Was hat Maria 2.0 verändert? Was muss sich noch ändern? Wie hat sich Maria 2.0 selbst verändert? Unsere y-nachten-Redakteur*innen Claudia Danzer und Christoph Naglmeier sprechen mit Lisa Kötter, Mitgründerin von Maria 2.0, über ihr Gottesbild, ihr neues Buch und Zukunftsperspektiven.
Einen schönen guten Tag! Damit wir wissen, worüber wir heute nicht reden werden, zu Beginn die Frage: Welche Frage können Sie mittlerweile nicht mehr hören?
Lisa Kötter: Warum werdet ihr nicht evangelisch? Hin und wieder hören wir diese Frage von Medien, aber meistens kommt sie im Aufforderungscharakter von heiligen Rechtskatholischen. Die Sehnsucht dieser Personen danach, dass wir die Kirche verlassen, ist sehr groß. In diesem Zusammenhang finde ich es auch bestürzend, dass in Köln nicht auf die unzähligen Kirchenaustritte reagiert wird. Das sind Menschen aus der Mitte der Gemeinden, die aus Gewissensgründen austreten, nicht wegen Steuerersparnissen. Das erweckt fast schon den Eindruck, dass es ganz schön ist, wenn man als heiliger Rest unter sich bleibt und sich gegenseitig beweihräuchern kann.
Können Sie das Denken derjenigen, die Ihnen den Konfessionswechsel naheliegen, nachvollziehen?
Lisa Kötter: Ja, weil es immer schwer ist, Wahrheiten aufzugeben, auf die man ein Leben lang gebaut hat. Das geht mir nicht anders. Aber der Raum der katholischen Kirche ist so schön geschlossen. Innerhalb dieses Raumes ist jedes Argument aus sich selbst heraus wahr. Und wenn ich da die die Fenster und die Türen aufmache, dann ist das bedrohlich. Natürlich verstehe ich das. Ich verstehe jeden, der an dem klebt, was immer so gut funktioniert hat. Aber ich denke, dass auch der Verstand ein Gottesgeschenk ist, den wir nutzen sollten.
Was sagt das dann über das Gottesbild aus, wenn daran so festgehalten wird?
Lisa Kötter: Ich glaube dem Gottesbild der römisch-katholischen Kirche insofern nicht mehr, als ich nicht an einen Gott glaube, der regelverliebt ist, der zählt, wie oft wer mit wem schläft oder mit welchem Geschlecht oder sonst was.
Das Gottesbild, das die Aussagen in diesen geschlossenen Räumen prägt, ist geprägt von Gottmisstrauen, nicht von Gottvertrauen.
Was ist dann im Gegensatz dazu das Gottesbild von Maria 2.0?
Lisa Kötter: Da muss man im Grunde das anschauen, was dieser Jesus von Nazareth über Gott gesagt hat: Er wird dir bestimmt keinen Stein geben, wenn du ihn um Brot bittest. Auch der Satz von Søren Kierkegaard bringt es für mich auf den Punkt: In Jesus scheint ein Gott auf, der uns Menschen unendlich vertraut. Ich finde diesen Satz so großartig, weil er zeigt, dass dieses Vertrauen keine Einbahnstraße ist.
Davon sprechen Sie auch in Ihrem neu erschienenen Buch „Schweigen war gestern“. Was war die Grundidee dahinter?
Lisa Kötter: Eigentlich gab es keine Grundidee für das Buch. Ich habe viele Texte geschrieben zu der Zeit, als wir Maria 2.0 gegründet haben. Das hat uns ja alle ein bisschen überfallen, die Reaktionen waren völlig unerwartet und haben uns eigentlich überfordert. Diese Zeit war sehr aufregend und gleichzeitig habe ich mich wahnsinnig getragen gefühlt. In dieser Zeit habe ich sehr viel geschrieben, wodurch irgendwann der Verlag auf mich aufmerksam geworden ist. Daraus ist dann letztendlich das Buch entstanden.
Im siebten Kapitel geht es um Maria. Welche Rollen hat ihr das römisch-katholische Narrativ im Lauf der Zeit zugesprochen hat und was hat das mit dem Frauenbild der Kirche gemacht?
Lisa Kötter:
Das Narrativ von Maria ist ja eigentlich genau das, was das Patriarchat erfunden und immer transportiert hat. Also das Bild einer Frau, deren Sexualität unter Kontrolle gestellt ist, um das Erbe zu sichern.
Gleichzeitig ihre Jungfräulichkeit dem vorzubehalten, der ihr Herr – in diesem Fall Gott – ist. Das wurde und wird dann den Frauen als Vorbild vorgehalten, das sie aber nie erreichen können. Diesem Bild können Frauen ihr Leben lang nur hinterherhecheln, weil sie nie gleichzeitig Jungfrau und Mutter sein können.
