In der Rubrik Spoiler Alert liefern wir kurze und knackige Texte über (pop)kulturelle Niceigkeiten. Neue Platten, Video-Spiele, Essaysammlungen und Romane, Theaterstücke – nichts ist vor uns sicher. Heute schreibt Nadja Schmitz-Arenst über das Comedyprogramm „Nanette“ von Hannah Gadsby, das derzeit bei Netflix läuft.

17 Minuten lang ist alles, wie erwartet. Hannah Gadsby ist wahnsinnig gut in ihrem Job als Comedian, die Pointen sind perfekt getimet, die Stimmung ist gut, Lacher und Applaus kommen an den richtigen Stellen. Und dann folgt die abrupte Erklärung:

„I do think I have to quit comedy, though. Seriously. This is probably not the forum to make such an announcement, is it?”

Nein, in einer Show das Ende der eigenen Karriere anzukünden, erscheint doch sehr paradox. Als Zuschauer*in ist man schnell geneigt zu denken: „Naja, wie ernst kann sie das schon meinen?“ Doch am Ende der circa einstündigen Show ist klar, dass Gadsby ihre Probleme mit der Art, wie Stand-Up normalerweise funktioniert, bitterernst meint.

In der ersten Viertelstunde macht Gadsby das Publikum mit ihrer Identität bekannt. Sie erzählt, wie es war, als lesbische Frau im konservativen australischen Tasmanien aufzuwachsen, wo Homosexualität bis 1997 unter Strafe stand. Und wie absurd es ist, nach einer Show kritisiert zu werden, es hätte nicht genug „lesbische Inhalte“ gegeben („I was on stage the whole time!“), als könnte sie ihre Identität von ihrer Kunst trennen.

Im Folgenden berichtet Gadsby in zwei Weisen aus ihrem Leben. Einmal in der gewohnten Stand-Up-Manier, also in Anekdoten und Witzen, und später dann ein zweites Mal: Dabei erzählt sie ihre Geschichten radikal zu Ende und weigert sich, diese nur mit einer passenden Pointe stehen zu lassen. Und das ist, zumindest in Teilen, hart anzusehen. Denn durch die Weigerung, ihre Geschichte mit Pointen enden zu lassen, weigert Gadsby sich gleichzeitig, auf Kosten ihrer eigenen Sexualität Witze zu machen. Sie will ihre ganze Geschichte erzählen, mit all dem Schmerz und der Gewalt, die ihr zugefügt wurden, nur weil sie anders ist, oder, wie sie es ausdrückt, „gender not-normal“. Und obwohl ihr deutlich anzumerken ist, dass ihre Wut und Trauer echt sind, hat sie doch die gesamte Zeit die Kontrolle über das Publikum im voll besetzten Sydney Opera House.

Punchlines need trauma

Gadsby reflektiert, wie ihre Art, selbstironisch ihre Erfahrungen herunterzuspielen und zu verharmlosen, ja sogar Traumata mit Punchlines zu versehen, ihrem Heilungsprozess geschadet hat:

„And what I had done with that Comedy-Show about coming out, was that I froze an incredibly formative experience at its trauma point and I sealed it off into jokes. And that story became a routine and through repetition that joke-version fused with my actual memory of what happened. But unfortunately, that joke-version was not nearly sophisticated enough to undo the damage done to me in reality.”

Sie spricht über die Tatsache, dass Witze über ihre Identität nie einfach losgelöst werden können von der Marginalisierung der LGBT+-Community, und dass ihr „self-deprecating humour“ im Kern eine erneute Demütigung beinhaltet.

„I put myself down in order to speak, in order to seek permission to speak. And I simply will not do that anymore, not to myself and not to anybody who identifies with me.”

Es wird spätestens in den letzten zehn Minuten der Show deutlich, wie sehr Gadsby die Grenzen von Stand-Up mit ihrer Show überschreitet,denn – ohne viel vorweg nehmen zu wollen – die Witze bleiben dann völlig aus. Das Publikum wird nicht mit einer erlösenden Punchline entlassen, sondern muss mit der Spannung nach Hause gehen, die Gadsby meisterhaft aufbaut, weil sie sie selbst jede Sekunde spürt.


Beitragsbild: Facebook (Hannah Gadsby)

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nadja schmitz-arenst

studiert Musikwissenschaft und Katholische Theologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

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