Manchmal bekommt man den Eindruck, dass es momentan nur noch ein Gegeneinander, ein Hassen, ein maximales Kontrastieren gibt. Hannah Ringel macht sich mit Carolin Emcke Gedanken über Alternativen gegen den Hass.
Wir haben euch was mitgebracht […] Hass, Hass, Hass.
Alle Welt hasst, nicht nur K.I.Z: Donald hasst Hillary, und andersrum. Sheldon hasst Wil Wheaton (zumindest zu Beginn). Die AfD hasst Geflüchtete, Gutmenschen und momentan Claudia Roth. Meine Twitter-Filterblase hasst dafür die AfD. Die einen hassen dann Twitter, manche hassen gleich das ganze Internet. Andere hassen im Internet.
Mag sein, dass der*die ein oder andere jetzt denkt: Ok, das ist ein bisschen krass. Vielleicht ist es das auch. Mag sein, dass wir uns nicht immer gleich hassen. Aber dann ranten wir halt. Faven fleißig Empörungstweets, oder retweeten besser gleich, um uns gewiss zu sein, dass wir noch Teil der outrage culture sind. Und um allem Anschein vorzubeugen, wir würden uns nicht genug abgrenzen. Jeder höhnische Kommentar über jeden Satz Horst Seehofers muss geteilt werden.
Als würden wir unsere Identität stärken, wenn wir andere Identitäten verachten. Wir gegen die Anderen. Als könnte man nur links sein, wenn man Christian Lindner hasst. Nur Rap hören, wenn man Metal hasst. Und dem oft genug öffentlich Ausdruck verleiht.
Allzeit entrüstungsbereit.
A. Nders hat dich blockiert.
Wir sind gegen die Anderen, also. Zum Beispiel diese Anderen, die versuchen, eine möglichst große Differenz zwischen ihr Wir und Geflüchtete – ihre Anderen – auszubauen. Um uns davon abzugrenzen, machen wir sie zu unseren Anderen. Ein Wir gegen ein anderes Wir.
Ist schon klar, wie das funktioniert. Es geht letztlich um Identität. Und um diese zu definieren machen wir immer und immer wieder auf Unterschiede aufmerksam – wir grenzen wir ab. Noch schlimmer: Wir blockieren auf Twitter und formulieren damit die digitale endgültige Absage an den Dialog.
Dem französisch-bulgarische Schriftsteller Tzvetan Todorov zufolge geschieht dabei aber Folgendes:
„Die Verschiedenheit verkommt zur Ungleichheit, die Gleichheit zur Identität; dies sind die beiden großen Figuren, die den Raum der Beziehung zum anderen unentrinnbar eingrenzen.“1
Wer ein ‚Wir‘ stärken will, muss es definieren, also abgrenzen. Und wie sehr sich eine Gesellschaft über Grenzen streiten kann, das erleben wir seit drei Jahren jeden Tag. Zur Untermauerung und Sicherung des eigenen Standpunktes hauen wir die Gräben immer tiefer und stilisieren die Unterschiede zur anderen Seite immer höher, indem wir auf jeden noch so kleinen Fehler aufmerksam machen, grundsätzlich das Schlimmste unterstellen, gegenteiliger Meinung sind, bevor zu Ende gesprochen wurde. Um zu hassen vereinfachen wir, nehmen Debatten die Komplexität. Wir streichen das Wissen um Facetten und Nuancen und filtern unsere Bilder schwarz-weiß für maximalen Kontrast. Aus Verschiedenheit machen wir Ungleichheit. Um mit allem Graben verschütten wir die Möglichkeit auf Empathie, gegenseitiges Verstehen, auf Diskurs.
Gegen den Hass
Im Oktober 2016 bekam Carolin Emcke, Autorin und Philosophin, den Friedenspreis des deutschen Buchhandels auch für ihr jüngstes Werk: „Gegen des Hass“. Darin schreibt Emcke an gegen Rassismus, Fanatismus und Demokratiefeindlichkeit. Aber vor allem gegen dogmatische und polarisierende Positionen, die sich selbst absolut setzen, Endgültigkeit proklamieren, jeden Diskurs scheuen und mit ihrem Hass die eigentlichen Feinde der Demokratie sind.2
Sie macht sich stark für ein anhaltendes Gespräch, das möglich wird auf einer Grundlage der Betonung der Ähnlichkeit aller Menschen.
