Soll es in den Kirchen pastorale Angebote für Menschen geben, die christliche Gottesvorstellungen nicht teilen können? Lisa Quarch plädiert für ein breites Portfolio spiritueller Angebote – für Christ*innen, aber auch darüber hinaus.
Pastorale Arbeit. Damit wird in der katholischen Kirche die praktische Arbeit mit Menschen bezeichnet, mit anderen Worten – die Seelsorge. Es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen Angeboten, manche sind gut, manche sind schlecht. In manchen ist es direkt klar, dass es um christliche Seelsorge geht, in anderen ist das offener formuliert. Bei den pastoralen Angeboten, bei denen nicht direkt klar wird, dass es sich um christliche Seelsorge handelt, stellt sich die interessante Frage: Darf Kirche das? Darf sie Angebote machen, in denen Methoden christlicher Spiritualität benutzt werden, aber in denen Gott nicht ausgesprochen und auch nicht explizit angesprochen wird?
Ein Plädoyer für eine offene Pastoral
Bevor dies beantwortet werden kann, muss erst einmal folgende Frage gestellt werden: Warum sollte es überhaupt pastorale Angebote geben, in denen Gott oder Christus nicht explizit vorkommen? Gibt es Gründe dafür? Ja, die gibt es. Viele Menschen suchen nach Sinn und Hoffnung in ihrem Leben. Ja, sogar explizit nach Spiritualität. Sehr viele von diesen Menschen können aber mit dem Konzept eines personellen Gottes nichts anfangen. Vielleicht haben sie nichts dagegen, können sich aber auch nicht darauf einlassen. Vielleicht lehnen sie es ganz ab. Dennoch sind sie offen für spirituelle Erfahrungen und Angebote.
Was ist mit diesen Menschen? Sollte Kirche Angebote für sie machen? Ja, das sollte sie und das könnte sie auch sehr gut. Allerdings nur wenn sie sich von dem Gedanken völlig loslöst, dass sie gute pastorale Arbeit betreibt, damit „die Kirche wieder voll wird“, damit ihr Ruf besser wird, oder damit noch genug Mitglieder Kirchensteuer zahlen. Wenn die Kirche für Nicht-Christ*innen Angebote machen will, dann bitte nur aus einem einzigen Grund: Um ihnen zu einem Leben in Fülle zu verhelfen oder in weniger kirchlicher Sprache ausgedrückt: Um Menschen dabei zu helfen ein gelingendes Leben zu führen. Wenn die Kirche das macht, erfüllt sie ihren Auftrag, den sie vor 2.000 Jahren erhalten hat: „Gebt ihr ihnen zu Essen“ (Mt. 14, 16) oder „Allen Menschen, die frohe Botschaft zu verkünden“ (Mt. 16). Denn Jesus fordert hier neben der wörtlichen Sorge um das leibliche Wohl der anwesenden Volksmenge, seine Jünger*innen auch auf sich um deren seelische Bedürfnisse zu kümmern. Eine Vorbedingung bleibt hierbei aus, insbesondere sollen die Jünger*innen nicht zuerst ein Glaubensbekenntnis abfragen.
Der weite Raum christlicher Spiritualität
Wie soll das aber heute geschehen? Die christliche Spiritualität ist sehr breit aufgestellt, geradezu endlos. In 2.000 Jahren haben sich spirituelle Übungen zu fast jedem Thema der Menschheit entwickelt. Und diese spirituellen Übungen haben Kraft. Auch wenn man nicht direkt von Gott spricht. Sie können Menschen helfen, einen klareren Blick auf ihr Leben zu erlangen.
Ein Beispiel? Die Unterscheidung der Geister von Ignatius von Loyola. Eine spirituelle Übung, in der sich der Mensch mit seinen Wünschen und Sehnsüchten auseinandersetzt, um herauszufinden, welcher der beste Weg ist. Eine Übung, die wunderbar funktioniert, ohne Gott explizit zu nennen. Noch ein Beispiel? Die Beichte. Ich glaube, dass es jedem Menschen auf dieser Welt gut tut, sich regelmäßig damit auseinanderzusetzen, was er in der letzten Zeit falsch gemacht. Wo habe ich Streit? Wo habe ich Menschen verletzt? Wo habe ich mich selbst verletzt? Wo muss ich mich versöhnen mit mir oder mit anderen?
