Vor gut zwei Jahren wurde Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt. Andreas G. Weiß resümiert, welche Konsequenzen sich aus dieser Präsidentschaft für eine christlich motivierte Theologie, die sich der realen Welt verpflichtet weiß, ergeben.

Die Wahl Donald J. Trumps zum US-Präsidenten hat unsere Realität verändert. Das, womit niemand gerechnet hatte, war eingetreten: „Das Ende der Welt (wie wir sie kennen)“ titelte etwa Der Spiegel1. Der surreale Schock, der beim Vernehmen der ersten Nachrichten am 9. November 2016 weltweite Entrüstung ausgelöst hat, ist auch mehr als zwei Jahre später nicht vergangen. Im Gegenteil: Auch die Theologie wird durch das Ereignis Trump herausgefordert.

Auch wenn es der selbstbewusste Donald J. nur ungern hören möchte: Der Name Trump hat sich heute schon längst zu einer Marke entwickelt, die keinesfalls nur auf den zweifelhaften Machthaber im Weißen Haus beschränkt ist. Das Ereignis zieht seine Kreise und geht weit über dessen Person hinaus. Weder ein erfolgreiches Absetzungsverfahren, noch ein Rücktritt, ja nicht einmal sein plötzliches Ableben würden den Spuk beenden. Trump hat schon viele Wunden geschlagen und bereits zahlreiche Nachahmer*innen gefunden. Nicht nur in seiner eigenen Partei, sondern weltweit. Die Menschen trauen teilweise ihren eigenen Ordnungen, ihren in Stein gemeißelten Idealen nicht mehr. Die Welt (wie wir sie kannten) entpuppte sich als höchst fragil. Die Unsicherheit scheint stetig zu wachsen. Dennoch kann niemand der Wirkung Trumps einfach aus dem Weg gehen.

Christ*innen unter Zugzwang

Dass diese politische Wahl auch in religiösen Kreisen für zahlreiche Turbulenzen sorgt, könnte angesichts der engen religionspolitischen Allianzen konservativer US-Parteien und amerikanischer Kirchen noch einleuchten. Dennoch war der offensive Artikel von Stanley Hauerwas, em. Professor der Duke University, in der Washington Post aufsehenerregend: Ein Theologe, der nicht gerade als die Gallionsfigur liberaler Gesellschaftstendenzen gelten kann, stellte sich öffentlich gegen den republikanischen Triumphator.2

Hauerwas machte keinen Hehl daraus, dass er in der Art und Weise, wie Donald Trump die US-Politik aufmischte, auch für den christlichen Glauben eine ernsthafte Gefahr sah. Damit war Trump restlos auch im theologischen Diskurs angekommen. Es würde sich viel daran entscheiden, wie man sich zu den Entwicklungen verhält.

Natürlich, keinesfalls waren und sind alle religiösen US-Gemeinschaften und deren Oberhirt*innen bzw. Pastor*innen ähnlich kritisch wie Hauerwas. Manche stellen sich nach wie vor hinter Donald Trump und beschwören einen liberalisierenden Dämon der politischen Gegner herauf (sprich: „Zeitgeist-Panik“). Wie dem auch sei: Es wurde deutlich, dass niemand mehr an den politischen Realitäten vorbeigehen kann. Dies trifft besonders jene religiösen Gruppen, die ihre Identität lange Zeit ausschließlich auf Jesus und der Hl. Schrift begründet sahen. Auch ihnen wurde abgefordert, dass sie sich mit der Welt auseinandersetzten. Was ihnen lange Zeit als irrelevant erschien, drohte als Damoklesschwert eines mangelnden Realitätsbewusstseins auf sie selbst zurückzufallen.