Auf der Bühne der re:publica 2017 sagte sie:
„Ich schreibe, um die Mechanismen der Ausgrenzung zu entlarven, aber vor allem auch, um Räume zu öffnen, in denen wir atmen und denken können, vor allem andere Vokabeln, andere Begriffe, andere Bilder, andere Erzählungen zu schaffen, mit denen dann andere Allianzen, andere Bezüge, andere Hoffnungen sichtbar werden können.“3
Sie schreibt gegen das abgrenzende, das exkludierend gemeinte „Andere“ an, indem Sie es selbst zu Wort kommen lässt, sein Narrativ erzählt und so Vielfalt sichtbar macht. Denn nur wenn ich um das Gegenüber weiß, kann ich Parallelen ziehen, Verbindendes finden, Verständnis aufbringen.
Was also tun gegen den Hass? Zuallererst: Dem Hass nicht mit Hass begegnen! „Wer eine inklusive, gerechte, offene Demokratie ersehnt, wer den Rechtsstaat schützen möchte, darf sich nicht in den Strudel aus Aggression und Gewalt ziehen lassen.“4 Wer eine Partei auf ihr menschenverachtendes Programm hinweisen will, darf dies nicht auf eine diese Menschen verachtende Weise tun (an dieser Stelle LG an Sigmar Gabriel). Zum*zur Demokratiefeind*in kann man niemanden auf demokratiefeindliche Weise machen – also, kann man schon, macht aber nichts besser. Das bedeutet: Es muss sich etwas anderes als Hass gegen den Hass finden lassen.
Love out loud
Good news: Es gibt bereits Ideen und Bewegung, die genau diese Frage stellen: Zum Beispiel das Projekt #hopespeech gegen toxische Narrative und besagte letztjährige re:publica unter dem Motto „Love out loud!“. Hinter diesen Projekte stehen Menschen, die auch gegen den Hass sind, die erkannt haben, dass wir nicht weiterkommen, wenn wir weiter hassen.
Vielleicht braucht es auch gar nicht immer Liebe, sicher reicht gegenseitiger Respekt, oder manchmal sogar „höfliche Gleichgültigkeit“, so Emcke. Die Erkenntnis, dass eine inklusive Gesellschaft auch eine pragmatische Gesellschaft ist, weil sich möglichst viele in ihr wiederfinden. Das Finden von Verbindendem.
Einstehen für einen Rechtsstaat, eine gerechte Demokratie, bedeutet auch, Differenzen ab und an auszuhalten, solange sie sich in einem Rahmen befinden, der eben diese Demokratie achtet und befördert. Eine inklusive Gesellschaft bedeutet auch Solidarität mit Andersdenkenden:
„Wer gedemütigt und verletzt wird, wer verachtet und angegriffen wird, soll sich nicht selbst wehren müssen. Es braucht andere, die einstehen, für die Würde jeder einzelnen Person. Es braucht andere, die widersprechen, die die nicht gemeint sind, die sich aber gemeint fühlen.“5
Beenden wir das Hassen, verhindern wir Mauern und beginnen Dialoge, wo wir solche abgebrochen haben. Für Empathie braucht es das Aufmerksam-Machen auf ein Verbindendes. Hören wir auf, uns und unsere Meinung absolut zu setzen. Malen wir wieder mit allen Farben. Werden wir demütig und begraben den Gedanken, dass es ein definiertes, unveränderliches Wir gibt. „Das Wir […] entsteht, wenn Menschen zusammen handeln und es verschwindet, wenn sie sich aufspalten.“6
Natürlich müssen wir auf ungerechte und undemokratische Strukturen hinweisen, unsere Argumente gegen diese stark machen, ernsthafte Kritik üben. Jegliche Formen von verachtender Rhetorik und struktureller Ungleichbehandlung muss beim Namen genannt werden. Und wir müssen gegen den Hass aufbegehren. Aber vielleicht sollten wir auch wieder anfangen, über andere Dinge zu sprechen, als uns hassend anzuschreien oder zu blockieren. Über unsere Vorstellungen für eine gerechtere Zukunft zum Beispiel.
Hashtag der Woche: #buntmalen
(Beitragsbild: Myriam)
1 Todorov, Tzvetan: Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1985 (Edition Suhrkamp, 1213), S. 177.
2 Vgl.: Emcke, Carolin: Gegen den Hass. 5. Auflage. Frankfurt a. M.: Fischer, 2016.
3 Emcke, Carolin: Love out loud. Ein Motiv in vier Variationen.
4 Ebd.
5 Ebd.
6 Emcke, Carolin: Gegen den Hass. 5. Auflage. Frankfurt a. M.: Fischer, 2016, S.218.