Ich weiß, dass diese Sichtweise, viele Menschen in der Kirche irritieren kann und vielleicht beim ersten Lesen Abwehr erzeugt. An alle denen es so geht: Glaubt Ihr wirklich, dass Christus da nicht dabei sein kann? Dass er diesen Prozess nicht begleiten könnte? Das er nicht auch außerhalb unserer Vorstellungen von Gebet und Glaubensvollzug wirken kann? Dafür empfehle ich, einmal Karl Rahners Grundkurs des Glaubens zu lesen. Karl Rahner schreibt darüber, dass jeder Mensch auf dieser Erde essenziell auf Gott verwiesen wird. Gott ist grundlegend in jedem Menschen. Und jeder Mensch verletzt Gott, wenn er andere Menschen verletzt oder wenn er sich selbst verletzt.1 Und so begegnet auch jeder Mensch Christus, wenn er anderen Menschen hilft, auch wenn er sich selbst hilft. Die eigene Persönlichkeit soll entwickelt und gebildet werden (Mt. 25, 14-30) Denn schon Jesus wusste, dass jeder Mensch auch mit sich selbst im Reinen sein muss, um anderen Menschen Gutes tun zu können (Mk 12,31).
In jeder christlichen, spirituellen Übung, in jedem Sakrament steckt eine Symbolik, die Menschen bewegen und erfüllen kann, auch ohne dass diese an Gott glauben. So viel Vertrauen sollten Christ*innen in ihren Glauben und in ihren Gott haben.
Versteckte Dimensionen christlicher Spiritualität
Paul Ricoeur, ein französischer Philosoph und Theologe, hat einige interessante Texte über die Bedeutung von Symbolen geschrieben. Seine gesamte Argumentation dazu würde die Länge dieses Textes sprengen, dennoch lohnt ein kurzer Blick darauf:
Ricoeur glaubt, dass Menschen, die heutzutage leben, Texte anders wahrnehmen, als die Menschheit dies vor der Zeit der Aufklärung tat. Wir sind geprägt davon, alles, was wir aufnehmen, zu durchdenken und zu hinterfragen. Daraus geht hervor, dass wir Texte aus der Bibel anders lesen, als Menschen vor 500 Jahren sie gelesen haben. Denn wir glauben nicht mehr einfach alles, was darin steht, sondern fragen uns: War das wirklich so? Und auch wenn bei vielen der biblischen Texte die Antwort ist: Nein, historisch war es dies nicht, so steckt in ihnen dennoch eine theologische Wahrheit, die durch Symbole ausgedrückt wird.2
Ich glaube, diese Argumentation kann auf die christliche Spiritualität übertragen werden. Wir können aus jeder Praxis und Übung eine Symbolik herausarbeiten, die Menschen helfen kann, klarer auf ihr Leben zu sehen, auch wenn sie mit der Vorstellung eines personellen Gottes nichts anfangen können. Und genau das sollten Christ*innen meiner Meinung nach viel mehr tun. Natürlich ist das nicht alles. Es gibt genug Menschen, für die ihre explizite Gottesbeziehung sehr, sehr wichtig ist und das ist wundervoll. Ich bin eine von ihnen. Aber dennoch glaube ich, dass die Kraft der christlichen Spiritualität an dieser Stelle nicht aufhört. Der Kirche muss es vor allem um Eines gehen, und das ist das Heil der Seelen. Und manche Seelen wollen oder können die explizite Vorstellung eines personellen Gottes einfach nicht als heilvoll erfahren.
Wie genau soll das nun aussehen? Das kann ich noch nicht beschreiben. Ob diese Art der Pastoral innerhalb des kirchlichen Angebotes funktionieren kann? Vielleicht. An machen Orten gibt es das schon. Die Kirche ist ja zum Glück größer als die Menschen, die direkt bei ihr angestellt sind; es gilt einfach weiter auszuprobieren und Ausprobieren bedeutet auch ergebnisoffen zu sein. Eine solche Pastoral könnte beispielsweise großartig online stattfinden. An dem Ort, an dem jeden Tag so viele Menschen die Frage „Wie entscheide ich mich richtig?“ und „Wie werde ich glücklich?“ googeln. Bedarf gibt es also allemal.
Hashtag der Woche: #heilderseelen
Sehr gut. Große und erfüllende Aufgaben in einer immer mehr nicht religiösen Gesellschaft. Dies ist moderne und zeitgemäße Missionsarbeit.
Und was soll in der Beichte der Beichtvater dann sagen, wenn er explizit christliche Inhalte ausschließen soll? „Etwas, das man unter Umständen wie ein barmherziges Elternteil ansehen könnte, hat durch ein ziemlich dramatisches, in diesem Zusammenhang aber irrelevantes Geschehen die Welt mit sich versöhnt, was du jetzt einfach mal persönlich nehmen könntest. Durch diese Dienstleistung schenke es dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Fehlleistungen.“ Merken Sie schon selber, oder?
„Allen Menschen die Frohe Botschaft verkünden“ heißt: Missionieren. Also allen Menschen erklären, daß Jesus Christus Herr und Erlöser ist. Darunter geht es nicht.