Hat sich Maria 2.0 seit der Gründung verändert und wenn ja, wie? Und hat sich dadurch etwas im Katholizismus allgemein verändert?
Lisa Kötter: Ganz viele Leute – Frauen und Männer – fühlen sich bewegt und haben sich verändert. Und die Bewegung hat sich vor allem in der letzten Zeit vor dem Thesenanschlag verändert, weil das eine bundesweit geplante Aktion war. Dass niemand die Schlüsselgewalt hat, müssen wir unbedingt beibehalten. Und trotzdem gibt es dieses Sprechen mit einer Stimme und mit einem Bild, das natürlich eine ungemeine Kraft hat. Maria 2.0 als Bewegung hat zum Beispiel dazu geführt, dass der Synodale Weg plötzlich das Frauenthema auf dem Schirm hatte, und dass eigentlich keiner der Geweihten in etlichen Gremien an dem Thema noch vorbei kann.
Das anfängliche Schweigen und die Ignoranz der Amtskirche über unsere Aktionen ist vorbei. Irgendwann war klar, dass das nicht auszusitzen ist. Das war zu Beginn die Hoffnung einiger Bischöfe. Aber das Thema lässt sich nicht mehr in die Tube zurückdrücken.
Und was muss sich noch verändern?
Lisa Kötter: Ganz besonders die Erwartungshaltung.
Wir dürfen nicht mehr auf die Lippen derer starren, die meinen, dass sie das alleinige Sagen haben. Wir müssen den Blick abwenden und nicht im Kritisieren stecken bleiben.
Wenn ich sehe, mit welchem Starren ein nachsynodales Schreiben von Papst Franziskus erwartet wurde… Das nimmt zu viel Energie. Ich war zum Beispiel nicht enttäuscht von Querida Amazonia, weil ich nichts anderes erwartet habe. Er muss ja schließlich den ganzen Laden bedienen. Mit dieser Erwartungshaltung geben wir den geweihten Entscheidern eine Machtfülle, die wir ihnen gar nicht geben müssen. Wenn ich mir anschaue, was die Frauen sagen, mit denen wir weltweit verknüpft sind, dann ist total klar, dass das vermeintliche Weltkirchenargument – dass also andere Länder noch nicht so weit sind – nicht zieht.
In dem ebenfalls neu erschienenen Buch „… weil Gott es so will“ von Sr. Philippa Rath wurden Berufungsgeschichten von Frauen zusammengetragen. Der Begriff der Berufung ist in der katholischen Kirche ziemlich aufgeladen. Wie stehen Sie zum Thema Berufung?
Lisa Kötter: Ich stehe mit voller Solidarität den Menschen gegenüber, die sagen, ich fühle eine Berufung, und ich bin dafür, dass jeder Mensch sie ausleben soll. Ich selbst glaube, dass jeder berufen ist. Ich glaube, es ist zutiefst unchristlich einem Menschen seine Berufung abzusprechen. Sie sollte auf viele Schultern verteilt werden. Solange es Männerpriester gibt, muss es Frauenpriesterinnen geben, das ist für mich überhaupt keine Frage, da bin ich total solidarisch – aber für mich ist die Weihe eher das Problem als die Lösung des römisch-katholischen Kirchenproblems. Vor allem mit dem Priesterbild, das die Kirche gerade hat.
Wenn, wie Sie sagen, die Weihe das Problem ist: Brauchen wir dann überhaupt noch Priester*innen?
Lisa Kötter: Brauchen wir überhaupt eine Kirche? Im Buch schreibe ich: „Fließe über vor Liebe, um überflüssig zu werden.“ Ich frage ja immer die Bischöfe, wer hat euch eigentlich beauftragt, Männer zu Priestern zu weihen? Das verstehen sie meistens nicht und erklären mir dann, warum sie keine Frauen zu Priesterinnen weihen.
Heute ist Weltfrauentag. Auch im Zusammenhang mit diesem Tag geht es im Einsatz für die Gleichberechtigung oft um die Gleichberechtigung für „Frauen“ und nicht um den Kampf für Gleichberechtigung der Geschlechter. Da besteht oft die Gefahr, das binäre Geschlechtermodell wieder zu reproduzieren, allein da man von „Mann und Frau“ spricht. Wie gehen Sie damit um?
