Nur kurze Meldungen über den grausamen „Krieg gegen Drogen“, den Rodrigo Duterte auf den Philippinen führt, dringen nach Europa. Viele Stimmen der Menschen, denen dort Leid widerfährt, bleiben ungehört. Im Februar ist eine Exkursionsgruppe von der Universität Wien nach Manila aufgebrochen: Katharina Mairinger war mit dabei und berichtet von ihren Erfahrungen.

Die Verkehrung der Versprechungen des Präsidenten der Republik, Rodrigo Duterte, können nicht mehr bloß Lügen genannt werden – sie sind Frevel. Für die Grausamkeit seiner Machtausübung gibt es keine Worte, nur Bestürzung und Angst. Die politische Dynastie sorgt dafür, dass Vater und Mutter, Tochter und Bruder, Onkel und Tante, Cousine und Cousin das politische Programm gegen jeden oppositionellen Kurs verteidigen. Der exzessive Ausbau der Infrastruktur durch das Build, Build, Build Project spitzt die finanzielle Lage der philippinischen Bevölkerung zu. Sie steht der Inflation des Pesos ebenso ratlos gegenüber wie der steigenden Anzahl von Gewalttaten.
Die Opfer des Drogenhandels werden als kommunistische Terrorist*innen beschuldigt, beobachtet, ermordet. Sie haben einmal zu oft die Stimme gegen Duterte erhoben. Die Polizei kassiert indessen Prämien für jeden Kopf.

Die vielen Gesichter des human trafficking

Eine Frau aus einem äußeren Stadtbezirk Manilas schildert uns, der Exkursionsgruppe aus Wien, ihre Lebensgeschichte: Vor ihren Augen wird ihr Mann von fremden bewaffneten Männern ermordet. Trotz dieses Traumas lässt sie von ihrer Verantwortung gegenüber ihren Kindern nicht ab. Da der Verdienst innerhalb des Landes zu gering ist, geht sie nach Saudi Arabien. Ihr Vorgesetzter nutzt ihre Lage aus, vergewaltigt sie und schickt sie schwanger wieder zurück in die Heimat. Als die Erinnerungen wieder hochkommen, bricht sie in Tränen aus. Sie klopft auf den Rücken ihres Kindes, das sie in den Armen hält und wiederholt mehrmals: „Für meine Kinder muss ich weiterleben.“

Auch andere Geschichten erzählt man uns, die oft dieselbe Wendung nehmen. Sie handeln von alleinstehenden Frauen, die mit ihrem Gehalt einer einfachen Arbeiterin ihre Grundbedürfnisse kaum abdecken können. Ihnen werden von freundlichen Männern verlockende Versprechungen gemacht: beispielsweise Jobs in einer Restaurantkette in der nächstgelegenen Stadt. Meist zögern sie nicht lange und machen sich mit ihnen auf die Reise. Dort aber werden sie als Prostituierte gehandelt. Kein Weg führt nun mehr zurück, denn die Kosten für die Hin- und Rückreise werden ihnen nachträglich in Rechnung gestellt. Als Mittellose bleiben sie ebenso hilflos im Business wie jene Nachbar*innen oder Verwandte, die ihre Kinder im Internet der Pornographie ausliefern. Human trafficking kennt auf den Philippinen viele Seiten…

Jenseits der Städte: Das bedrohte Leben der Aeta

Selbst die indigenen Bevölkerungsgruppen in den Bergen und die muslimische Minderheit vor allem in Mindanao spüren die drohende Last des machtgierigen Kapitalismus. Auch wenn hier nur diejenige der in Zambales ansässigen Aeta genannt werden, kann ihre Geschichte als paradigmatisch für alle entrechteten indigenen Menschen der Philippinen gelten:  Ihr „[…] Leiden an der Gesellschaft besteht weniger in extremem materiellem Mangel, sondern in dem, was Bourdieus Distinktionsbegriff in den Vordergrund rückt: in symbolischer Zurücksetzung.“1 Diese Zurücksetzung hatte und hat verheerende Folgen: Seit der Kolonisation durch die Spanier*innen im Jahre 1565 müssen die Aeta Enteignungen, politische und soziale Diskriminierung durch langwierige Landrechtsprozesse über sich ergehen lassen.2 Die soziale Missachtung macht es bis heute den meisten Aeta unmöglich, eine öffentliche Schule zu besuchen, denn dort werden sie aufgrund ihrer Herkunft Opfer von Mobbing und physischer Gewalt. Eigene Schulen wurden eingerichtet, wo die Kinder in einem geschützten Rahmen ihre Grundbildung erhalten. Wenige von ihnen wagen danach den Schritt auf öffentliche und höhere Schulen, denn die Aussichten auf eine Anstellung mit ordentlicher Bezahlung in einem öffentlichen Betrieb sind ebenfalls gering.