Hallo 🙂 Erstmal schön, dass Sie meinen Artikel gelesen haben. Zu Ihrem ersten Kritikpunkt: Ich glaube Sie haben mich da Missverstanden. Ich plädiere keinesfalls dafür, die Beichtformel zu ändern, oder die Beichte wie es sie bisher in der Kirche gibt abzuschaffen. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die dieses Sakrament berührt und in ihrem Leben und ihrer Gottesbeziehung stärkt. Was ich meine ist, dass dieses Sakrament auch eine Bedeutung für Menschen haben kann, die mit dem Konzept eines personellen Gottes nichts anfangen können. Ich glaube, dass in jedem Sakrament und eben auch in der Beichte eine Symbolik drin steckt, die das Leben eines jeden Menschen bereichern kann. Bei der Beichte ist dies, dass Bewusstsein sich selbst oder andere Menschen verletzt zu haben und der Wille dies zu versöhnen. Die Erinnerungen darn könnte, genau wie die Beichte, auf einer regelmäßigen Basis stattfinden. Natürlich würde eine pastorale Arbeit, die mit der Symbolik der Beichte ohne explizites Nennen und Ansprechen von Gott arbeitet, nicht nach dem Ritus der Beichte bzw. der Beichtformel wie es ihn/sie schon gibt arbeiten. Das wäre, wie Sie bereits dargestellt haben, tatsächlich absurd.
Zu Ihrer zweiten Anmerkung: Ich glaube da werden wir uns nicht einig werden. Ich glaube, dass allen Menschen die frohe Botschaft verkünden, bedeutet Menschen Freude und Hoffnung zu bringen, ihnen dabei zu helfen ein Leben in Fülle zu haben bzw. ein gelingendes Leben zu führen. Warum ich der Meinung bin, dass dies der entscheidende Auftrag an die Kirche ist habe ich, glaube ich, in meinem Artikel dargestellt.
Herzliche Grüße,
Lisa
Vielen Dank Frau Quarch. Ich stimme Ihnen sehr zu. Sie haben bisher mein Vorgedachtes gut auf den Punkt gebracht und Grenzen meines Denken erweitert.
Was meinen Sie mit den Symbolen? Da wäre Genaueres oder ein Bsp. hilfreich gewesen.
Wir machen hier in Brühl „CaféMobil“ Wir fahren raus mit Kaffee zu Plätzen in der Stadt und fragen die Menschen einfach, wie es Ihnen geht. Ohne Hintergedanken. Wir wollen zuhören. Und wissen, Gott kommt genannt oder ungenannt uns in den Lebensgeschichten der Menschen entgegen. Wir missionieren nicht. Wir sind da, manchmal mit Plakat „Kirche“, mal ohne.
Gott geht anders zu Glauben in der (Post-)Moderne. Ich arbeite in der Pastoral, bin Pastoralreferent und Supervisor und wurde auf Ihren Artikel heute morgen von Tobias Wiegelmann aufmerksam gemacht. Alles Gute für Sie. Stefan Haas
Lieber Herr Haas, ich freue mich, dass Ihnen mein Artikel gefallen hat! Ich habe mir gerade einmal Ihre Projekte aus Brühl angeschaut und die klingen richtig cool! Super, dass Sie sich da trauen Pastoral etwas weiter zu denken und Neues auszuprobieren 🙂
Die Symbole sind wirklich etwas kompliziert. Ich hab mir schon gedacht, dass ich es vielleicht nicht schaffe Paul Ricoeur in einem Absatz verständlich zu erklären. Er drückt sich wirklich sehr kompliziert aus.
Ich probier es nochmal mit anderen Worten: In Bibeltexten befindet sich, laut Paul Ricoeur, eine Wahrheit die jenseits der Geschichte die erzählt wird steht. Ein Symbol ist zum Beispiel die Erschaffung der Welt in sieben Tagen , sie steht unter anderem dafür das alles in der Welt von Gott kommt, das er der Auslöser aller Dinge ist, dass dies aber nicht Bedeutet, dass Gott die Welt in einer Woche, wie wir sie kennen erschaffen hat. Es steht der Gegensatz zwischen theologischer/existentieller Wahrheit und historischer Wahrheit. Wichtig ist Ricoeur dabei, dass es nie eine bestimmte Bedeutung der Symbole gibt. In ihnen stecken unendlich viele Bedeutungen mit denen kreativ gearbeitet werden kann. Diese Denkweise hab ich probiert auf die christliche Spiritualität, zum Beispiel die Sakramente zu übertragen. Bei meinem Beispiel von der Beichte meine ich damit: Sie hat eine explizite Bedeutung, nämlich das Gott uns alle Sünden vergibt. Ich glaube, aber dass die Symbolik die in ihr steckt kreativ weitergedacht werden kann. Sie kann auch für Menschen eine Bedeutung haben, die nicht an Gott glauben. Nämlich, dass es gut und heilsam sein kann sich regelmäßig damit zu beschäftigen, was im eigenen Leben gerade falsch läuft und wo es Verletzungen gibt. Für mich hat das viel damit zu tun, dass ich glaube, dass Gott größer und weiter ist als unsere Vorstellungen von Glaubensvollzug und Gebet. Deswegen kann auch mit den Symboliken der Sakramente und andere spiritueller Übungen kreativ gearbeitet werden.
