Der Vortrag von Pater R. Christen hat hohe Wellen geschlagen, das Erzbistum Köln hat sich mittlerweile distanziert. Janik Hollaender bezieht bei uns Stellung zu den unerträglichen Aussagen über Homosexualität.

Dass die katholische Kirche bislang nicht gerade eine Fackelträgerin der LGBTQ-Rechte war, ist bekannt. Die jüngst in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Äußerungen vom Direktor der Bonner Priesterausbildung, Pater Romano Christen, in einem Vortrag über Homosexualität hinterlassen bei den Leser*innen dennoch flächendeckend Fassungslosigkeit.1 Schlimm genug, dass krude Moralableitungen aus einem vermeintlich unveränderlichen göttlichen Sittengesetz nach wie vor das lehramtliche Existenzrecht im katholischen Katechismus genießen. Entsprechende Aussagen in ungeschmälerter Form als Gegenstand der kirchlichen Verkündigung im Hier und Heute erleben zu müssen – noch dazu im Ausbildungsbetrieb künftiger Priester – ist für klardenkende Menschen innerhalb wie außerhalb der Kirche schlicht unerträglich. Bereits die Einleitung des Vortrags eröffnet eine fatale Schieflage:

Heute von Homosexualität zu sprechen ist schwer und heikel geworden. Vor allem weil der Druck der allgemeinen Mentalität, die eine gewisse Lobby zielstrebig und intransigent in wenigen Jahrzehnten radikal umzuformen gewusst hat, immens groß ist.2

Nein, es ist – Gott sei Dank! – eben nicht mehr heikel in unserer Gesellschaft von Homosexualität zu sprechen. Das liegt vor allem an den Menschen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv für die Rechte der Homosexuellen in unserem Land eingesetzt haben. Die Kirche zählte leider nicht dazu. Die Perspektive Christens pervertiert nun die Verhältnisse, indem Kirche und Gesellschaft als Opfer einer „Schwulen-Lobby“ inszeniert werden.

Unentschuldbare Äußerungen

Wenn sich Pater Romano inzwischen zu einer Entschuldigung durchgerungen hat, für den Fall, dass Teile seiner Ausführungen missverständlich oder verletzend gewesen seien, sucht man diese Missverständlichkeit in seinem Redemanuskript vergeblich:

„Das, was ein Mann im anderen Menschen des gleichen Geschlechts unbewusst sucht, ist die Männlichkeit, die er selbst nicht zu haben fühlt und die er im anderen idealisiert. Auch wenn viel Romantik mitspielt, handelt es sich weniger um die reale Begegnung mit einem Du, als eher um eine narzisstische Suche, die ein eigenes Gefühl stillen will. Deswegen wird immer wieder die affektive Unreife bei homosexuellen Menschen hervorgehoben (die sich durchaus mit hoher Intelligenz, Freundlichkeit und Einsatzbereitschaft paaren kann).“

Die Herabwürdigung homosexueller Beziehungen als „narzisstische Suche“ entbehrt jeglicher Rechtfertigung. Es bleibt rätselhaft, was hier missverstanden oder in einem „größeren Gesprächszusammenhang“ einsichtig werden könnte: Mit derartigen Phantastereien beleidigt der Geistliche nicht nur einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung, in dem gleichgeschlechtliche Partnerschaften aufrichtig und erfüllend gelebt werden. Er beleidigt auch jedes andere Mitglied unserer freiheitlichen Gesellschaft, das Beziehungen von Menschen gleichen Geschlechts in völliger Selbstverständlichkeit als legitimen Lebensentwurf akzeptiert.

Biblische Gesellschaftsordnung im 21. Jahrhundert?

Es schreibt hier ein Nicht-Theologe – denn diese Thematik geht alle an, die nicht länger bereit sind, der Kirche einen scheinbar rechtsfreien Raum innerhalb der Gesellschaft offen zu halten, in dem derart verächtlich über andere Menschen gedacht und gesprochen wird. Die Grenzen zwischen Beleidigung, Rufmord und gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit dürften hier fließend sein.