Ein Schweigen in politischer Hinsicht kann man sich angesichts der turbulenten Ereignisse nicht erlauben. Dies käme einem Glaubwürdigkeitsverlust gleich. Trump hat alle eingeholt. Mit dem Wahlsieg eines Mannes, der so gar nichts repräsentierte, was christliche Freikirchen in ihren moralischen Idealvorstellungen lange Zeit hochgehalten hatten, wurde man auf den harten Boden innerweltlicher Realität zurückgeholt. Der Blick der sonst ausschließlich auf das zukünftige Kommen Christi ausgerichteten Gruppen musste sich auf die harte Probe gesellschaftspolitischer Gegenwart einlassen. Diese Sicht war für viele US-Christ*innen ungewohnt. Für manche jedoch war es wohl auch erhellend, theologisch gesprochen: „revealing“.

Das Evangelium nach Trump?

Wie jetzt? Trump als Offenbarung? Das kann doch wohl nicht mein Ernst sein, oder? Aber doch: Ich meine das todernst. Das Ereignis Trump hat eine offenbarende Wirkung. Zwar nicht in dem Sinn, wie wir in unseren theologischen Sphären selbstverständlich von Schrift, Tradition und Christus sprechen. Doch haben auch jene geschichtlichen Ereignisse eine besondere Wirkung, die den Menschen ihre blind spots deutlich machen, also jene Perspektiven, die man noch nicht oder möglichweise schon lange nicht mehr im Blick hatte. Diese realen Begebenheiten sind zutiefst bedrängend. Sie fordern die Menschen auf neue Art und Weise heraus. Was in ihnen zutage tritt, kann nicht einfach in Form eines vorhandenen Schemas dargestellt werden. An diesen Ereignissen zerbrechen „Strategien nach Plan“. Als solche Momente verweisen sie auf das Auseinanderklaffen zwischen Realität und scheinbarer Idealität. Sie zeigen Grenzen auf, indem sie diese überschreiten. Solche Schockereignisse markieren einen wahren Stachel im Fleisch selbstgerechter Scheuklappenmentalität und inszenierter Scheinhumanität, die sich im selben Atemzug gerne mit dem Namen Christi schmücken.

Im Trump-Ereignis wird deutlich: Er ist kein kriegerischer Eindringling. Trump ist in Systemen gewachsen. Sein Erfolg liegt zu einem guten Teil in den wirksamen Paradigmen der westlichen Gesellschaften selbst begründet. Trump macht den Menschen deutlich, auf welche Werte es in ihren Gesellschaften tatsächlich ankommt. Seine Lügen, Skandale, Affären, Rücksichtslosigkeiten konnten seinem Triumph nichts anhaben. Seine Abgründe konnten ihn nicht aufhalten. Er passte anscheinend in das System, das er repräsentieren wollte. Wie ein gruseliger Spiegel wirkte sein Gesicht, als er am 9. November 2016 siegreich von den Titelseiten grinste. Das Volk hatte seinen Anführer gewählt.

Hier liegt jener Schluss nahe, den auch Barack Obama im Oktober 2018 gezogen hat: Trump ist nicht die Ursache des Übels, sondern er ist ein Symptom dessen, was das soziale Zusammenleben der Menschen gegenwärtig auf eine harte Probe stellt.

Reale Ereignisse als Gradmesser christlichen Rückgrats

Events legen schonungslos die Wunden der Gesellschaften offen. Sie bringen Verschwiegenes, teils Verdrängtes hervor. An ihnen stellen sich Fragen von Schuld, Hinfälligkeit und Vergänglichkeit. Damit aber haben sie auch einen genuin theologischen Wert. Der Schock der Betroffenen macht deutlich, womit sie in ihren kühnsten Träumen nicht (mehr) gerechnet haben. Nach einem Ereignis ist nichts mehr wie es einmal war. Sie sind eine „radikale Veränderung dieser Realität selbst“3, wie das Slavoj Žižek beschrieb. Ordnungen zerbrechen, festgefügte (Schein-)Harmonien zerbersten, langwährende Rangfolgen werden aufgebrochen.

