihm zu sein. Und das ist Glauben!

  2. Diesen Zustand zwischen glauben wollen und zweifeln müssen kenne ich gut. Den habe ich mit 20 gehabt und er hält im Grunde bis heute an, auch wenn ich mich inzwischen klarer in mehreren wesentlichen Punkten für das Glauben entschieden habe. Wesentliche Identifikationsfiguren in der Bibel sind für mich der zweifelnde Thomas und der mit dem Unbekannten ringende Jakob („ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“), nach denen ich mich auch benenne.

    Ich beneide Kirche nicht um ihre Aufgabe im Spagat zwischen Tradition und Moderne. Pfarrer könnte ich nicht sein, weil ich da einige Lehren vertreten müsste, die ich für überholt halte. Ich bin froh, wenigstens für mich persönlich einen Weg gefunden zu haben.

    Thomas Jakob

  3. Herzlichen Glückwunsch zum Abitur und danke für die tolle Rezension! Ich habe das Buch von S. Fritz auch gelesen (trotz der erheblichen Altersdifferenz) und kann vieles in der Rezension bestätigen. Das mit dem Glauben ist – wie so vieles – relativ: Wenn ich mich frage, was besser wäre, an Gott zu glauben oder nicht, überwiegen die Punkte , die für den Glauben sprechen – ohne dass dies ein Beweis für die Richtigkeit des Glaubens oder die Existenz Gottes wäre. Wichtig ist, dass der Glaube hilft, zu einem gelingenderen Leben zu finden, mit mir selbst und mit meinen Mitmenschen. Wenn Glaube und Religion Angst macht, verbietet, einschränkt, Entfaltungsmöglicheiten vernichtet – dann ist etwas falsch. Alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg!

  4. Liebe Maja,
    danke, dass Du Deine Gedanken mit uns teilst. Dein Text hat mich sehr berührt.
    Ich bin erstaunt, von 19- und 20-jährigen Menschen die gleichen Fragen und ähnliche Gedanken zu lesen, die mich als 55-jährigen evangelischen Pfarrer umtreiben. Ich habe durch eine schwere und langwierige Erkrankung meinen Beruf aufgeben müssen. In dieser Zeit und durch einige Schicksalsschläge wurde mein Glaube angefochten, aber ich habe immer wieder und in letzter Zeit immer mehr den Wunsch, wieder überzeugt glauben und zu Gott Du sagen zu können – durch alle Zweifel hindurch…
    Liebe Grüße und alles Gute,
    Uwe

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