Sandiwaan: Solidarität und Wirken in einem Geist

Eine Besserung der derzeitigen Situation erschiene aussichtslos, wären da nicht Menschen, Organisationen, Vereine und Gemeinschaften, die sich dieser Personen annehmen. Das Inter-Congregational Theological Center (ICTC) in Quezon City hatte uns im Rahmen des seit nun schon 25 Jahren bestehenden Projektes Sandiwaan, einer Kooperation zwischen ebendiesem und dem Institut für Theologische Ethik an der Universität Wien, einen Einblick in das Wirken der Kirche auf den Philippinen ermöglicht. Solidarität und das Wirken in einem Geist, wie es das Wort Sandiwaan beschreibt, sind Leitbild der philippinischen theology of struggle3. Sonntags sind die Kirchen gefüllt und auch die Wallfahrtsstätten wie jene in Quiapo und Baclaran erfreuen sich großen Zulaufs, dennoch üben die Leiter*innen der Basisgemeinden und die Priester Kritik an der oberflächlichen Frömmigkeit ihrer Landsleute, denn sie wünschten, ihre Gemeinden würden sich endlich gegen alle im Land existierenden Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen. Predigten rufen dazu auf, beim Spiel der derzeitigen Politik nicht mehr länger mitzuspielen, bei den anstehenden Wahlen klug zu wählen. Um aber die Hoffnung nicht zu verlieren, braucht es neben den kräftigen Stimmen, die unaufhörlich rufen, auch offene Ohren und kräftigen Einspruch gegen all das wirkende und gewirkte Unrecht auf den Philippinen.

Maßnahmen gegen geltendes Unrecht

Kirche „als sozial handelnde Größe“4 darf sich nicht aus dem politisch-gesellschaftlichen Diskurs und Handlungsfeld herausnehmen, denn sie ist selbst Teil davon. Nirgendwo wird das so deutlich wie dort, wo Menschen auf 24h weit geöffnete Türen treffen und in einem stillen und kühlen Kirchenraum rasten, beten oder in ehrenamtlichem Engagement für jene aktiv werden, die ihre Sorgen an die Kirche herantragen. So hat das Kriseninterventionszentrum in Baclaran sich die Betreuung von benachteiligten, unterdrückten, ausgebeuteten Frauen und verwaisten Kindern zur Aufgabe gemacht. Selbst aber diese Orte sind nicht mehr sicher, denn auch die Rural Missionaries stehen nun der Anschuldigung gegenüber, Anhänger*innen der Communist Party of the Philippines und damit staatsgefährdend zu sein. Dagegen sind diese Zeilen ein Dank an alle hoffnungsvollen Menschen, denen wir auf dem schwierigen Weg, das Evangelium zu verkünden, begegnet sind und erkennen ließen, was eine Theologie der Liebe auszeichnet: Sie ist „symbolische Realität also, in der absoluter Sinn schon gegenwärtig und doch noch versprochen wird, Synthese von Freiheit und Realität, formal unbedingt und eben deshalb alle Verhältnisse prägend und auf ihre Veränderung aus, wo sie ihr widersprechen.“5 Und genau dabei brauchen sie öffentliche und weltkirchliche Unterstützung!

Hashtag der Woche: #sandiwaan


(Beitragsbild @Elton Vince Isidro)

1 A.Kreutzer, Politische Theologie für heute: Aktualisierungen und Konkretionen eines theologischen Programmes, 2017, 92.

2 M. P.McHenry u.a., The Indigenous Aetas of Bataan, Philippines: Extraordinary genetic origins, modern history and land rights (Singap J Trop Geogr 34, 2013, 292–306), 296.

3 Zum Programm dieser Theologie vgl. V. Aguilan,Theology of Struggle: a Postcolonial Critique of Philippine Christianity (Draft), 2017, 16 (online verfügbar):  “To concretize the aim of the theology of struggle as a theology of resistance against neocolonialism, it must be carried out in the arena of the “third space” of Philippine Churches – Catholic, Protestant, Evangelical, and Pentecostal. Churches today are operating in the spaces between the local and the global, between the indigenous and the foreign, and between the vulnerable and the powerful. This would require the following: indigenization/inculturation, immersion, and transformation.”

4 M.Striet, Sich selbst als geworden beschreiben wollen. Theologie und Soziologie (in: Ders.[Hg.], „Nicht außerhalb der Welt“. Theologie und Soziologie [Katholizismus im Umbruch], 2014, 13–32), 18.

5 T.Pröpper, Evangelium und freie Vernunft. Konturen einer theologischen Hermeneutik, 2001, 125.

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katharina mairinger-immisch

studierte deutsche und französische Philologie sowie katholische Theologie in Wien und war eineinhalb Jahre als Gymnasiallehrerin in Oberösterreich tätig. Von 2018-2021 war sie Prae-doc-Assistentin und Doktorandin am Fachbereich Theologische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, wo sie zum Thema Intergeschlechtlichkeit promoviert. Seit September 2021 arbeitet sie als Gymnasiallehrerin in Baden-Württemberg. Seit 2020 ist sie Teil der Redaktion von y-nachten.de.

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