Solche Geschehnisse sind grundsätzlich schmerzlich. Sie kratzen nicht an der fein säuberlichen Oberfläche menschlicher Selbstherrlichkeit, sondern sie demolieren diese gewissermaßen mit einem Schlag. Das Hinfällige des Menschseins wird sichtbar. Genau an diesen prekären Momenten entscheidet sich geschichtlich aber die Kernbotschaft des Evangeliums. Reale Ereignisse werden mitunter zu Gradmessern christlichen Rückgrats. Wie man ihnen begegnet, entscheidet über die eigene Glaubhaftigkeit. Der gepredigte Glaube sowie theologische Paradigmen müssen sich an ihrer faktischen Glaubwürdigkeit messen lassen. Unkritische Selbsterhöhungen wären hier fehl am Platz. Niemand ist vor den Tiefen solcher Schockmomente gefeit.

Ekklesiologie wird in der Geschichte verhandelt

Das geschichtliche Leben erweist sich als der Boden, auf dem die christliche Wahrheit sich ihrer Wahrhaftigkeit zu stellen hat. Dafür braucht es nicht unbedingt einen Trump. Es braucht auch nicht unbedingt den Blick über den großen Teich. Mitunter reichen schon ein deutscher Kruzifixstreit, ein französischer Gelbwestenaufmarsch oder der Ausschluss bestimmter Gruppen aus der staatlichen sozialen Absicherung mancher EU-Staaten. Auch diese politischen Ereignisse haben der Theologie etwas zu sagen. Und sie täte gut daran, wenn sie ihren Blick auch wieder einmal über die Tiefen ihres eigenen Sumpfes hinauswagen würde. Viel zu lange schon ist man in den Grabenkämpfen theologischer Selbstzerfleischung gefangen. Quasi: Kirchliches Psychodrama pur.

An den Orten gesellschaftspolitischer Realität werden Stimmen gefordert. Sie sind kein theologisches Kerngebiet, in dem man es sich schön gemütlich machen könnte. Man hat diesen Ereignissen selbstkritisch zu begegnen, ob man will oder nicht. Nicht zuletzt deshalb, weil man im Spiegel dieser Ereignisse einen Blick hinter die eigene Fassade werfen kann. Solchen Ambiguitäten darf nicht ausgewichen werden. Eine unantastbare Ekklesiologie im erkenntnistheologischen freien Raum vergoldeter Selbstherrlichkeit wird weder ihrem eigenen Anspruch noch der Sendung Christi gerecht. Man hat sich dem zu stellen, was einen zutiefst herausfordert. Man hat Komplexitäten zu verantworten, mitunter auch die eigene Positionierung ernsthaft zu hinterfragen. Einfache Antworten sucht man angesichts politischer Herausforderungen vergeblich. Dennoch gehören sie zu den theologischen Aufgaben dazu. So unbequem sie auch sein mögen.

Hashtag der Woche: #covfefe


(Beitragsbild @withluke)

1 Der Spiegel (46/2016), 12. November 2016.

2 Hauerwas, Stanley, Christians don’t be fooled (Washington Post, 27.Januar 2017).

3 Žižek, Slavoj, Was ist ein Ereignis. Übersetzt von Karen Genschow, Frankfurt a. M. 2014, 36.


Anmerkung der Redaktion: 

Gerne verweisen wir zum Beitragsthema auch auf die Neuerscheinung „Trump – Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“  von Andreas G. Weiß, die ab Februar 2019 erhältlich ist.

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dr. andreas g. weiß

ist Theologe und Religionswissenschaftler mit Forschungsaufenthalten in den USA und promovierte 2018 an der Universität Salzburg mit der Arbeit "Der politische Raum der Theologie" in den Fächern Fundamentaltheologie und Dogmatik. Der Referent im Katholischen Bildungswerk Salzburg ist Mitglied der »American Academy of Religion« (AAR). Zur Situation in den USA schreibt er regelmäßig in der österreichischen Zeitschrift »Die Furche« und als Gastautor der »Salzburger Nachrichten«.

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