Lisa Kötter: Ich bemühe mich. Durch meine erwachsenen Kinder werde ich auf dem Laufenden gehalten, auch über den Diskurs, von männlich gelesenen und weiblich gelesenen Personen zu sprechen und nicht von Mann und Frau. Ich habe damit überhaupt keine Probleme. Für mich persönlich ist meine Identität als Frau auch etwas, was ich als solche bezeichne. Mein Frau-Sein ist ein wichtiger Teil in meiner Identität, aber ich habe auch männliche Teile in mir, die ich selbst als männlich lese. Ich finde, dass die Sprache gerade sehr viel kompliziert, aber ich finde auch gleichzeitig, dass das sein muss. Wir müssen lernen, unsere Worte zu wägen und sehr genau zu sprechen, weil die Sprache das Bewusstsein formt. Und jedes Mal, wenn ich darauf aufmerksam gemacht werde, dass ich hier wieder rassistisch oder ungerecht gesprochen habe – dann muss ich das für mich annehmen. Wenn ich auch nur einen Menschen vergesse, bei dem was ich sage, oder die Person sich verletzt fühlt oder nicht gesehen, dann muss ich etwas ändern, und nicht dieser Mensch.
Gerade dieser Tag lädt dazu ein, noch einmal über strukturelle Diskriminierung von Frauen nachzudenken. Was könnte denn Maria 2.0 lernen von der Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts, die es schließlich geschafft hat, das Frauenwahlrecht durchzusetzen?
Lisa Kötter: Zum Beispiel war eine anfängliche Idee, dass die Farbe Weiß in unserer Kleidung sichtbar ist. Das waren schon die Suffragetten. Das haben vor kurzer Zeit die Politikerinnen in der Türkei und den USA auch gemacht. Wir wussten von Anfang an, dass wir Bilder erzeugen müssen. So wie diese Frauen Bilder für das Unrecht finden.
Es geht nicht nur darum, zu argumentieren und Bücher zu schreiben und die alten patriarchalen Argumente zu widerlegen, sondern es geht um Sichtbarmachung. Ich bin ja auch Künstlerin: Dieses Ins-Bild-Setzen hat eine größere Kraft.
Inwiefern ist die internationale Vernetzung mit anderen Reformwilligen fortgeschritten?
Lisa Kötter: Vor einem Jahr haben wir uns mit Frauen aus aller Welt zu einem Treffen des Catholic Women Council in Rom getroffen – viele waren auch digital dazu geschalten. Der CWC (Catholic Women Council) wurde zwei Monate vorher in Basel gegründet. Das internationale Treffen hat für uns auch noch mal deutlich gemacht, dass das Problem, über das wir reden, kein deutsches oder westliches Problem ist. Und diese weltweite Vernetzung ist wichtig, denn ein Grundgedanke ist, dass die Ungerechtigkeit gegenüber Frauen, gegenüber Diversen, gegenüber Kindern, gegenüber Männern, die durch Machtmissbrauch geschädigt, verletzt und in ihren Talenten gebremst werden, kirchlich wie gesellschaftlich Thema wird. Wir fordern von der katholischen Kirche, dass sie sich hier viel stärker solidarisch zeigt.
Was braucht es, damit die Kritik nicht versiegt in den nächsten Jahren?
Lisa Kötter: Ich glaube sie versiegt deshalb nicht, weil die Kleinen und Verletzten den Schwung mittlerweile haben, laut geworden sind und so viele Menschen auf ihrer Seite haben. Ob das alles etwa in der römisch-katholischen Kirche ändert, bezweifle ich.
Ich glaube, dass sie in Westeuropa verdunsten wird und der Heilige Rest sich hinter seine Mauern zurückzieht und sein heiliges Spiel weiterspielt. Was ich aber hoffe ist, dass die Botschaft dadurch nicht verloren geht.
Sondern vielleicht gerade in der Polarität „Römische Kirche“ und „Botschaft“ die Botschaft viel deutlicher wird. Das ist auch eine Antriebsfeder für viele Frauen. Sie möchten nicht, dass die Botschaft für ihre Kinder und Enkelkinder verdunstet. Denn wenn man den Botinnen und Boten ihre Botschaft nicht mehr glaubt, dann interessieren sich viele für die unglaublich befreiende Botschaft nicht mehr, die uns davon abhalten will, Kontrollfreaks zu werden.
Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!
Hashtag der Woche: #Weltfrauentag
Beitragsbild @Maria2.0
Sehr geehrte Frau Kötter, – ich bin ev. Pfarrer i.R.,Jg.1943. Seit 25 Jahren mit feminist. Theologie intensiv beschäftigt. Fühle mich berufen, am feministischen Widerstand teil- zunehmen und mich voll einzubringen. Es muss ein Ende haben mit jeglicher Gewalt gegen Frauen- und allem, was ihr zugrunde liegt. Das ist nicht zuletzt der Gott-Mann-Vater- Gedanke. Wie kein anderer uns in die Gehirne eingerammt.- Ich wäre Ihnen von Herzen dankbar, wenn Sie mir antworteten und guten Rat gäben. Was ich mir wünsche, ist Gedankenaustausch mit Ihnen.- Mit freundlichem Gruß, Thomas Bölling