Selbst in den theologischen Lehrstuben hat man sich zwischenzeitlich zu einem recht breiten wissenschaftlichen Konsens durchgerungen, welches normative Recht die religiös orchestrierte Gesellschaftsordnung der biblischen Zeit gegenüber heutigen Lebensentwürfen hat: keines! Die modernen Humanwissenschaften sind sich schon seit Jahrzehnten einig, welche psychologischen Fehlentwicklungen als Konsequenzen ausgelebter Homosexualität zu erwarten sind: keine – solange sie nicht durch den religiösen Lebensüberbau provoziert werden! Auch die staatliche Ordnungsmacht hat schrittweise zugestanden, welche Gefahr von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften für die Gesamtgesellschaft ausgeht: keine!

Für die „reale Begegnung mit einem Du“ braucht es kein gemischt-geschlechtliches Aufeinandertreffen, es braucht verantwortungsvolle Liebe. Liebe, von der Pater Christen behauptet, dass sie bei gleichgeschlechtlichen Paaren nur auf Selbstblendung beruhe und in Wirklichkeit schlicht oberflächliche Romantik sei. Christen weiß zudem:

Dem genitalen Akt zwischen zwei Männern bleibt sowohl die innige Vereinigung und gegenseitige Ergänzung verwehrt wie auch die Fruchtbarkeit der Prokreation. Dieser physiologische Mangel ist aber auch ein solcher, der sich auf die psychologische und auf die personale Ebene weiter auswirkt.

Kirchliche Reduktion von Sexualität

Es ist symptomatisch, dass die Debatte über Homosexualität in der Kirche binnen kürzester Zeit unter die Gürtellinie fällt. Nicht nur, dass dieser neugierige Blick in die Schlafzimmer zutiefst peinlich und unangebracht ist, er reduziert in schrecklich banaler Weise Sexualität auf einen bloß mechanischen Akt. Was der Seminardirektor in seinem Vortrag ausschließlich mit Fokus auf männliche Homosexualität ausführt, gilt im erweiterten Sinne selbstredend auch für die übrigen Lebensformen innerhalb der LGBTQ-Community (und darüber hinaus, wird jede Beziehung doch auf den Akt fruchtbarer Sexualität reduziert). So führt er weiter aus:

„Auch wenn sie von der Schwulen-Lobby regelrecht dämonisiert werden, gibt es Therapien und Männer, die sie erfolgreich bestanden haben. Aber dieser Weg ist hart und führt nicht immer zum erhofften Ergebnis, vor allem wenn sich Gewohnheiten fest eingeprägt haben.“

Ja, leider Gottes gibt es diese Therapien! Sie verhindern in unzähligen Fällen die grundrechtlich gesicherte, freie Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Sie führen dazu, dass junge Menschen in Konflikt mit ihrer eigenen Person geraten. Die Konsequenzen sind nicht selten Selbsthass, Selbstverleugnung und im schlimmsten Falle Suizid. Man will sich die Gefühle der bestimmt nicht wenigen selbst gleichgeschlechtlich empfindenden Seminaristen angesichts solcher Ausführungen nicht ausmalen: Ihr aufrichtiges Streben nach einem Ausgleich zwischen der eigenen Sexualität und ihrem Wunsch, Priester zu werden (heute selten genug), wird auf eine krankhafte Selbsttäuschung oder die unrechtmäßige Erschleichung des Weihesakraments herabgewürdigt. Schon mehrfach haben warnende Stimmen in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nicht ausreichend reflektierte oder verdrängte Sexualität als Nährboden für spätere sexuelle Übergriffigkeit oder sexuell motivierte Gewalt bei Priestern eine markante Rolle spielen dürfte.3

Dass sich das Erzbistum Köln inzwischen im Namen von Kardinal Woelki entschieden von den Ausführungen Pater Christens distanziert hat, ist als erfreuliches und eigentlich selbstverständliches Zeichen zu bewerten.4 Die Vermutung bleibt allerdings im Raum, dass Pater Romano im Jahr 2015 nicht durch bloßen Zufall, sondern mit bischöflicher Kenntnis seiner Vita und theologischen Ausrichtung an die Spitze der Bonner Priesterausbildung berufen wurde. Er mag sich mit seinem Vortrag zwar auf den Katechismus und geltendes kirchliches Recht der Priesterausbildung stützen, aber die rein nominelle Gültigkeit dieser Normen ist andernorts längst erkannt worden – leider meist nur hinter vorgehaltener Hand. Die Ausflucht kirchlicher Verantwortungsträger auf die Forderung nach Respekt und seelsorgerlicher Einfühlsamkeit im Umgang mit homosexuellen Menschen ist angesichts des Ausmaßes an verletzenden Aussagen im Vortrag Christens für die weitere Diskussion jedenfalls endgültig verbrannt.