Ich hoffe ich konnte meine und Ricouers Gedanken ein bisschen besser erklären! Fragen Sie gerne nochmal nach, falls es immer noch nicht klarer geworden ist!
Herzliche Grüße,
Lisa
Sehr geehrte Frau Quarch, danke für diesen Artikel. Ich stimme ihnen dabei zu, dass die kirchlichen Gemeinschaften unbedingt ergebnissoffene und personenorientierte Angebote machen müssen. Wenn dies nicht geschieht, sondern nur um die Kirche zu füllen entspricht das nicht dem biblischen Liebesgebot (Johannesevangelium). Aber ich behaupte zweierlei a) Wir haben mehr als genug Angebote in denen Gott und Jesus nicht explizit oder Reflektiert vorkommen. Auf der anderen Seite fehlt es großflächig. Die Praxis inklusive der meisten Arbeiten in meinem Pastoralen Umfeld zeigen dies. b) Ja, gebt ihr ihnen zu Essen. Richtig und wichtig! Vorbehaltlos! Aber dann müssen wir auch den Auftrag ernst nehmen „Geht zu allen Menschen, macht sie zu meinen Jüngern und tauft sie! Wir brauchen beides. Zur Zeit verteilen wir fast nur Brot…c) Ja, wir brauchen offene Angebote die ernst gemeint sind und die Person jeweils absolut ernst nehmen, aber die Ihnen am Ende eine Tür zum inneren Glück des Glaubens anbietet. Dann ist das Brot ein noch viel größeres Geschenk! d) Ich denke wir müssen unterscheiden. Vorbehaltlos und ehrlich gegenüber der jeweiligen Person aber eindeutig in der Zielfokussierung und Reflexion der GRünde für unser Handeln. Denn warum geben wir Brot? Weil wir das Liebesgebot Jesu leben wollen, und den Menschen zeigen wollen, dass Gott sie liebt und um ihre Nöte weiß. Damit kann Pastoral niemals ohne Missionsimplikation entworfen werden. Das zu Verleugnen wäre unredlich. Außerdem schließt dass eine das andere ja nicht aus. Liebevoll ernst nehmen, (nicht überennen oder überreden) und Gott auch im Atheisten finden und seine eigene Botschaft von Gott lehren und leben. Das geht schon zusammen. Am Ende können im Diskurs sogar beide Seiten gewinnen. Vielen Dank für ihren Artikel ich werde auf ihn hinweisen. Es ist eine wichtige und notwendige Diskussion. Gottes Segen für ihr Tun! Christof Stracke
Hallo Herr Stracke, Danke, dass sie ich so viel Zeit für meinen Artikel genommen haben! Ich finde Ihre Sichtweise interessant. Ich stimme Ihnen zu, dass es nicht gut ist, wenn es in einer Gemeinde nur noch Angebote ohne die explizite Nennung von Gott gibt. Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass es mehr Angebote für Menschen geben sollten, die ihren eigenen glauben vertiefen wollen. Ebenfalls finde ich, dass es Angebote für Menschen geben sollte, die ihnen das Christentum näher bringt, wenn sie es noch nicht kennen. Ich bin aber eben der Meinung, dass es auch Angebote geben sollte, in denen dies nicht der Fall und plädiere besonders dafür die christliche Spiritualität zu betrachten und zu überlegen inwiefern Dinge daraus in einer abgewandelten Form (die Symbolik, die ich probiere in meinem Artikel zu beschreiben) auch für Menschen die mit der Vorstellung eines personelle Gottes nichts anfangen können und auch niemals können werden, hilfreich sein kann.
Falls diese Dinge in dem kirchlichen Umfeld, in dem sie sich bewegen schon existierten, dann freut mich das 🙂 Ich nehme es in meinem kirchlichem Umfeld oft anders war.
Ich glaube wir haben einen anderen Begriff von Mission. Ich glaube pastoral kann sehr gut funktionieren ohne Menschen vom christlichen Glauben überzeugen zu wollen, warum habe ich, glaube ich, in meinem Artikel ausführlich dargestellt.
Ich danke Ihnen für ihre Zeit und freue mich, dass sie auf den Artikel hinweisen werden. Ihnen auch nur das Beste für ihre Arbeit! Herzliche Grüße, Lisa