Empört euch!

Es ist höchste Zeit sich zu empören – für alle, die sich ihre gläubige Beheimatung in der katholischen Kirche nicht durch die moralischen Unveränderlichkeitsphantasien einzelner Würdenträger und ihrer Claqueure nehmen lassen wollen! Ebenso für alle, die sich zwar selbst von der Kirche distanziert haben, aber das Potential ihrer Gotteshoffnung für den gesellschaftlichen Diskurs noch nicht aufgeben wollen! Und es ist Zeit sich zu empören für die vielen homosexuellen Priester sowie haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, deren hingabevolles Bemühen um ein zeitgemäßes Bild der Kirche täglich Lüge gestraft wird!

Es ist außerdem Zeit, dass im Kreis des deutschen Episkopats endlich die Karten offen auf den Tisch gelegt werden. In letzter Zeit sieht man den ein oder anderen Bischof mit seiner Meinung zaghaft aus der Deckung kommen, dass sich die Kirche in weiten Bereichen einer umfangreichen Erneuerung öffnen muss, wenn sie Gerechtigkeit herstellen und Glaubwürdigkeit wiedergewinnen will – insbesondere bezüglich ihrer Morallehre. Es ist davon auszugehen, dass diese Einsicht bei einer weitaus größeren Gruppe in der Bischofskonferenz insgeheim gereift ist – ihr sei mehr Mut und Unterstützung gewünscht.

Der Vortrag von Pater Romano Christen ist nicht nur deshalb unerträglich, weil er homosexuelle Menschen direkt beleidigt und diskriminiert. Er ist es auch deshalb, weil darin der kirchlichen Sendungsauftrag zu seinem Gegenteil pervertiert wird: Anstatt sich mit Minderheiten zu solidarisieren und sich für Ihre Rechte einzusetzen, machen sich die Vertreter dieser selbstreferenziellen Reinheitskaste verantwortlich für die Fortsetzung von Unrecht und Diskriminierung. Sie unterbieten radikal die moralischen Normen und Grundrechte, die sich unser Staat längst errungen hat. Sie tragen in eklatanter Weise zum weiteren Verlust kirchlicher Kommunikationsfähigkeit bei, die letztlich zu einer gesellschaftlichen Ghettoisierung der vermeintlich Rechtgläubigen und zum fortdauernden Exodus aller Übrigen führt.

Hashtag: #empörteuch


(Beitragsbild: @Denin Lawley)

1 Ein Bericht über den im Januar gehaltenen Vortrag mit dem Titel „Die Frage des Umgangs mit homosexuellen Tendenzen“ erschien zunächst am vergangenen Donnerstag (hier abrufbar) und wurde seitdem von zahlreichen Nachrichten-Anstalten übernommen und z. T. ergänzt.

2 Die Zitate sind dem Originalmanuskript Christens entnommen, das inzwischen in weiten Kreisen zur Gänze kursiert.

3 So jüngst der Freiburger Fundamentaltheologe, Magnus Striet, im oben zitierten SZ-Beitrag, der Mitglied der im Herbst 2018 gegründeten Untersuchungskommission „Macht und Missbrauch“ des Erzbistums Freiburg ist.

4 Die Pressemeldung erschien am Folgetag der Veröffentlichung des Vortrag Christens.

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janik hollaender

studierte in Freiburg Musikwissenschaft und Geschichte. Zur Zeit bereitet er ein Dissertationsprojekt vor.

One Reply to “Empört Euch! Die unerträglichen Äußerungen von P. Romano Christen über Homosexualität”

  1. Sehr geehrter Herr Hollaender,
    vielen Dank für ihre wahren und pointierten Worte. Seit Papst Johannes Paul dem zweiten ist eine ehrliche Debatte über die Sexualität schlicht eingegraben worden, weil auch den meisten Moraltheologen und Bischöfen klar ist, was für ein Menschenfeindliches, weil einengendes Moralgebäude in Sexualfragen die Kirche lähmt und beherrscht. Da wollte niemand ernsthaft dran. Mann kann und konnte nicht aufgrund sachlicher Argmunte, sondern aufgrund der Machtstrukturen nur verlieren. So habe ich meine Kirche seit 30 Jahren erlebt. Nun holt sie jedoch die Realität ein. Gott sei Dank. (Auch für ihre Worte!)
    Beste Grüße
    Christof Stracke

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